Einsamkeit als Lebensform
Einsamkeit gilt nicht als erstrebenswerter Zustand. Sie gar als Lebensform zu wählen – führt das nicht zu einer arg freudlosen Existenz? Im Gegenteil, sagt Thomas Dumm, Professor für Politikwissenschaft am Amherst College in Massachusetts. In seinem neuen Buch „Loneliness as a Way of Life“ argumentiert er, dass wir erst durch Einsamkeit eine Stufe der Selbsterkenntnis erreichen können, die uns als vernünftige Wesen mit anderen interagieren lässt und so den Weg frei macht für neuartige Bindungen.

Anders als der Titel suggerieren mag, hat Dumm keinen Ratgeber geschrieben. Sein Buch ist vielmehr eine ungewöhnliche Mischung aus philosophischer Studie und persönlicher Auseinandersetzung mit seiner eigenen Einsamkeit: Dumm verlor vor einigen Jahren seine Frau und seine Mutter, wenig später zog seine Tochter aus. Er hat also, wie er im Vorwort schreibt, eine „lange und manchmal verworrene intellektuelle und emotionale Reise“ hinter sich. Tatsächlich wird das Buch von Kapitel zu Kapitel persönlicher. Der Tod seiner Frau habe sein ursprünglich als rein politikwissenschaftliche Studie konzipiertes Projekt verändert, sagte Dumm kürzlich bei einem Symposium an der Johns Hopkins University: „Ich habe versucht, das ‚normale Leben‛ mit Hilfe der Philosophie zu erhellen – und umgekehrt.“ Entstanden ist ein eigentümliches Buch, das die Einsamkeit als soziale Verfasstheit mit Hilfe einer enormen Bandbreite an Literatur diskutiert und doch dort am stärksten ist, wo es um Einsamkeit als Gefühl geht.
Die Einsamkeit, die Dumm untersucht, manifestiert sich in “unserer Unfähigkeit, ehrlich und einvernehmlich miteinander zu leben, in den entfremdeten und isolierenden Formen, die unsere Beziehungen zu unseren engsten Vertrauten manchmal annehmen, in der Schwäche unserer Bindungen und folglich unseres Lebens in der Gemeinschaft“. Einsame Menschen findet Dumm auch in Literatur und Film: in „König Lear“, „Tod eines Handlungsreisenden“, „Moby-Dick“ und in dem Film „Paris, Texas“ – doch liefern diese Studien für das eigentliche Thema nur wenig Erkenntnisse. Fruchtbarer ist die Beschäftigung mit Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Von anderen Formen der Gewaltherrschaft unterscheidet sich der Totalitarismus laut Arendt dadurch, dass er alle natürlichen und traditionellen Bindungen zerstöre und dadurch die Einsamkeit unter seinen Bürgern fördere. Er setze, schreibt Arendt, „an die Stelle der Zäune des Gesetzes und der gesetzmäßig etablierten Kanäle menschlicher Kommunikation sein eisernes Band“ und vernichte jeglichen Raum zum Handeln. Dieser totale Terror schmelze die Bürger „in ein einziges Wesen von gigantischen Ausmaßen“ zusammen – ein leicht manipulierbares Kollektiv.
Thomas Dumm
ist Professor für Politikwissenschaft am Amherst College und Autor von fünf Büchern. Zuletzt analysierte er in „A Politics of the Ordinary“ (1999) den Alltag in den USA in seiner Wechselwirkung mit politischen Einflüssen auf der einen und gesellschaftlichem Konformitätsdruck auf der anderen Seite. Dumm ist Mitbegründer der Zeitschrift „Theory&Event“. 2001 erhielt er ein Guggenheim-Stipendium.
Eine ähnliche politische Strategie sieht Dumm im „Krieg gegen den Terror“ nach dem 11. September 2001. Der Begriff der Einsamkeit, definiert als „Erfahrung des Pathos des Verschwindens“, geht in diesem Kapitel zunehmend in den Begriff der Trauer über. Dumm nimmt Judith Butlers Idee auf, dass die Bush-Regierung die emotionalen Energien des amerikanischen Volkes für Akte der Gewalt genutzt habe, statt der Trauer Raum zu lassen. Dadurch, schreibt Dumm, habe die Regierung die Entstehung einer „kollektiven Melancholie“ verhindert, die als gemeinschaftliche Trauerarbeit bei der Bewältigung der Katastrophe hätte helfen können. Die „Politik der blockierten Trauer“ habe die Nation isoliert und unfähig zu produktivem Handeln gemacht. Doch das mittlerweile entstandene Bewusstsein von dem Schaden, den die gewaltsame Reaktion auf 9/11 angerichtet hat, gehe einher mit der Möglichkeit zur Umkehr. Die „gedankliche Arbeit“ in Bezug auf die Katastrophe und ihre Folgen sei eine Chance, „Verzweiflung in Hoffnung umzuwandeln“.
In seinen Bemerkungen über Bush und auch in den persönlichen Abschnitten wird Dumms Tonfall unvermittelt emotional. Eindringlich beschreibt er den Mangel an Zuwendung, den er als siebtes von neun Kindern erfuhr. Seine Mutter habe ihn mit der Einsamkeit vertraut gemacht, indem sie ihr “zu Schreianfällen neigendes, wütendes, gelangweiltes, scharfzüngiges, manchmal gemeines Kind“ als Erziehungsmaßnahme gelegentlich in ein Kämmerchen sperrte. Auf die Kindheitserinnerungen folgt ein Abschnitts über die Krebserkrankung von Dumms Ehefrau und die Operationen, „die mehr aus ihrem Inneren entfernten, als wir für möglich gehalten hatten, verbunden mit sechs Monaten der intensivsten und daher brutalsten Chemotherapie- und Bestrahlungsbehandlung, die zur Verfügung stand“.
Dieses Stück Autobiographie wurde von den Rezensenten des Buches unterschiedlich aufgenommen – manche hörten Wut heraus, andere wiederum fanden es noch zu formell und verhalten im Ton. Im wirklichen Leben wirkt Dumm allerdings weder zornig noch zurückhaltend. Freimütig sprach er bei seinem Besuch an der Johns Hopkins University über den schwierigen Balanceakt, wahrheitsgemäß zu schreiben und dabei seine Familie nicht zu verletzen. In Bezug auf seinen Vater sei ihm das nicht gelungen – dieser empfinde einige Passagen als kränkend. Seine Tochter habe das Buch bislang noch gar nicht aufgeschlagen. Dabei ist sie es, der Thomas Dumm am Ende einen Ratschlag mit auf den Weg gibt, der auch als allgemeines Fazit zu verstehen ist. „Was sollen wir im Angesicht unserer Verluste tun?“, fragt Dumm und fordert seine Tochter – und mit ihr uns alle – auf, ihre eigene Einsamkeit zu erdulden, „hartnäckig, widerstandsfähig, kummervoll, aber auch lächelnd, behutsam, hinhörend“.
Mehrfach betonte Dumm bei dem Symposium zudem, wie wichtig der Mut sei, seine Stimme zu erheben: „Stanley Cavell spricht in diesem Zusammenhang vom ‚Vorangehen‛, vom Mut, als Erster zu sprechen.“ Sein eigenes Buch sei ein Versuch, genau dies zu tun. Es lasse sicherlich viele Fragen offen, doch erfahre er von seinen Lesern mehr über sich selbst – und auch über sie. Ein Stück weit dient „Loneliness as a Way of Life“ Thomas Dumm also doch als Selbsthilfebuch. Gleichzeitig ist es aber ein kleiner Beitrag zu einer weniger einsamen Gesellschaft.
Zur Person
Bianca Schröder (E-mail: bschroe3@jhu.edu) promoviert an der Johns Hopkins University in Baltimore in Literaturwissenschaften und schreibt von dort aus regelmäßig für den taz-Kulturteil.
Literatur
- Loneliness as a Way of Life von Thomas Dumm. Harvard University Press.
