Die Brückenbauer vom Bosporus

Bosporus-BrückeIn Istanbul soll eine deutsch-türkische Universität entstehen. Das Vorzeigeprojekt der „Ernst-Reuter-Initiative“, mit dem Berlin und Ankara sich um interkulturelle Verständigung bemühen, soll im Wintersemester 2010/2011 starten. Die Finanzierung der Spitzenuniversität ist allerdings noch nicht ganz geklärt.

Bogazici köprüsü, die prachtvolle Brücke über den Bosporus, die 1973 zum ersten Mal in der Geschichte Asien mit Europa verband, wurde von einem deutschen Ingenieur entworfen, an der Errichtung war ein deutscher Baukonzern beteiligt. Als Außenminister Frank-Walter Steinmeier im März 2007 zur Gründung einer deutsch-türkischen Universität aufrief, sprach er von einem weiteren „Brückenschlag“: Die akademische Brücke sollte „nicht nur die Kontinente, sondern die Köpfe und Herzen junger Menschen in der Türkei und in Deutschland noch enger zusammenführen“.

Das Projekt wird von der „Ernst-Reuter-Initiative für Dialog und Verständigung zwischen den Kulturen“ unterstützt, die vor drei Jahren vom Auswärtigen Amt ins Leben gerufen wurde. Reuter, der erste Regierende Bürgermeister von Berlin, war in den 1930er Jahren wie viele deutsche Intellektuelle vor dem NS-Regime in die Türkei geflohen und wurde dort Professor für Städtebau.

Die Vorbereitungen zur Errichtung der Deutsch-Türkischen Universität (DTU) laufen seit Mitte 2006. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung trägt die deutschen Kooperationskosten für den Aufbau der Studiengänge, der Entsendung von Dozenten und weitere Leistungen, die Türkei kümmert sich um Bau, Infrastruktur und Betrieb. Die internationale Hochschule soll 5.000 Studienplätze anbieten.

Auf der deutschen Seite ist der Akademische Austauschdienst für die Koordination zuständig, in der Türkei YÖK (Yüksek Öğretim Kurulu), der mächtige Hochschulrat. Beide haben für das Projekt nationale Hochschulkonsortien gegründet. In Deutschland sind die TU Berlin, FU Berlin sowie die Universitäten Potsdam, Heidelberg, Köln, Münster und Bielefeld an den Gesprächen beteiligt, weitere 16 deutsche Hochschulen unterstützen das Projekt mit akademischem Know-how.

In enger Absprache mit den türkischen Kollegen sollen fünf Fakultäten aufgebaut werden: Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften sowie Geistes- und Kulturwissenschaften. Die geplanten Abschlüsse – BA, MA und PhD – orientieren sich am Bologna-Prozess, die Unterrichtsprachen sind Deutsch, Englisch und Türkisch. In einem campuseigenen Sprachzentrum werden türkische Studenten Deutsch und deutsche Türkisch lernen können.

„Das ist ein ehrgeiziges Projekt“, sagt Vera Nünning, Gründungspräsidentin des deutschen Hochschulkonsortiums und Prorektorin für internationale Beziehungen an der Universität Heidelberg. „Innerhalb von fünf Jahren wollen wir zu einer der führenden Universitäten in der Türkei werden und im europäischen Konzert mitspielen. Wir wollen auf Europa ausstrahlen.“ Nächstes Jahr übernimmt Istanbul den Titel der Kulturhauptstadt Europas, im gleichen Jahr, voraussichtlich im Wintersemester 2010/2011, will die DTU den Lehrbetrieb aufnehmen.

Doch viele Fragen sind noch zu klären. Zum Beispiel, wo der Campus entstehen wird. Da die DTU als staatliche Universität türkischem Hochschulrecht unterliegt, muss das Projekt erst eine Reihe bürokratischer Hürden nehmen. Voraussichtlich im Herbst könnte das türkische Parlament das Gründungsgesetz verabschieden, erst danach wird der Staatspräsident einen Rektor ernennen. Der wird dann mit seinen Dekanen die deutschen Vorschläge zu den Lehrplänen prüfen.

„Ich glaube nicht, dass die das eins zu eins übernehmen“, sagt Müfit Bahadir, Vizepräsident der TU Braunschweig für internationale Beziehungen und Mitglied im DAAD-Vorstand. „Die türkische Seite wird bestimmt sehr selbstbewusst auftreten.“ In den 1930er Jahren halfen deutsche Exilanten wie der Wirtschaftswissenschaftler Fritz Neumark, der Jurist Ernst Hirsch oder der Bildhauer Rudolf Belling maßgeblich, das türkische Hochschulwesen aufzubauen. Heute aber, sagt Bahadir, sei die Türkei kein akademisches Entwicklungsland mehr.

1947 in Istanbul geboren, studierte Bahadir in den 1970er Jahren Chemie in Berlin und Bonn, seit 20 Jahren ist er Professor für Ökologische Chemie und Abfallanalytik in Braunschweig. Er arbeitet an den DTU-Curricula für die Natur- und Ingenieurwissenschaften mit. „Alles was mit Umwelttechnik zu tun hat, ist für die Türkei sehr interessant, die Branche boomt.“ Es ist also kein Mangel an türkischen Studenten zu erwarten, auch für die Wirtschaftswissenschaften nicht, zumal mehr als 2500 deutsche Firmen in der Türkei investiert haben. Ob allerdings auch junge deutsche Naturwissenschaftler und Ingenieurstudenten nach Istanbul gehen, bezweifelt Bahadir. „Da entscheidet man sich in der Regel doch für die USA“. Die DTU werde vor allem für deutsche Kulturwissenschaftler interessant sein.

Wie viele der insgesamt 5.000 DTU-Studenten aus Deutschland kommen werden, ist also unklar. „Ich bin kein Prophet!“ sagt Vera Nünning, die die Vorbereitung der Lehrpläne in Deutschland koordiniert. Fest steht, dass der Anteil deutscher Dozenten bei rund 20 Prozent liegen wird. Die DTU soll keine Studiengebühren, lediglich Verwaltungsgebühren, erheben. Eine Aufnahmeprüfung für Studenten aus Deutschland soll es auch geben, die genauen Zulassungsbedingungen müssen jedoch laut Nünning noch verhandelt werden. Für türkische Abiturienten wird die landesübliche zentralisierte Hochschulaufnahmeprüfung gelten: Die Punktezahl, die man bei dieser Prüfung bekommt, entscheidet darüber, an welchen Universitäten man sich einschreiben darf. Wie hoch sich die DTU im türkischen Hochschulranking etabliert, wird von der Qualität der Lehre und Forschung abhängen.

Ob es zu einer Spitzenuni reicht, ist nicht klar. Müfit Bahadir befürchtet, das Projekt könnte unterfinanziert sein. Bisher ist nicht offiziell bekannt, wieviel Geld die türkische Seite in das Projekt investiert; es werden Zahlen zwischen 70 und 80 Millionen Euro für die nächsten zwei Jahre genannt – für eine Eliteuniversität nicht viel. Die deutschen Kooperationskosten für die DTU werden vom Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) getragen. Deutschlands finanzieller Beitrag liegt bei knapp 3,5 Millionen Euro pro Jahr und fließt in das Lernmaterial für das Sprachlernzentrum, die Zuschüsse zu Ortsgehältern, Stipendien sowie die Fortbildung der Lehrkräfte. Der Deutsche Akademische Austauschdienst hofft auf finanzielle Unterstützung durch türkische Unternehmen: „Die türkische Wirtschaft verzeichnet ein dynamisches Wachstum; Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei. Daher ermutigen wir die Wirtschaft, aber auch private Stiftungen, sich in den weiteren Gestaltungsprozess einzubringen.“ Bislang hat sich allerdings noch kein Gönner gemeldet.

Beitrag von Timofey Neshitov
Bildquellen in Reihenfolge: Caiuscamargarus – CC

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Timofey Neshitov ist freier Journalist.

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Themen: Hochschule | Studieren im Ausland
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