Studieren in Schweden

Kleine Seminargruppen, Gruppenarbeit und flache Hierarchien machen das Studieren in Schweden angenehm. Und auch die kleinen Unterschiede im akademischen Habitus sind schnell zu bewältigen. Sein Mittagessen bringt man allerdings besser selber mit. Ein Erfahrungsbericht über das Studium an der Universität Göteborg.

Mein Versuch, am Deutschen Institut der Universität Göteborg nicht sofort als Erasmusstudentin aufzufallen, ist kläglich gescheitert. Wie gewohnt klopfe ich am Ende meines ersten Kurses auf den Tisch – allerdings als einzige. Meine schwedischen Kommilitonen rufen hingegen freundlich im Chor „Danke für heute“ und räumen dann ihre Unterlagen zusammen. Das vor Seminarende zu tun, wie es ein paar Innsbrucker versuchen, scheint nicht opportun zu sein und wird mit vernichtenden Blicken gestraft. Ich suche die Mensa, die als solche in Schweden aber nicht existiert. Die schwedischen Kommilitonen nehmen mich mit in eine Art Studentencafé mit. Dort befinden sich unzählige Mikrowellen, vor denen Massen von Studierenden mit Tupperschüsseln warten, um ihr mitgebrachtes Mittagessen aufzuwärmen. „Das ist unsere Mensa“, erklärt die Schwedin Hanna, während sie sich in die Schlange einreiht. Es gibt zwar auch warme Mahlzeiten in der Uni, allerdings kosten diese umgerechnet etwa fünf Euro, also doppelt so viel wie ein Mittagsgericht in den meisten deutschen Uni-Mensen. Das Mittagessen aus der Tupperware ist also deutlich preiswerter.

Germanistik in Göteborg

Beim Essen werde ich gefragt, warum ich nach Göteborg komme, um Germanistik zu studieren. „Warum studierst Du Deutsch an einer schwedischen Uni? In Deutschland habt Ihr doch größere Institute.“ Ich argumentiere mit internationalen Studienabschlüssen, neuen Perspektiven auf das eigene Fach und seine Methoden, und damit, dass zu einem ganzheitlichen Bild auch Bedeutung und Stellenwert der Germanistik an ausländischen Universitäten dazu gehören.
In Schweden scheint das Deutsche auch außerhalb der Uni eine bedeutende Rolle zu spielen: Dass viele Schweden Deutschland als „großen Bruder“ bezeichnen, hat wohl mit den deutsch-schwedischen Wirtschaftsbeziehungen zu tun. Auch deshalb wird der Kulturaustausch der beiden Länder in abendlichen Kursen zur deutschen Literatur gefördert: Lehramtsanwärter kommen zu diesen Treffen ebenso wie schwedische Rentner, die in ihrer Schulzeit Deutsch gelernt haben. Bis heute bietet fast jedes schwedische Gymnasium Deutsch als Fremdsprache an, und somit sind nicht nur die Englischkenntnisse der Schweden beeindruckend.

Tatsächlich lerne ich in Schweden einen anderen Zugang zu meinem Fach kennen: Die Seminargruppen in Göteborg sind kleiner. Eine geringere Teilnehmerzahl fordert mehr Engagement seitens der Studierenden und ermöglicht dem Kursleiter auf einzelne Fragen detaillierter einzugehen. Statt studentischer Sitzungsleitung gibt es Kurzreferate, durch Gruppenarbeit wird der Frontalunterricht gebrochen. Gewöhnungsbedürftig ist der Stundenplan; die Seminare finden nicht wie in an meiner deutschen Universität in Freiburg jede Woche zur gleichen Zeit statt, sondern an unterschiedlichen Wochentagen zu unterschiedlichen Zeiten. Dabei können die Stundenpläne von zwei verschiedenen Fächern aber nie kollidieren: Die schwedischen Kommilitonen schließen ein Fach nach dem anderen ab und studieren selten mehrere parallel.

In meinem Semester in Göteborg besuche ich Kurze zur Universalgrammatik und der Varietätenlinguistik, zur Fiktionalität von Günter Grass’ „Mein Jahrhundert“, ein Seminar zu Kinderliteratur und ein weiteres zur zeitgenössischen Literatur – zwei Themenbereiche, die man als Steckenpferd der Göteborger Germanistik bezeichnen kann. Allerdings bleiben die erarbeiteten Inhalte am Ende des Semesters für sich stehen, denn von keinem der Seminarteilnehmer wird eine schriftliche Ausarbeitung it erwartet, es sei denn, es handelt sich um die Abschlussarbeit, die zirka 30 Seiten umfassen muss.

Eine Tatsache, die einen um seine ECTS (European Credit Transfer System)-Punkte besorgten B.A.-Studierenden mitunter nervös machen kann: Die Studiengänge sind nicht wie bei uns in Einführungen, Pro- und Hauptseminare unterteilt, sondern in A-, B-, und C-Kurse, was wiederum bei der Anrechnung der im Ausland erbrachten Leistungen den Studienfachberatern Kopfzerbrechen bereiten und für den zurückgekehrten Studierenden mehrere Gänge zum Prüfungsamt mit sich bringen wird.

Flache Hierarchien

Für deutsche Studierende ungewohnt und die Ursache ständiger „Versprecher“, sind die flachen Hierarchien. Im Seminar zur zeitgenössischen Literatur stellt sich der Dozent einfach mit „Martin“ vor und beim Vornamen bleibt es auch. Akademische Titel sind an seiner Tür nicht zu finden. Wer Gesprächsbedarf hat, klopft an oder schreibt eine E-Mail, um ein Treffen auszumachen. Die klassische Sprechstunde gibt es nicht.

Während der mündlichen Abschlussprüfung stellt mir Martin Fragen zur Realität und Fiktionalität in Felicitas Hoppes Werken. Auf Schwedisch wäre das Duzen kein Problem, man kennt es nicht anders, da die Sie-Form in Schweden nicht existiert – jeder duzt jeden. Aber die Übertragung dieser Anredeform ins Deutsche ist doch etwas neu für mich. Trotz dieser zusätzlichen Konzentrationsübung bestehe ich die Prüfung: „Tack för idag und einen schönen Tag, Herr Hellström, äh, Martin“.

Beitrag von Karolin Schmidt
Bildquellen in Reihenfolge: Karolin Schmidt

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Themen: Studieren im Ausland

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