Unser täglich Fleisch und die Schweinegrippe

SARS, Vogelgrippe, BSE oder Schweinegrippe sind alles Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen wurden. Begünstigt hat dies wahrscheinlich die aus dem zunehmenden menschlichen Verlangen nach Fleisch geborene Massentierhaltung.

Schon seit vielen Jahren steht die industrielle Massentierhaltung in der Kritik von Tierschützern. Nicht zu Unrecht; auch seit April 2009 ist dieses Thema wieder in den Mittelpunkt aller Gespräche rund um die gefürchtete „Schweinegrippe“ geraten. Einen plausiblen Grund für das Entstehen dieser neuartige Grippe, auch bekannt als „Mexikogrippe“ oder „Amerikagrippe“, die bislang weltweit 104.731 Menschen infiziert und 467 getötet hat (Stand: 10. Juli 2009), muss es ja geben. Tierschützer sehen nun in der nicht artgerechten Haltung von Schweinen den eigentlichen Ursprung der Krankheit.

Influenzaviren: Erreger der Grippe (Influenza)
Influenza-A-Viren befallen Menschen und verschiedene Säugetierarten wie Schweine, Pferde und Enten. Sie ändern häufig ihre äußere Hülle und entwischen so unserem Immunsystem.
Influenza-B-Viren befallen nur Menschen.
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„Schon im Jahr 1998 kam eine von der EU-Kommission finanzierte Auswertung zahlreicher wissenschaftlicher Studien zu dem Ergebnis, dass die Entstehung von Schweinegrippen eng mit der Bestandsgröße und -dichte in der Tierhaltung zusammenhängt“ berichtete die Albert-Schweitzer-Stiftung. Auch das National Institute of Health (NIH), das größte klinische Forschungszentrum in den USA, hat bereits 2006 vor gefährlichen Folgen von Massentierhaltung im Zusammenhang mit A/H1N1 gewarnt.

Der erste amtlich verzeichnete aktuelle Schweinegrippefall trat in der kleinen mexikanischen Stadt La Gloria nahe einer Schweinemastanlage auf, in der circa 56.000 Schweine gehalten werden. Einwohner beschweren sich hier schon seit Jahren über den Fäkaliengeruch in Luft und Wasser. Ist dieser Ort die Ausbruchsstätte des aktuellen Schweinegrippevirus A/H1N1? Und damit eventuell der tragische Beweis, dass Massentierhaltung nicht nur aus ethischer Hinsicht höchst problematisch ist, sondern auch dem Menschen gefährlich werden kann?

„Mischgefäß“ Schwein

Die Massentierhaltung dient vor allem der maximalen Produktionssteigerung von tierischen Produkten wie Fleisch, Milch oder Eiern, innerhalb kürzester Zeit und bei minimaler Platzanforderung. Schweine, Hühner, Kälber, Gänse, Truthähne und noch viele andere „Nutztiere“, werden in stickigen, überfüllten und verdreckten Ställen oder Käfigen gehalten, in denen die Luft nur so von Bakterien wimmelt. Meist haben die Tiere nicht einmal Platz, um sich umzudrehen. Denn nur so kann die gesamte Körperenergie in das Fleischwachstum fließen. Viele Schweine werden zu Kannibalen: man erkennt man sie an ihren abgebissenen Schwänzen; ein Zeichen aggressiven Verhaltens. Auch können sie so ihr Nährstoffdefizit durch das Blut ihrer Artgenossen ausgleichen.

Subtyp A/H1N1: Ein Influenza-A-Virus mit der Bezeichnung H1N1
H1N1 bezeichnet den Subtyp der Eiweiße, die auf der Virenoberfläche vorkommen. H1 steht für Hämagglutinin Typ 1, N1 für Neuraminidase Typ 1.
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Damit Tiere diese Umstände überstehen, verabreicht man ihnen Antibiotika und andere Medikamente. Wenn ein einziges Tier erkrankt, wird gleich der ganze Bestand mit Antibiotika behandelt. Antibiotika werden aber auch als Futterzusatz eingesetzt, um Leistung und Wachstum zu steigern. Diese Medikamente mögen vielleicht sämtliche Krankheitserreger angreifen, doch schlagen die Bakterien auch irgendwann zurück: sie entwickeln Abwehrmechanismen gegen Antibiotika. Diese Resistenzen tauschen die Bakterien äußerst freigiebig untereinander aus. Es überleben nur die Bakterien, die sich an die Medikamente anpassen. Solche widerstandsfähigen Bakterien aus den Ställen könnten dann über die Nahrung auch auf den Menschen übertragen werden und so die Behandlung von Bakterieninfektionen mit der „Wunderwaffe Antibiotika“ erschweren.

Durch eine solche Haltung sind die Tiere derart gestresst und immungeschwächt, dass ideale Voraussetzungen für eine Infektion mit Viren jeder Art gegeben sind. Bei Schweinen ist eine solche erhöhte Infektionsgefahr jedoch besonders bedenkenswert. Normalerweise dringen nämlich Vogelgrippeviren nur in Zellen von Vögeln oder Menschengrippeviren nur in menschliche Zellen ein. Doch Schweine besitzen spezifische Oberflächenmoleküle auf ihren Zellen, die den Eintritt von Vogelgrippe-, Menschengrippe- und Schweinegrippeviren erlauben. Eine Doppel- oder sogar Dreifachinfektion ist also möglich, so dass Schweine als hervorragende Brutstätte für ein neu zusammengesetztes Virus gelten, wobei Gensegmente untereinander ausgetauscht werden können. Und per Zufall kann eben auch ein Grippevirus entstehen, das Menschen befällt und sich gut von Mensch zu Mensch übertragen kann. Experten haben bestätigt, dass das derzeitige Schweinegrippevirus aus Gensegmenten des Vogelgrippe-, Schweinegrippe- und Menschengrippevirus zusammengesetzt ist; ein Vorfall, der so bisher nie auftrat und deshalb besonders gefürchtet wird.

Evolution im Zeitraffer

Schweinegrippevirus A/H1N1
Schweinegrippevirus A/H1N1

Viren sind keine selbständigen Mikroorganismen, denn sie brauchen Wirte, um sich zu vervielfältigen. Da Viren durch Tröpfcheninfektion übertragen werden, gilt die Tierdichte als ein enormer Risikofaktor. Je enger die Wirte stehen, desto rasanter die Übertragung der Viren. „Eine Evolution im Zeitraffer“ sagte der Veterinärepidemiologe Joachim Otte, der für die UN-Welternährungsorganisation FAO arbeitet, in „Report Mainz“. „Und je mehr Generationen ich habe, desto größer ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendwo eine Mutation durchsetzt, die dann pathogen (krankheitserregend) sein kann für den Menschen.”

Ob das Schweinegrippevirus tatsächlich seinen Ursprung in der Schweinemastanlage nahe La Gloria hat, ist allerdings nicht völlig erwiesen. Die Beweisführung wird auch nicht einfach werden, da Schweine bereits in ihrem sechsten Lebensmonat geschlachtet werden, um auf unseren Tellern zu landen. Durch die Schlachtung verlieren die Viren aber ihre lebenden Wirtszellen und können sich nicht mehr vermehren: dadurch erschwert sich auch der Nachweis der Viren. Da das Virus bisher nur beim Menschen nachgewiesen werden konnte, ist sein Ursprung also weiterhin nicht eindeutig. Fest steht nur, dass das Grippevirus irgendwann einmal engen Kontakt mit einem Schwein, einem Vogel und einem Menschen hatte, bei dem es zu unterschiedlichen Genaustauschvorgängen gekommen sein muss; in welcher Reihenfolge auch immer. Dass das Virus samt Erbgut-Anteilen von Vogelgrippe- und Schweinegrippeviren auf den Menschen übergesprungen ist und sich dort mit menschlichen Grippeviren kombiniert hat, ist dabei genauso denkbar wie eine Übertragung des Virus‘ von einem Vogel auf den Menschen.

Beitrag von Manolya Ezgimen
Bildquellen in Reihenfolge: Flickr: by ro_buk [I'm not there]; Flickr: by AJC1-AJ Cann

Zur Person

Manolya Ezgimen studiert Medizinische Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin.

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Themen: Biologie | Medizin
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