"Kein Anlauf zur Wiedereinführung der Studiengebühren in Hessen"

Roland KochSeit der letzten Landtagswahl im Januar dieses Jahres regiert Roland Koch (CDU) in Hessen nur noch geschäftsführend. Im sciencegarden-Interview erklärt er dennoch selbstbewusst, warum Universitäten Dienstleistungsunternehmen werden sollen und Studiengebühren sinnvoll sind, auch wenn er sie in Hessen so schnell nicht wieder einführen will.

Seit nahezu einem Jahrzehnt lenkt der CDU-Politiker Roland Koch als Ministerpräsident die Geschicke des Landes Hessen, wenn auch nach dem Verlust seiner Mehrheit nach der Landtagswahl im Januar nurmehr geschäftsführend. Bereits im Juni musste Koch die Abschaffung der erst zum Wintersemester 2007/2008 eingeführten Studiengebühren an den hessischen Hochschulen durch eine oppositionelle Mehrheit im Landtag hinnehmen. Die von seiner Widersacherin Andrea Ypsilanti für einen „Tag X im November“ angekündigte rot-grüne Koalition unter Duldung der Partei Die Linke könnte ihn nun sogar sein Amt Kosten. Mit sciencegarden sprach ein selbstbewusster Ministerpräsident über seine Vision von den hessischen Hochschulen als moderne Dienstleistungsunternehmen und erklärte, warum man die Bürger nicht immer wieder mit denselben Themen konfrontieren sollte – zum Beispiel mit Studiengebühren.

sg: Herr Ministerpräsident, „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten“, eben jenes koalitionäre Schreckgespenst, gegen das Sie im Wahlkampf noch plakatieren ließen, hat vor einigen Wochen per Mehrheit im Landtag und mit dem Sektglas in der Hand das „dunkle Kapitel der Studiengebühren“ in Hessen abgeschafft und schicken sich nun tatsächlich an, Sie aus dem Amt zu drängen. Fühlen Sie sich nach dieser Niederlage wie der Prophet im eigenen Lande?

Roland Koch: Ganz und gar nicht. Ich halte die Abschaffung der Studiengebühren nach wie vor nicht nur für falsch, sondern auch für ökonomisch unvernünftig und sozial ungerecht. Allerdings akzeptiere ich die Entscheidung der Landtagsmehrheit und füge hinzu, dass auch im Falle von Neuwahlen und einer Landesregierung unter Führung der CDU ein neuer Anlauf zur Wiedereinführung auf absehbare Zeit nicht vorstellbar ist. Man sollte bestimmte Grundsatzentscheidungen nicht ständig revidieren. Es nervt die Menschen, wenn man ihnen immer wieder mit demselben Thema kommt. Wir werden jetzt beobachten, wie sich die Situation in Hessen entwickelt – ob es beispielsweise an den hessischen Universitäten einen Zulauf all derer gibt, die keine Studienbeiträge zahlen wollen. Das wiederum würde zu schärferen Zulassungsbedingungen durch einen höheren Numerus clausus führen und so vor allem hessischen Schülerinnen und Schülern den Zugang zu den Universitäten in ihrem Land erschweren.

sg: Die SPD hält die Gebühren für „sozial ungerecht und volkswirtschaftlich schädlich“ und sieht die Mehrheit der Bevölkerung in Hessen hinter sich. Tatsächlich befürworten laut „Gebührenkompass 2008“ ganze 85% der hessischen Studenten die Abschaffung der Gebühr – so viele, wie in keinem anderen Bundesland. Wie wollen Sie die hessischen Hochschulen zu „modernen Dienstleistungsunternehmen“ umfunktionieren bei derart unzufriedener Kundschaft?

Roland Koch
Roland Koch

RK: Ich will nicht verhehlen, dass diese Frage bei der Landtagswahl und ihrem Ausgang eine ausgesprochen wichtige Rolle gespielt hat. Ich habe nie ein Geheimnis aus meiner Auffassung gemacht, dass man von Akademikern, die im Durchschnitt ein deutlich höheres Einkommen haben werden als Nicht-Akademiker, verlangen kann, dass sie einen Beitrag zu ihrer Ausbildung leisten – sofern sie im Beruf stehen. Rund 80 Prozent der Ausbildung von Akademikern wird immer von Nicht-Akademikern bezahlt werden. Durch die Abschaffung der Studienbeiträge werden sich die Studienbedingungen kurzfristig nicht verschlechtern. Mittel- und langfristig jedoch könnten die Länder ohne eigene Studienbeiträge im Wettbewerb der Hochschulen zurückfallen – zum einen, weil der Dienstleistungscharakter zwischen Universitäten und Studierenden, der sich gerade zu etablieren begann, wieder in den Hintergrund tritt; zum anderen, weil Hessen im Wettbewerb der Länder nun eine Insel bildet, auf der man kostenlos studieren kann. Die Situation wird also durch die getroffene Entscheidung nicht leichter. Ich halte aber weiter an dem Ziel fest, die hessischen Hochschulen zu modernen Dienstleistungsunternehmen umzufunktionieren.

sg: Die Studentenschaft hat Sie in der Vergangenheit offen angefeindet, gegen „Sozial-Rolandismus“ und „verkochte Arroganz“ gegiftet – wie will der ehemalige Frankfurter Jura-Student Koch die Studierenden für seine Politik gewinnen?

RK: Es geht bei dieser Frage nicht um mich persönlich. Hessens Hochschulen bieten alle denkbaren Voraussetzungen für ein effektives Studium. Studierende aus der ganzen Welt kommen nach Hessen, weil sich das wissenschaftliche Niveau und die Ausstattung der Hochschulen sehen lassen können. Jeder, der in Hessen studiert, weiß, was er hat. Allein in diesem Jahr stellt Hessen insgesamt 1,48 Mrd. Euro für die Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur Verfügung – die Mittel für die Bauinvestitionen sind dabei noch gar nicht eingerechnet. Jedem, der mich kritisiert, empfehle ich einen gelassenen Blick auf die Tatsachen. Dann nämlich wird sehr schnell deutlich, dass die Hessische Landesregierung keineswegs einen sozialen Kahlschlag betreibt – wie hier und da behauptet wird –, sondern mit großem Engagement und großer Zielstrebigkeit den Wissenschaftsstandort Hessen für eine leistungsstarke Forschung und Lehre nicht nur sichert, sondern ausbaut. Und das trotz knapper Kassen. Doch kann das Land dabei gut Unterstützung von Seiten der Nutzer dieser vorbildlichen Infrastruktur brauchen. Dafür und für den damit verbundenen Wettbewerbscharakter stehe ich.

sg: Hat der Landesvater in seiner Eigenschaft als Familienvater seinen beiden Söhnen zu einem Studium in Hessen geraten?

RK: Ich habe meinen beiden Söhnen zunächst einmal die Entscheidung überlassen, ob sie lieber eine Ausbildung oder ein Studium machen wollen. Der eine möchte Jurist werden wie sein Vater, der andere studiert Elektrotechnik. Beide studieren in Hessen. Aber selbstverständlich hätte ich auch eine andere Entscheidung akzeptiert.

sg: Das CDU-Regierungsprogramm 2008 zeichnet das Bild einer wunderbaren Welt der hessischen Hochschule: von „wissenschaftlicher Freiheit“, von „Lernbegeisterung und Forscherdrang“ als Motor für die Entwicklung der Gesellschaft ist die Rede. Bis 2020 wollen Sie Hessen gar auf die Spitzen-Position des „modernsten Wissenschaftsstandorts“ in Deutschland führen. Wie bringen Sie diese Vision in Einklang mit der Realität eines Haushaltsstopps und eines 92-Millionen-Euro-Lochs in der Hochschulfinanzierung?

RK: Ein Blick in die Statistik zeigt, dass Hessen allein die Landesmittel für den Hochschulbau in den vergangenen zehn Jahren fast vervierfacht hat. Investitionen von damals 65,5 Mio. Euro (1998) stehen heute 250 Mio. Euro (2008) gegenüber. Dazu haben wir im vergangenen Jahr das Investitionsprogramm HEUREKA aufgelegt, mit dem wir Hessen zum modernsten Hochschulstandort in Deutschland ausbauen werden: Bis zum Jahr 2020 wird die Hessische Landesregierung in die bauliche Erneuerung der Universitäten, Fach- und Kunsthochschulen drei Milliarden Euro investieren, also 250 Millionen Euro pro Jahr. Und mit der Forschungsinitiative LOEWE hat das Land Hessen ein eigenes Landesprogramm aufgelegt, um die Lissabon-Strategie, die die Europäische Union zum „Wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ ausbauen will, vor Ort umzusetzen. Nach einer Anlauffinanzierung von 20 Mio. Euro in diesem Jahr werden auf Dauer zusätzliche Mittel in Höhe von 90 Mio. Euro jährlich für Forschungszwecke zur Verfügung stehen. Das erhöht insbesondere auch die Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Hessen.
Welche Anziehungskraft die Investitionen in die hessischen Hochschulen erzeugen, zeigt sich auch daran, dass diese prozentual zur Bevölkerung sehr viel mehr Studentinnen und Studenten ausbilden als andere Bundesländer. Rund 151.000 Studierende sind es derzeit. Mit einer Studienanfängerquote von 43 % liegt Hessen mit Abstand an der Spitze aller deutschen Flächenländer.

sg: Herr Ministerpräsident, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Moritz Trebeljahr
Bildquellen in Reihenfolge: Hessische Staatskanzlei (2)

Links zum Thema

  • Zum Lebenslauf von Roland Koch (Hessische Staatskanzlei)
  • Der Länder-Trend Hessen September 2008 bei Infratest dimap
  • Informationen zu HEUREKA und LOEWE bietet die Homepage des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst

Zur Person

Moritz Trebeljahr ist Redakteur dieses Magazins.

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