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Magazin für junge Forschung

Zum Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung
Fundstücke Ausgabe Oktober 2001

Westöstliche Lesetipps

Seit dem 11. September begegnet einem wieder das Schlagwort vom Kampf der Kulturen. Lohnt sich ein Blick in das Buch von Samuel P. Huntington? Aber Vorsicht: Wer über Kultur nachdenkt, betritt einen Kampfplatz. Lektürevorschläge angesichts der aktuellen Ereignisse ...

 

1816 legt der deutsche Dichterfürst im Morgenblatt für gebildete Stände ein Bekenntnis ab: "Der Dichter betrachtet sich als einen Reisenden. Schon ist er im Orient angelangt. Er freut sich der Sitten, Gebräuche, an Gegenständen, religiösen Gesinnungen und Meinungen, ja, er lehnt den Verdacht nicht ab, dass er selbst ein Muselmann sei.". Johann Wolfgang Goethe kündigte so seine Gedichtsammlung Westöstlicher Divan an, der er wegen der allgemeinen Unkenntnis bezüglich der islamischen Kultur gleich 140 Seiten Kommentare folgen lässt. Durchweg begegnet er dem Orient positiv, er möchte seine Aufmerksamkeit dorthin lenken, "woher so manches Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte" und "woher täglich mehr zu hoffen ist."

Solch uneingeschränktes Wohlwollen für orientalische Kultur findet man gegenwärtig kaum. Ein Blick in die heutigen Blätter für die gebildeten Stände zeugt mehr von "europäischen Urängsten vor dem erobernden islamischen Krummsäbel" (Harald Müller); das Trauma der "Türken vor Wien" hat sich in unsere europäische Kultur tief eingegraben. Auch wer schon als Kind die Märchen aus tausendundeiner Nacht vorgelesen bekam, bleibt skeptisch. Vor allem stößt man auf ein Buch, welches zwar keine neuen Einsichten enthält, aber eine prägnante und zusammenfassende Darstellung einer konservativ und fachlich uninformierten öffentlichen Meinung darstellt: Samuel P. Huntingtons The Clash of Civilizations von 1996.

In der ebenso erfolgreichen Übersetzung ist eine nicht unbedeutende Sinnverschiebung enthalten: Aus einem Zusammenstoß der Zivilisationen wurde Der Krieg der Kulturen. Kultur und Zivilisation sind hochaufgeladene Begriffe, die in der europäischen, speziell deutschen Geschichte auch immer Kampfvokabeln waren, wie Georg Bollenbecks Studie Bildung und Kultur offen legt. Doch zum Phänomen Huntington: Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft und gehört zum ´Think Tank´ der amerikanischen Außenpolitik; er leitet das John M. Olin Institut für Strategische Studien an der Harvard Universität und ist Mitbegründer der Fachzeitschrift Foreign Affairs.

In Deutschland trennt sich die Politikwissenschaft meist von konkreten politischen Absichten und bleibt kritisch beobachtend. Sie ist sicher nicht absolut neutral, aber als parteipolitische Beratung mit akademischer Weihe meist relativ uninteressant. Wissenschaft, die sich mit solchen Interessen offensichtlich infiziert, wird wissenschaftlich nicht mehr ernst genommen.

Samuel P. Huntington hat diesen Problem nicht. Seine Studie versteht er nicht als "sozial-wissenschaftliches Werk", sondern er möchte ein Paradigma liefern, das auch "für die Macher der Politik nützlich ist" (S. 12). Die Politikwissenschaftler hat Huntington mit seinem Buch ziemlich verärgert, konservative Politiker und einen Teil der Öffentlichkeit allerdings sehr erfreut. Seine These vom Krieg der Kulturen ist verblüffend verständlich - man könnte auch sagen eindimensional. Hier liegt auch der Grund für den Erfolg: Keine andere außenpolitische Theorie ist ähnlich unterkomplex angelegt, ähnlich journalistisch geschrieben und erscheint Laien so plausibel. Damit rückt Huntington in die Nähe von Alleswissern wie Peter Scholl-Latour, der allerdings zum Glück nie ins akademische Lager wechseln konnte und auch keine wirksame Politikberatung betreibt.

Auch Huntington hält den Kalten Krieg für beendet. An die Stelle ideologischer und ökonomischer Konflikte treten seiner Meinung nach im 21. Jahrhundert Konflikte zwischen Zivilisationen (oder Kulturen). Er unterscheidet davon sieben, die chinesische, japanische, hinduistische, islamische, lateinamerikanische, afrikanische und die westliche. Diese Kulturen sind in seinen Augen die politischen Akteure der Zukunft, die in einer Konkurrenz zueinander stehen. Allerdings existiere eine "islamisch-konfuzianische Achse", und schnell kristallisiert sich heraus, dass Huntington primär den Kampf USA (=der Westen) gegen "den Islam" meint.

Nun stellt er fest, dass "der Islam" zahlenmäßig wächst, also an Stärke gewinnt. Demgegenüber jedoch meint er, dass die westliche Kultur zerfällt und verdunkelt den Horizont ähnlich wie Oswald Spengler in den 1920er Jahren mit seiner These vom Untergang des Abendlandes. Zitate aus dem Buch wirken nicht selten wie politische Kampfparolen eines konservativen Populismus: "Kann der Westen sich erneuern, oder wird anhaltende innere Fäulnis einfach sein Ende und/oder seine Unterordnung unter andere (...) Kulturen sein?" (S. 499).

Das Bedrohungsszenario kann für populistische Politik benutzt werden, sein Entwurf ist daher, wie vom Autor angekündigt, politisch nützlich. Ein weiteres Zitat, welches auf den ersten Blick überaus plausibel klingt, gerade nach New York und Washington: "Die riesigen Zahlen von jungen Leuten mit Hochschulreife werden der Islamischen Resurgenz weiter Auftrieb geben und verstärkt muslimische Militanz, muslimischen Militarismus und muslimische Migration fördern. Infolgedessen werden die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts die anhaltende Resurgenz nichtwestlicher Macht und Kultur sowie den Zusammenprall der Völker nichtwestlicher Zivilisationen mit dem Westen (...) erleben" (S.189). Stimmt das?

Wissenschaftler haben auf das populärwissenschaftlich geschriebene Buch mit differenzierten Gegenentwürfen geantwortet, die jedoch nicht in zwei Sätzen wiederzugeben sind. Weltumspannende Theorien bedürfen einem hohen Maß an Abstraktion - und die ist nicht fernsehkompatibel. Auf diese Entwürfe kann hier also nur kurz hingewiesen werden. Unter anderem hat Klaus F. Geiger in Krieg oder Frieden der Kulturen eine ausführliche Kritik an Huntington geliefert. Eine Kurzfassung als Aufsatz findet sich unter dem Titel Vorsicht: Kultur. Stichworte zu kommunizierenden Debatten.

Der bekannteste deutsche Friedens- und Konfliktforscher Dieter Senghaas hat in Zivilisierung wider Willen beschrieben, dass die globale Entwicklung nicht zu Konflikten zwischen, sondern primär zu Konflikten innerhalb der Kulturen führt. Schon die Idee von geschlossenen Kulturen, die quasi als Akteure weltpolitisch auftreten, ist verfehlt. Samuel S. Huntington schließt damit an eine Tradition an, die Kulturhistorie noch wie Egon Friedell in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit (1927-32 erschienen) als lineare Erzählung präsentieren konnten. Es geht hier nicht um Kulturgeschichte im eigentlichen Sinn, sondern um die Verteidigung der westlichen Kultur gegen vermeintliche Feinde. Friedell verteidigt sie in den 1930er Jahren noch gegen "Russen, Amerikaner und Juden", Huntington verteidigt sie gegen "den Islam". Wie kompliziert hingegen das Verhältnis von Kultur & Geschichte geworden ist, wenn man nicht alle wissenschaftliche Erkenntnis über Bord wirft, lässt sich komprimiert im gleichnamigen Sammelband bei Reclam nachlesen.

Auch Harald Müller, habilitierter Politikwissenschaftler und Chef der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hat mit Das Zusammenleben der Kulturen einen Gegenentwurf zu Huntington vorgelegt. Wo Huntington Kampf sieht, sieht Müller Dialog und Kooperation als Möglichkeit, die er nicht zuletzt aus der Praxis seiner Institution kennt.

Wer einen zynischen Zugang zum Problem schätzt, kann zum Thema etwas bei Heiner Müller nachlesen, der für den berserkerhaften Umgang mit Geschichte immer ein Garant war. Von mehr künstlerischer Qualität sind seine Betrachtungen zum Fundamentalismus unter dem Titel Da trinke ich lieber Benzin zum Frühstück ...


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Ausgewählte Literatur zu den Themen Kultur, Islam und Terrorismus:

  • Georg Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt a. Main: 1996
  • Christoph Butterwege: Kampf oder Dialog der Kulturen? In: Migration & Soziale Arbeit 2 (1996), S. 44-48.
  • Elisabeth Bronfen u.a. (Hg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Tübingen: 1997
  • Christoph Conrad / Martin Kessel: Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung. Reclam, Stuttgart: 1998
  • Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. (1927-32). Neuauflage im C.H.Beck Verlag, München: 1996
  • Klaus F. Geiger: Krieg und Frieden der Kulturen. Kassel: 1998
  • Klaus F. Geiger: Vorsicht Kultur. In: Das Argument 224 (1998), S. 81-90.
  • Johann W. Goethe: Westöstlicher Divan. In: ders.: Werke in 14 Bänden. Hg. von Erich Trunz(Hamburger Ausgabe), Bd. 2, S. 7-270. Zitat aus dem Morgenblatt ebd. S. 268. und aus den Noten und Abhandlungen: ebd. S. 128.
  • Kai Hafez (Hg.): Der Islam und der Westen. Anstiftung zum Dialog. Frankfurt a. Main: 1997
  • Wilhelm Heitmeyer u.a. (Hg.): Desintegration und Islamischer Fundamentalismus. Über Lebenssituation, Alltagserfahrung und ihre Verarbeitungsformen bei türkischen Jugendlichen in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B7-8 (1998), S. 17-31.
  • Kai Hirschmann / Peter Gerhard (Hg.): Terrorismus als weltweites Phänomen. Bundesakademiefür Sicherheitspolitik. Berlin: 2000 (Enthält einen Text über Osama bin Laden, der einige Jahre mit ca. $ 500 Mio. jährlich von der US Regierung im Kampf gegen die Taliban Rebellen unterstützt wurde.)
  • Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. München/Wien: 1996 (Originalausgabe: The Clash of Civilizations, Simon & Schuster, New York: 1996; als Aufsatz: The Clash of Civilizations? In: Foreign Affairs 2 (1993) p. 22-49.)
  • Amin Maalouf: Mörderische Identitäten. Suhrkamp. Frankfurt a. Main: 1998.
  • Harald Müller: Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegenentwurf zu Huntington. Frankfurt a. Main: 1998
  • Heiner Müller: Da trinke ich lieber Benzin zum Frühstück. Betrachtungen zumFundamentalismus. In: ders.: Zur Lage der Nation. Gespräche. Berlin: 1990
  • Dieter Oberndörfer: Über die individuelle Aneignung kultureller Güter. In: Das Parlament.Thema: Europa als Wertegemeinschaft. Nr. 1-2 vom 8. Januar 1999.
  • Norman Peach: Krieg der Zivilisationen oder dritte Dekolonialsation? In: Blätter für deutscheund internationale Politik 3 (1998).
  • Dieter Senghaas: Zivilisierung wider Willen. Der Konflikt der Kulturen mit sich selbst. Frankfurt a. Main: 1998
  • Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes (1918/1922), Neuauflage München: 1980.
  • Basam Tibi: Der religiöse Fundamentalimsus im Übergang zum 21. Jahrhundert. Mannheim u.a.: 1995

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