Bringt das was?
Der eine stand als übergewichtiger, rauchender Arbeiter am Band bei VW, der andere war Jugendpfleger und mehr als unzufrieden mit seiner Situation. Was Joachim Franz und Hubert Schwarz außer ihren überaus durchschnittlichen Berufen eint, ist der Extremsport als Weg aus einer in jeder Hinsicht unbefriedigenden Lebenssituation. Doch kann man diese Energieleistung so zwischen zwei Buchdeckel pressen, dass bei der Lektüre der Motivationsfunke überspringt?
„Ab heute alles anders!“ heißt das neueste Buch, mit dem Joachim Franz seinen Lesern den entscheidenden Schubs geben möchte. Wie schwierig es ist, andere Menschen von den Vorzügen grundlegender Veränderungen zu überzeugen, hat er in der Rolle des selbst ernannten Vorbilds offenbar schon oft genug erlebt. Nicht umsonst ist das erste Kapitel mit der skeptisch-stirnrunzelnden Frage überschrieben: „Bringt das was?“
„Jeder ist ein Abenteurer“
Chiropraktor
Ein Heilberuf, der mit Methoden der manuellen Therapie Störungen und Schmerzen des Bewegungsapparats therapiert. Der Körper wird dabei ganzheitlich betrachtet, d.h., Schmerzen in einem bestimmten Gelenk werden teilweise auf Bewegungseinschränkungen und Erkrankungen anderer Körperteile zurückgeführt. Auch bezieht die Chiropraktik die biomechanischen und physiologischen Folgen von Bewegungseinschränkungen in die Behandlung ein. Die Berufsbezeichnung „Chiropraktor“ ist in Deutschland nicht geschützt und wird uneinheitlich verwendet. Meist handelt es sich um eine Person, die ein 4-7-jähriges Studium der Chiropraktik in Übersee absolviert hat. Daneben gibt es „Chiropraktiker“, deren Qualifikation auf einer in der Regel weniger umfangreichen Zusatzausbildung beruht. Approbierte Ärzte dürfen nach einer Zusatzausbildung „Chirotherapie“ die gleich lautende Bezeichnung führen.
Quellen: chiropraktik.ch,
de.wikipedia.org
Franz meint eindeutig: ja. Sein größtes Pfund, um diesen Standpunkt zu untermauern, ist natürlich die eigene Gesichte: „Ich war nicht zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte. […] Ich war zu dick, wog fast 120 Kilogramm und rauchte wie ein Schlot. Ich hatte Schulden […} und konnte einiges an Alkohol vertragen. […] Heute […] bin ich, so sagt man, erfolgreicher Extremsportler […] und war schon in der ganzen Welt unterwegs.“ (S. 9) Dabei spielt sich das eigentlich Spannende nicht auf der Personenwaage, sondern im Kopf ab. Franz gelangt zu der Überzeugung, dass „jeder ein Abenteurer ist“ (S.15), wenn auch im bescheidenen Maßstab des eigenen Lebens.
Ganz Sportler, identifiziert Franz die Fitness als Grundlage des „körperlichen und geistigen Erfolges“. Diejenigen, die das bisher noch nicht verstanden haben, versucht er mit einer Mischung aus Beispielen und Appellen an das Gewissen zu überzeugen. Hauptaufhänger: Schon wer von sich weise, seinen unsportlichen Lebensstil rechtfertigen zu müssen, habe den Verrat am eigenen Abenteurertum eingestanden. Ob sich Franz im Klaren darüber ist, dass Theologen aus dem „Gottesverrat“ als ähnlichem „Verstoß gegen das menschliche Wesen“ die Sünde herleiten? Jedenfalls lässt die argumentative Verflechtung potenziell motivierender Einsichten mit dem zweifelsohne spannenden eigenen Erfahrungsschatz des Autors stark zu wünschen übrig, und er wird damit zwei Zielgruppen nicht gerecht.
Wer sich von dem Buch erhoffte zu lernen, wie „ab heute alle anders“ wird, kann von der Einengung auf das Sporttreiben nur enttäuscht sein. Und ob der Funke angesichts Franz’ verbaler Breitseiten auf echte Sportwillige überspringt, ist schon wegen des „Tausendmal-gelesen“-Effekts fraglich. Ohnehin erscheinen diese Passagen nicht mehr zu sein als Vorgeplänkel, denn mit dem folgenden Kapitel beginnt – nach einem schroffen Bruch in der motivatorischen Argumentation – der zweite, wesentliche Teil von Franz’ Buch. Dieser basiert auf einem grundanständigen Gedanken. Haupt-Autor Joachim Franz hat nämlich über die Jahre des Extremsports gelernt, „Vertrauen in die Kompetenz und das Wissen anderer“ zu haben. Und so hat er für seinen Ratgeber sieben Experten aus seinem Umfeld dazugebeten, vom Chiropraktor über den Internisten bis zum Ernährungsberater.
Laien-Kompendium unter falschem Namen
Das so entstandene Potpourri aus Expertenmeinungen zum Sport beinhaltet dabei wahre Leckerbissen, wie die selten gelesene Beschreibung der genauen Behandlungsansätze von Chiropraktoren oder Physiotherapeuten. Es enttäuscht aber auch mit Redundanzen für jeden, der sich auch nur einmal etwas intensiver mit Sport beschäftigt hat. Und an mancher Stelle hapert es auch an der richtigen Dosierung oder gar Auswahl der Zutaten: So hätte eine Aufzählung von Kohlenhydraten, Eiweißen und Fetten sicherlich genügt, ohne noch verschiedene Theorien zur Regulierung des Hungers und die komplette Funktion des Fettstoffwechsels zu erläutern. Die genaue Genese von Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Diabetes hat in einem Motivationsbuch eigentlich nichts verloren, und führt in dem Alter, das der dynamische junge Mann auf dem Cover als Hauptzielgruppe vermuten lässt, erst zum Augenverdrehen und dann zum Weiterblättern. Die tigerartige Ankündigung, Tipps vom Expertenteam eines Top-Extremsportlers zu erhalten, landet mit Gemeinplätzen, ein paar netten Erzählpassagen in der unverschnörkelten Art von Franz und einigen brauchbaren Abbildungen und Checklisten als Bettvorleger. So bleibt als Fazit, dass das Experten-Konzept vor allem in einer Hinsicht gar nicht gefruchtet zu haben scheint: beim Lektorat. Denn das Buch ist leider kaum mehr als ein Laien-Kompendium des Ausdauersports – unter falschem Namen.
Die Fesseln sprengen

Die PS der besonderen Erfahrung besser auf die Piste bringt eindeutig Hubert Schwarz in „Aus eigenem Antrieb“. Nicht in erster Linie zum Sport, sondern am Beispiel des Sports möchte er seine Leser motivieren – und schöpft dabei als Fahrrad-Weltumrunder und Unternehmer aus einem ebenso extremen wie elektrisierenden Erfahrungsschatz. Ausgangspunkt sind zwei aufeinander folgende Festanstellungen, die er jeweils kurz entschlossen kündigt. Schwarz ist reflektiert genug, die sich einstellenden Probleme – von den Finanzen bis zur Kränkung durch das persönliche Umfeld – beim Namen zu nennen. Noch eindringlicher schildert er allerdings die Vorteile: „Jeder in meiner […] Situation ist ein Tor, wenn er oder sie […] allein dem Diktat der Versorgungssicherheit folgt, um dann ein halbes Leben lang mit frustriertem Ego an der Erkenntnis zu knabbern: ‚Hätte ich doch…’“ (S. 55) Das Sprengen der Fesseln, die er die Komfortzone nennt, wird folgerichtig zu Schwarz’ Lebensthema.
Seinen Lesern empfiehlt er zu diesem Zweck, sich der „persönlichen Spitzenleistung“ Schritt für Schritt anzunähern, indem sie die eigenen Grenzen immer wieder ausloten. Zwar hat Schwarz für diesen Weg kein Patentrezept parat, aber er gibt auf viele Einwände eine nachvollziehbare Antwort, räumt beispielsweise mit dem Mythos der „Unerreichbarkeit“ auf, indem er jeder nicht von außen erzwungenen Handlung das Potenzial zur Spitzenleistung zuspricht. Vor allem aber erteilt Schwarz eindrücklichen Anschauungsunterricht. So erklärt er anhand seiner Vorbereitung für die Weltumrundung per Rad, wie man sich vor „Zweifeln am großen Ziel schlechthin [schützt]“ . „Das hieß, jeden Morgen um 3.30 Uhr geweckt zu werden, ab 4 Uhr im Sattel zu sitzen - auch bei schlechtem Wetter, schlechter Laune und schlechter körperlicher Verfassung.“ (S. 81)Indem er sich während der monatelangen Vorbereitungszeit immer wieder mit dem Gedanken konfrontiert, lernt der Autor, diesen widrigen Umständen seines Abenteuers durch unbedingte Bejahung des Gesamtprojekts zu begegnen. Überhaupt beinhalten gerade die Episoden zwischen den sportlichen Rennen die entscheidenden Lektionen: Schwarz wird im Bekanntenkreis verspottet, putzt zwischen langen Trainingseinheiten Klinken bei Sponsoren und nimmt immer wieder finanzielle Risiken auf sich. Wahrlich weder triumphal noch Nervenkitzel und doch Schritte auf dem Weg zum Ziel. Wie er diese Erkenntnisse einflicht in die Berichte von seinen Abenteuern, wie er die sonst leeren Phrasen der Motivationsliteratur in Passagen unterbringt, die dem Leser die Anstrengung und aufkeimende Hoffnungslosigkeit einer Lage eindrücklich nahe bringen, und so ihre Wirkung demonstriert, macht den Effekt seines Buches aus.
Keine Spur von Einzelkämpfertum
Abgerundet wird das Werk durch drei Kapitel, deren Bezug zum Titel sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Schwarz lässt einen Mitarbeiter seines Schulungszentrums zum Thema „Balance der Lebensbereiche“ referieren und widmet sich anschließend selbst den Aspekten Teamarbeit und Teamführung. Durch Anknüpfung an eine reale Begebenheit – einen Beinahe-Streik seines Betreuerteams – wird auch hier die große Nachvollziehbarkeit erreicht, mit der Schwarz auf einen oft gehörten Schluss zusteuert: Teammitglieder können im Prinzip nur aus Begeisterung und „eigenem Antrieb“ wirklich erfolgreich auf ein Ziel hinarbeiten. Vor allem aber zeigt die Tatsache, dass diese Kapitel überhupt in seinem Buch auftauchen, wie sehr Schwarz seine Erfahrungen inzwischen reflektiert hat – keine Spur vom Klischee des egozentrischen Einzelkämpfers.
Hubert Schwarz schafft mit „Aus eigenem Antrieb“ den Spagat zwischen packendem Erfahrungsbericht und Motivationstrainer zwischen zwei Buchdeckeln. Dass er inzwischen erfolgreicher Unternehmer ist, hilft dabei insofern, als einige der Beispiele wieder den Situationen ähnlicher werden, in denen sich wahrscheinlich ein Großteil der Leserschaft befindet. Aber nur dadurch, dass er ein Fenster öffnet zu Erfahrungen, deren beflügelnde Übermacht und Magie die meisten von uns nie aus erster Hand kennen werden, springt der Funke wirklich über.
Zur Person
Christiane Zehrer läuft Marathon, 100 Kilometer und regelmäßig durch den Park nebenan. Die positiven Nebeneffekte sind der bescheidenen Streckenlänge entsprechend.
Literatur
- Joachim Franz (2008): Ab heute alles anders! Frankfurt/ New York.
- Hubert Schwarz (2006): Aus eigenem Antrieb. Berlin.
