Genetik von Genie und Wahnsinn
Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften John Nash hat eines mit vielen bedeutenden Geistern der Geschichte gemeinsam: Er ist höchst kreativ und litt einen Großteil seines Lebens unter schweren Psychosen. In dem Oscar gekrönten Film „A Beautiful Mind“, der von Nashs Leben handelt, sieht man wie der hochbegabte US-Mathematiker sich mit Phantasiegestalten unterhält oder vergebens versucht, vermeintliche Botschaften des sowjetischen Geheimdienstes zu entschlüsseln. Nash, bei dem bereits in jungen Jahren Schizophrenie diagnostiziert wurde, entspricht der gängigen Vorstellung, dass außergewöhnlich kreative Menschen häufig „verrückt“ oder zumindest nicht ganz „normal“ seien.
Psychologie und Genetik
Die Verhaltensgenetik beschäftigt sich mit dem Einfluss von Genen auf das Verhalten bei Menschen und Tieren.
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Diese Nähe von Genie und Wahnsinn war insbesondere in der Romantik ein beliebtes Thema, dem sich beispielsweise Arthur Schopenhauer in seinem philosophischen Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ widmete. So behauptet Schopenhauer „[...]bei häufiger Besuchung der Irrenhäuser, einzelne Subjekte von unverkennbar großen Anlagen gefunden zu haben, deren Genialität deutlich durch den Wahnsinn durchblickte[...]. Dieses kann nun nicht dem Zufall zugeschrieben werden[...]“.
Ein Gen für Kreativität und Schizophrenie
Neuregulin-1
Neuregulin-1 (NRG-1) spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung und Funktion des Nervensystems und des Herzens.
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Eine aktuelle Studie der traditionsreichen Semmelweis-Universität in Budapest, die unlängst in der Fachzeitschrift Psychological Science erschienen ist, zeigt nun, dass eine Genvariante namens Neuregulin-1, die mit Psychosen und Schizophrenie in Zusammenhang gebracht wird, offenbar auch die Kreativität beeinflusst. Vorangegangene Forschungsarbeiten ließen bereits darauf schließen, dass dieses Gen mit einem erhöhten Schizophrenierisiko in Verbindung steht. Die Studie des ungarischen Forschers Szabolcs Kéri mit 200 gesunden Versuchspersonen legt den Schluss nahe, dass Neuregulin-1 auch die schöpferischen Fähigkeiten eines Menschen beeinflussen könnte. Entscheidend ist hierbei die unterschiedliche Ausprägung des Gens, die von Wissenschaftlern auch als Polymorphismus bezeichnet wird. Bei etwa der Hälfte der Bevölkerung in Europa ist eine Kopie des Gens im Erbgut feststellbar, bei etwa 15 Prozent sind es sogar zwei Kopien. Szabolcs Kéri hält es für wahrscheinlich, dass Menschen mit mehreren Kopien des Gens nicht nur anfälliger für Schizophrenie sind, sondern auch kreativer. Um die Kreativität der Probanden festzustellen wurden psychologische Labortest durchgeführt und ihre bisherigen Leistungen im Bereich der Kunst und der Wissenschaft erfasst.
Wie sich Neuregulin-1 genau auf die Kreativität auswirkt, ist noch unklar. Es gibt Hinweise darauf, dass das Gen Einfluss auf die Entwicklung von Stirnbereichen des Gehirns nimmt, die eine hemmende Funktion für die Verarbeitung von Informationen besitzen. Eine Störung dieser Bereiche und das damit verbundene „Gedankenchaos“ sind typische Merkmale der Schizophrenie. Laut Kéri könnte genau dies bei einigen Menschen aber auch kreatives Potential freisetzen: ihre Gedanken wären demnach freier und ungehemmter. Damit sich der Einfluss des Gens aber tatsächlich in außergewöhnlich kreativen Leistungen äußert, wie bei John Nash, ist vermutlich auch eine überdurchschnittliche Intelligenz vonnöten, die den Ansturm der Gedanken bändigen kann.
Kreativität als evolutionärer Vorteil
Wie misst man Kreativität?
Stellen Sie sich vor, von den Wolken würden Fäden bis zur Erde herabhängen. Was würde geschehen?
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Besonders schöpferische Menschen haben übrigens häufig noch eines gemeinsam: sie sind sehr erfolgreich beim anderen Geschlecht. So zeigte eine britische Studie, die im Jahre 2006 von der Royal Society veröffentlicht wurde, dass Menschen die sich kreativ betätigten durchschnittlich auch mehr Sexualpartner aufwiesen. Träger des Gens Neuregulin-1 könnten also unter Umständen einen evolutionären Vorteil gehabt haben, da Kreativität die Attraktivität für potentielle Sexualpartner steigert. Die Ergebnisse der Studie würden somit auch erklären, warum diese genetische Abweichung, trotz der möglichen negativen Auswirkungen, im Laufe der Evolution erhalten geblieben ist. Trotz der häufigen Brotlosigkeit von Kunst und Wissenschaft scheint sich Kreativität also doch auszuzahlen.
Links zum Thema
- Studie von Szabolcs Kéri in der Fachzeitschrift Psychological Science
- Studie zum Zusammenhang von Kreativität und sexueller Attraktivität, die von der britischen Royal Society veröffentlicht wurde
- Die offizielle Website zum Hollywoodfilm über den Mathematiker John Nash
Zur Person
Stefan Belles ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Technischen Universität Dortmund.
Literatur
- Roy Porter (2007): Wahnsinn. Eine kleine Kulturgeschichte. Frankfurt.
- Erwin-Josef Speckmann (2008): Das Gehirn meiner Kunst. Kreativität und das selbstbewusste Gehirn. Münster.
- Renate Klöppel (2007): Die Schattenseite des Mondes. Ein Leben mit Schizophrenie. Reinbek.