Alles kommt von den Genen
Ratgeberliteratur, die den kleinen Unterschied zwischen Männern und Frauen thematisiert, gibt es wie Sand am Meer. Doch wenn ein Sachbuch über die Psychologie der Geschlechtsunterschiede innerhalb von zwei Jahren in der neunzehnten Auflage erscheint und seit Monaten in den Bestsellerlisten steht, dann muss es irgendwas Besonders haben, das anderen Büchern fehlt. Und das hat es in der Tat: Es führt sämtliche Unterschiede im Verhalten zwischen Mann und Frau auf die Macht der Gene und Hormone zurück und unterscheidet sich damit grundlegend von typisch „psychologischen“ Ratgebern, die den Menschen als das Produkt von Erziehung und sozialer Umwelt verstehen.
Im Gegensatz zu üblichen Ratgebern geben die Autoren des Bestsellers „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ dem Leser auch keine Tipps mit auf den Weg, wie er (angeblich) seine Mitmenschen verändern kann. Es wirbt stattdessen dafür, das andere Geschlecht so zu nehmen wie es eben ist. Denn – so die Botschaft des Buchs – Mann und Frau seien so, weil die Biologie sie so gemacht hat, und es sei für alle Beteiligten besser, dies zu akzeptieren.
Die Kernaussagen des Buchs:
- Männer und Frauen denken, empfinden und handeln ganz verschieden und haben es deshalb so schwer, einander zu verstehen.
- Die Unterschiede entstehen nicht durch Erziehung und Sozialisation, sondern sind tief in unserer Natur verankert.
- Alles hängt von den Hormonen ab: Sie sorgen schon von der Embryonalentwicklung an für eine geschlechtstypische Entwicklung des Gehirns und steuern somit direkt und indirekt das menschliche Verhalten.
- Geschlechtsunterschiede sind das Ergebnis einer zehntausende Jahre langen Entwicklungsgeschichte der Spezies Homo sapiens, die zu einer unterschiedlichen Spezialisierung führte: ER war Beutejäger und SIE war Nesthüterin.
Hier erfährt der Leser, warum Frauen soviel reden, Männer aber lieber schweigen; warum Männer immer Sex wollen, Frauen aber lieber kuscheln; warum es Männern schwer fällt, ihre Gefühle zu zeigen und Frauen schwer fällt, Landkarten zu lesen; warum Männer beim Zeitung Lesen nicht gleichzeitig ihrer Partnerin zuhören können und Frauen Probleme beim Einparken haben. Und alles wird biologisch erklärt.
Das Interessanteste an diesem Buch ist weniger der Inhalt. Interessant ist viel mehr die Tatsache, dass ein Sachbuch, das Persönlichkeitsunterschiede mit Hilfe der Evolutions- und Verhaltensbiologie erklärt, zum Bestseller wurde. Doch warum ist das so?
Biologische Erklärungen für menschliches Verhalten sind „in”. Beinahe tägliche Meldungen über entschlüsselte Gene für die Eigenschaft X, neu entdeckte Hirnareale die Fähigkeit Y, Human Genome Project, Stammzellendebatte und so weiter haben die Biologie des Menschen ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Dem aufmerksamen Zeitungsleser ist es nicht entgangen: In den letzten Jahren haben zunehmend biowissenschaftliche Themen in das Feuilleton Einzug gefunden. Während dort vor nicht allzu langer Zeit die Ansicht, dass Erbanlagen Einfluss auf Verhalten, Intelligenz, Sexualität, Aggressivität oder andere Sozialbeziehungen des Menschen haben, als faschismusverdächtige Irrlehre hingestellt wurde, kann man dort nun abwägende Spekulationen lesen, ob zum Beispiel Vergewaltigung eine evolutionär bewährte Strategie der Männer ist, ihre eigene genetische Fitness zu maximieren.
Eine vulgär popularisierte Soziobiologie hat das Feuilleton erobert. Sie hat auch die TV-Kulturmagazine erobert. Im Magazin “Kulturzeit” auf 3sat beispielsweise haben Soziobiologen und ihre Kollegen als Studiogäste einen Stammplatz abonniert. Und nun werden evolutionsbiologische Hypothesen, Theorien und Fakten in extrem vereinfachter Darstellung als Taschenbuch in der Rubrik „Frauen- und Ratgeberliteratur“ verramscht.
Die Leidtragenden sind die Soziobiologen selbst. Das kommt davon, wenn man zu erfolgreich ist! Denn sie haben ja Recht: Selbstverständlich ist ein Großteil des menschlichen Erlebens und Verhaltens durch Gene und Hormone gesteuert. Die Beweise, die seit Charles Darwin von Generationen von Verhaltensforschern wie Konrad Lorenz oder Irenäus Eibl-Eibesfeldt zusammengetragen wurden, sind erdrückend.
Und selbstverständlich gibt es Unterscheide zwischen Männern und Frauen, wie Dutzende von Metaanalysen zu psychologischen Geschlechtsunterschieden zeigen, die aus einem Pool von mehreren Zehntausend Studien schöpfen können (Überblick vgl. Asendorpf, 1996). Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren räumlichen und sprachlichen Fähigkeiten, Sexualität, Aggressivität und so weiter. Diese Tatsache lässt sich gar nicht bezweifeln.
Entstehen nun diese Unterschiede durch Erziehung und Sozialisation oder sind sie angeboren? Die Antwort: Beides. Vereinfacht gesagt: Die Gene geben einen Rahmen vor, aber innerhalb dieses Rahmens bestimmen Umwelteinflüsse die Ausprägung von bestimmten Eigenschaften oder Verhaltensweisen. Kein Forscher bezweifelt dies heute mehr. Meinungsverschiedenheiten gibt es lediglich bei der Frage, wie groß dieser Rahmen ist beziehungsweise wie groß die Macht der Umwelteinflüsse innerhalb dieses Rahmens ist. Je nach wissenschaftlicher und politischer Orientierung tendieren Forscher mehr in die eine oder andere Richtung.
Diese anstrengende Wahrheit des ambivalenten “Sowohl ... als auch” opfern die beiden Bestseller-Autoren jedoch der simplen, aber griffigen Botschaft: “Nur die Gene sind’s!” Und diese Aussage wird auf 400 Seiten mit unzähligen netten und witzigen Beispielen aus der Alltagserfahrung jedes Lesers illustriert.
Ein wenig gefährlich ist auch die starke Pauschalisierung von Unterschieden zwischen Männern und Frauen. In wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema geht es immer um Durchschnittswerte. Im Durchschnitt (!) unterscheiden sich Männer von Frauen. Die gefundenen Effektgrößen sind dabei in der Regel klein bis mittelstark. Das bedeutet, es gibt einen ganz erheblichen Überlappungsbereich in der Ausprägung eines bestimmten Merkmals. Aber ist dem Zielpublikum dieses Buchs dieser statistische Hintergrund klar? Wohl eher nicht.
Leider fehlen im Text auch größtenteils Verweise auf die Studien, die dem Buch zu Grunde liegen (obwohl ein Literaturverzeichnis vorhanden ist). Formulierungen wie “Wissenschaftler haben herausgefunden, dass...”, lassen kritische Leser genervt den Kopf schütteln – die Zielgruppe indes dürfte dies wohl kaum als Mangel empfinden.
Fazit: Ein Buch mit einem wahren Kern, das sich auf eine Fülle von (neueren) Forschungsergebnissen berufen kann, das aber durch die einseitige, pauschalisierende und zu stark vereinfachende Darstellung an der leider etwas komplexeren Realität vorbeigeht. Insofern kann man es eigentlich gar nicht als populärwissenschaftliches Sachbuch bezeichnen, denn es ist zwar sehr populär geschrieben, aber leider nicht mehr wissenschaftlich. In seiner leichten, amüsanten Art ist es eigentlich nicht mehr als gute Unterhaltung – und wohl gerade deswegen so erfolgreich.
Links zum Thema
- Das Buch bei Amazon mit Link zu den Leserrezensionen
Literatur
- Pease, Allan & Pease, Barbara (2000). Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen. München: Ullstein. ISBN: 3-548-35969-8. Preis: 8,95 €
Auch als Kassette oder CD erhältlich – für alle, denen das Lesen zu anstrengend ist (oder es nie gelernt haben). - Pease, Allan & Pease, Barbara (2002). Warum Männer lügen und Frauen dauernd Schuhe kaufen. München: Ullstein.
Die Fortsetzung des Bestsellers - Asendorpf, J. (1996). Psychologie der Persönlichkeit. Grundlagen. Berlin: Springer.
(v.a. Kapitel 7 zu Geschlechtsunterschiede) - Degen, R. (2000). Lexikon der Psycho-Irrtümer. Warum der Mensch sich nicht therapieren, erziehen und beeinflussen lässt. Frankfurt: Eichborn.
(v.a. Kapitel “Karma im Zellkern”) - Eibl-Eibesfeldt, I. (1997). Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Grundriß der Humanethologie. Weyarn: Seehamer Verlag.
- Markl, H. (2001). Wider die Gen-Zwangsneurose. In: Wink, M. (2001). Vererbung und Milieu. Berlin: Springer.
- Miller, G. F. (2001). Die sexuelle Evolution. Partnerwahl und die Entstehung des Geistes. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
- Wuketits, F. M. (1990). Gene, Kultur und Moral. Soziobiologie – Pro und Contra. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
