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Die Begegnung der KulturenIn Bonn lebt die weltweit verehrte Annemarie Schimmel. "Ihr Werk gilt der Kenntnis und dem Verständnis des Islam, seinem inneren Leben und seiner kulturgenerierenden Begegnung mit dem Okzident". Fundstücke aus ihrer Friedenspreisrede von 1995 ... Annemarie Schimmel, 1922 in Erfurt geboren, begann schon mit 15 Jahren Arabisch zu lernen. Sie übersetzt heute aus sechs orientalischen Sprachen und hat eine kaum zu überblickende Menge wissenschaftlicher Arbeiten in Englisch, Deutsch und Türkisch publiziert. Sie war Professorin an der Universität Ankara, in Bonn, in London und von 1970-1992 an der Havard-University in Cambridge. In ihrer Heimatstadt Bonn ist sie selten anzutreffen, weil sie meist in Pakistan oder Indien unterwegs ist. Als sie 1995 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, wurde sie erst einmal durch die Mühlen der unverständigen Presse gedreht, weil ihre Äußerungen zur Fatwa gegen Salman Rushdie mißverstanden wurden. Schaut man in die Dankesrede von Annemarie Schimmel, die Laudatio hielt damals der Bundespräsident Roman Herzog, dann gelten viele Passagen uneingeschränkt für die Situation nach dem 11. September 2001. Einige Fundstücke folgen unkommentiert ... "Der Belagerung Wiens durch die Türken 1529 folgten blutrünstige Türkendramen. Zur gleichen Zeit aber lernte man, durch objektive Berichte von Kaufleuten und Reisenden, eine andere Seite des Orients kennen. Die erste französische Übersetzung der Märchen aus 1001 Nacht zu Beginn des 18. Jahrhunderts gaukelte Europa einen Orient der Feen, Dschinninnen und sinnlicher Verlockungen vor, aus dem Generationen von Dichtern, Malern und Musikern ihre Inspiration schöpften. Gleichzeitig verhalf die Aufklärung der Arabistik und Islamkunde ebenso wie der Indologie zu einer selbständigen Stellung in der Wissenschaftsgeschichte; erste wissenschaftliche Arbeiten und Übersetzungen gaben den Anstoß zur orientalisierenden Dichtung im Deutschen, an deren Spitze Goethe steht, dessen "West-Östlicher Divan" mit seinen "Noten und Abhandlungen" eine bis heute unübertroffene Analyse islamischer Kultur darstellt." (...) "Wir aber werden täglich durch die Massenmedien nicht nur unterrichtet, sondern unausweichlich eingebunden in ein Bild der Welt, das uns oftmals mit Schrecken, immer mit Sorge erfüllt. Können wir überhaupt noch ein positives Verhältnis zu der islamischen Kultur haben, der wir so viel verdanken, die aber den meisten Europäern fremd erscheint und der immer wieder vorgehalten wird, sie habe keine Reformation, keine Aufklärung gehabt und sei deshalb, wie Jacob Burckhardt vor einem Jahrhundert mit vernichtender Ablehnung sagte, "unfähig zur Wandlung"? Vergessen aber dabei die meisten nicht, daß die islamische Welt zwischen Westafrika und Indonesien höchst verschiedene kulturelle Ausdrucksformen hat, wenn sie auch im festen Glauben an Gott, den Einen und Einzigen, und in der Anerkennung Muhammads als des letzten Propheten eine gemeinsame Grundlage besitzt? (...) Ich habe Istanbul Winkel um Winkel durch die Gedichte kennengelernt, die türkische Dichter seit fünf Jahrhunderten über diese zauberhafte Stadt geschrieben haben; habe die Kultur Pakistans durch die Verse lieben gelernt, die dort in allen Provinzen widerhallten, und als einem meiner Harvard Studenten das Unglück widerfuhr, zu den amerikanischen Geiseln in Teheran zu gehören, änderte sich die Haltung seiner Wächter, als er persische Gedichte (Rumi, Hafis, Iqbal) rezitierte; hier gab es plötzlich - zunächst für einen Moment - eine gemeinsame Sprache, die auch ideologische Gegensätze zu überbrücken half. Ich neige dazu, Herders Wort beizustimmen: "Aus der Poesie lernen wir Zeiten und Nationen gewiß tiefer kennen als aus dem täuschenden trostlosen Wege der politischen und Kriegsgeschichte". (...) In einer Kultur, deren traditioneller Gruß salam "Frieden" heißt (wie das hebräische schalom), findet zur Zeit eine erschreckende Verengung und Verhärtung dogmatischer und legalistischer Positionen statt. Mochte man anfangs noch glauben, daß es sich dabei um Versuche handelte, sich gegen den wachsenden Einfluß des Westens abzuschotten, um sicher zu sein, daß man dem vom Propheten Muhammad vorgezeichneten Weg so getreulich wie möglich folgte, so sieht es jetzt anders aus. Wir stehen weithin einem Ausdruck reiner Machtpolitik gegenüber, Ideologien, die sich des Islam als eines Schlagwortes bedienen und mit seinen religiösen Grundlagen kaum noch etwas gemein haben. Ich jedenfalls habe weder im Koran noch in der Tradition irgendetwas gefunden, was Terrorismus oder Geiselnahme befehle oder auch nur gestatte. (...) Viele der radikalen Fundamentalisten scheinen zu vergessen, daß der Koran mahnt "la ikraha fi`d-din", "Kein Zwang im Glauben" (Sura 2, 257). und das der Prophet davor warnte, jemanden zum kafir, zum "Ungläubigen", zu erklären. (...) Mein Bild vom Islam ist entstanden nicht nur durch jahrzehntelange Beschäftigung mit den Erzeugnissen islamischer Literatur und Kunst, sondern mehr noch durch den Umgang mit muslimischen Freunden in aller Welt und aus allen Bevölkerungsschichten, die mich liebevoll in ihrer Familien aufnahmen und mich mit ihrer Kultur vertraut machten. Meine Dankesschuld ihnen gegenüber ist groß, und ich möchte heute einen kleinen Teil davon öffentlich abstatten. Für mich sind es Menschen wie die Solinger Türkin Mevlude Genc, die trotz der schrecklichen Morde an ihrer Familie keinen Haß auf die Deutschen empfindet. Sie sindes, welche jenen toleranten Islam verkörpern, den ich jahrzehntelang kennengelernhabe." Die zitierten Passagen finden sich im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Heft 83, 17. Oktober 1995, Frankfurt am Main. Oder im Sonderdruck des Börsenverein des Deutschen Buchhandels ( Hg.): Annemarie Schimmel. Frankfurt a. Main: 1995. Beitrag von | Beitrag empfehlen Literatur:
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