Doch wie steht es nun um die Zukunft der Blondinen? Ist ihr Bestand nun bedroht oder nicht? Nun – von einem Aussterben kann gewiss keine Rede sein – schon gar nicht innerhalb von nur 200 Jahren. Dass ein so verbreitetes Merkmal innerhalb von nur etwa sieben Generationen nicht vollständig verschwinden kann, sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Dennoch ist davon auszugehen, dass in Zukunft der Anteil blonder Menschen an der Weltbevölkerung zurückgehen wird. Der Grund dafür ist, dass die verantwortliche Genausprägung für blonde Haare rezessiv ist. Bei der Zeugung kommen je ein Chromosomensatz von Mutter und Vater zusammen. Jedes Gen ist damit in zweifacher Ausführung vorhanden. Hat das Gen für die Haarfarbe beide Male die Ausprägung "blond", wird das Kind blond. Hat jedoch eines der beiden Gene die Ausprägung "schwarz", wird das Kind schwarze Haare haben . Vereinfacht ausgedrückt, denn in Wirklichkeit hängt die Haarfarbe von mehreren Genen ab.
Pflanzen sich in Zukunft vermehrt blonde mit schwarzhaarigen Personen fort, werden ihre Nachkommen überwiegend dunkle Haare haben. Genau dazu wird es in Zukunft infolge zunehmender Migration kommen: Die meisten Menschen auf der Erde sind schwarzhaarig – nach realistischen Schätzungen dürften lediglich zehn bis zwölf Prozent aller Menschen blond sein. Je nachdem, wie man blond definiert.
Insbesondere in den bevölkerungsreichsten Ländern der Erde – China, Japan, Indonesien, Bangladesch, Indien, Pakistan, sowie ganz Afrika und Südamerika – sind nahezu alle Menschen schwarzhaarig. Kommt es durch Migration – insbesondere der Zuwanderung von schwarzhaarigen Menschen aus Ländern der Dritten Welt nach Europa und Nordamerika, werden künftig durch die Vermischung der Bevölkerungsgruppen in Zukunft mehr Dunkelhaarige geboren werden.
Schwarze Haare werden sich durchsetzen, weil deren Genausprägung dominant ist. Doch damit sind Gene für blonde Haare keineswegs verschwunden. Ein Mensch, bei dem das eine Gen die Ausprägung für blond besitzt und das andere die Ausprägung für schwarz, hat zwar selbst schwarze Haare, kann aber die Ausprägung blond dennoch weiter vererben. Bei der Fortpflanzung werden die Chromosomenpaare nach Zufallsprinzip halbiert und weiter gegeben. Gewinnt das Gen mit der Ausprägung blond in dieser „Lotterie“ und trifft es im Ei bzw. Spermium auf ein anderes seiner Art, wird das Kind blond sein.
Rezessive Gene verschwinden also nicht so einfach. Sie haben dieselbe Wahrscheinlichkeit, weitervererbt zu werden wie dominante Gene. Gene für Blond werden also im Genpool der Menschheit gleich häufig bleiben, lediglich die Phänotypen (= Aussehen der Nachkommen) werden sich verändern. Die Menschen werden seltener blond aussehen, obwohl sie Gene für blond in sich tragen.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit war die Tendenz zur genetischen Vereinheitlichung durch Einwanderung und Kreuzungen so groß wie heutzutage. Neu ist jedoch nur das Ausmaß – das Phänomen an sich ist nichts Neues: die Völker wandern, seit es Menschen gibt. Stämme und Völker dringen auf fremde Gebiete vor, absorbieren ihre Nachbarn und rotten sie gelegentlich sogar aus. Seit dem 16. Jahrhundert, als die Europäer die Neue Welt eroberten und afrikanische Sklaven mitbrachten, hat sich dieser Trend enorm verstärkt. Weiter homogenisiert wurde die Menschheit im 19. Jahrhundert nach der Kolonisierung Australiens und Teilen Afrikas. Durch Industrialisierung und Globalisierung hat sich dieser Trend deutlich verstärkt. Zwar sind die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen in den jeweiligen Regionen noch sehr ausgeprägt, doch die Entwicklung zur Vereinheitlichung verläuft rapide und ist unumkehrbar.
Der berühmte Biologe E.O. Wilson, der Begründer der Soziobiologie, betont jedoch, dass durch diese Vermischung nicht die Richtung der Evolution beeinflusst wird. Es verschwimmen dadurch lediglich die durchschnittlichen Unterschiede zwischen den Menschen, die ohnehin noch nie groß gewesen sind (vgl. Wilson, 1995). Paradoxerweise verstärken sich dadurch gleichzeitig individuelle Unterschiede innerhalb einer Population: Heute können viel mehr Kombinationen genetisch bedingter Eigenschaften wie Gesichtszügen, Hautfarbe und Haarfarbe beobachtet werden als je zuvor, z.B. blaue Augen und dunkle Haare oder braune Augen und blonde Haare.
Genetische Vermischung lässt sich mit dem Zusammenrühren von Flüssigkeiten in einem Gefäß vergleichen: Das Gemisch verändert sich dramatisch, doch die Einzelteile bleiben in Art und Häufigkeit gleich. Auch im Fall der Erbsubstanz bilden sich beim Vermischen viele neueKombinationen. Aber die einzelnen Komponenten, aus denen sich das gesamte Genom zusammensetzt, ändern sich nicht.
Doch es ist fraglich, ob in Zukunft die Homogenisierung genetischer Unterschiede weiterhin eine so bedeutende Rolle spielen wird. Wahrscheinlich werden ganz andere Faktoren die menschliche Evolution bestimmen – zumindest in den reichen Industrieländern. Durch die Fortschritte der Genetik und Molekularbiologie wird das Erbgut und der Phänotyp eines Menschen bald immer weniger vom bloßen Zufall oder der natürlichen Auslese bestimmt sein, sondern vom Wunsch seiner Eltern. Es scheint, dass es bald nur noch eine Frage der Zeit und des Geldes sein könnte, bis Eltern sich ihr Kind mit den gewünschten Merkmalen aus Katalogen von Gentech-Fortpflanzungsdienstleistern zusammenstellen werden – ähnlich wie man sich heute die Ausstattung eines Autos zusammenstellen kann. Zwar ist genau das für die meisten Menschen heutzutage noch die Horrorvorstellung schlechthin, die ihnen beim Stichwort „Gentechnik“ in den Sinn kommt. Doch das moralische Empfinden wird sich den neuen gesellschaftlichen Realitäten sicherlich so rasch anpassen wie dies schon immer der Fall war, wenn eine Mehrheit den Eindruck hatte, dass ihnen eine bestimmte Entwicklung mehr Vor- als Nachteile brachte. So lehnte z.B. auch die große Mehrheit 1978, als die erste künstliche Befruchtung im Reagenzglas gelang, ein solches Verfahren als moralisch verwerflich ab. Heute hingegen, nur eine Generation später, kommen in Deutschland jährlich 12.000 (1,6 Prozent aller Geburten) durch eine In-vitro-Fertilisation zur Welt und kaum jemand findet noch etwas dabei.
So wird es wohl auch mit der Akzeptanz bei der Anwendung von Gentechnik für reproduktive Zwecke kommen. Die Wahl der Haarfarbe wird dabei freilich nur ein wählbares Merkmal unter vielen sein – und gewiss nicht das wichtigste. Sicherlich wird dies die Häufigkeit bestimmter äußerer Merkmale – auch der Haarfarbe – verschieben. Vielleicht wird es bestimmte Moden geben, Jahre, in denen besonders viele Blonde zur Welt kommen, und wiederum Jahre, in denen es viele Rothaarige gibt. So, wie zur Zeit die mit Abstand beliebteste Farbe bei Autos Silber ist. Vielleicht wird Blond zur bevorzugten Haarfarbe bei Frauen, hingegen Schwarz bei Männern.
Ein Verschwinden äußerlicher Unterschiede dadurch, dass der Mensch seine Evolution selbst in die Hand nimmt, ist jedoch kaum zu erwarten. Auch wenn viele das Gegenteil befürchten und glauben, die Menschen würden sich dadurch immer ähnlicher sehen, weil die meisten Eltern einen bestimmten Typ beim Aussehen bevorzugten. Im Gegenteil: Ein Zurückgehen äußerlicher Unterschiede droht viel eher durch die „Natur“ als Folge von Migration und natürlicher Fortpflanzung. Dass sämtliche Eltern über Jahre hinweg dieselben „Ausstattungsmerkmale“ für ihren genetisch optimierten Nachwuchs wählen könnten, ist sehr unwahrscheinlich – schließlich kaufen auch nicht alle Menschen das gleiche Auto. Was die Zukunft bringen mag, bleibt ungewiss. Aber sicherlich dürften noch einige Überraschungen dabei sein.