Dezember 2003

Ab in die letzten großen Ferien

*Forschen über das Sterben und den Tod – das war ihre Lebensaufgabe. Wie aber sieht Elisabeth Kübler-Ross nun im hohen Alter dem eigenen Tod ins Gesicht? Stefan Haupt hat ihr Leben filmisch ins Bild gesetzt. Eine Filmkritik.

Kübler-Ross
wurde 1926 in Zürich geboren und studierte Medizin und Psychologie.

Gemischte Gefühle ist wohl der passende Ausdruck für die Eindrücke, die die filmische Inszenierung des Lebensweges der weltberühmten Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hinterlässt. Der Inhalt selbst ist dabei schnell erzählt: Das kleine, willensstarke Mädchen „Beth“ setzt seinen Wunsch, Ärztin zu werden, auch gegen den gestrengen Vater durch. Sie wandert mit ihrem Ehemann von der Schweiz in die USA aus und entdeckt dort den Umgang von schwer kranken Menschen mit ihrem Sterben und Tod als Forschungsthema. Nach sowohl privaten als auch beruflichen Höhen und Tiefen sieht Elisabeth Kübler-Ross nun dem eigenen Tod ins Gesicht.

*Allein die Gefühlspalette, die die Filmdramaturgie und die Person Kübler-Ross bedienen, ist uneindeutig und reicht vom Amüsanten bis ins Tragische. Der Film, konzipiert als Zusammenschnitt von Interviews mit Vertrauten Kübler-Ross’ und Archivmaterialien über ihre Arbeit, stellt bei oberflächlicher Betrachtung das amüsante Moment in den Vordergrund. Im schwizzerdütschen Plauderton erzählen Beths Schwestern über Kabbeleien der Drillinge und Anekdoten aus der Kindheit. „Ihr ganzes Leben lang hat sie über den Tod geschrieben“, so Drillingsschwester Erika; und jetzt, da auch für die durch zahlreiche Schlaganfälle geschwächte und teils gelähmte Beth mit 77 Jahren die Zeit zum Abschiednehmen komme, sage sie immer: „‚Ja, aber ich muss noch erst das erledigen. Und dann das. Und dann noch das. Und nur noch dieses Weihnachten.‘“ So wird einerseits das Bild einer nimmer müden Frau gezeichnet, die in den 1960er Jahren mit ihrem Buch On Death and Dying (dt.: Interviews mit Sterbenden) das Sterben aus der gesellschaftlichen Schmuddelecke holte. Kübler-Ross initiierte damit die Hospizbewegung. Sie avancierte von der Sterbe- zur Lebensberaterin, die die Kranken auch die schönen Momente ihres Bettlägerigseins sehen lassen wollte. Früh plädierte sie für die soziale Akzeptanz von Schwäche und für gegenseitige Hilfe im Falle von Pflege – vor allem auch der Alten durch die Jungen.

*Andererseits wirkt dieser Aufruf für ein Leben in Nächstenliebe jedoch seltsam gebrochen. Die Grande Dame des Sterbens, die Zeit ihres Lebens auf ihre Autonomie pochte, ist heute nicht gewillt, „die anderen mit meinem Tod zu belästigen“. Bis vor einiger Zeit lebte sie allein auf ihrer Ranch in Arizona, bis sie unglücklich stürzte. Seitdem ist sie in einem Pflegeheim untergebracht. Der Lebensabend der Elisabeth Kübler-Ross liest sich als Scheitern der eigenen Ideologie.

In sehr persönlichen Einstellungen erzählt der Film so das Leben einer Frau, deren privates Schicksal sich von dem anderer ihres Alters nicht sonderlich unterscheidet. Gerade dies scheint jedoch der Schlüssel zu sein, den der Filmemacher Haupt zur Erklärung des Phänomens Kübler-Ross anbieten will: Sie hat sich das ‚Menschliche‘ ihres Menschseins bewahrt. Trotz Weltberühmtheit keine Affektiertheit. Sie ist ein Mensch mit Schwächen – mit einer Schwäche für Schweizer Schokolade ebenso wie mit der Angst vor der eigenen Vergänglichkeit und der Gewissheit, Teil einer sich inzwischen bis zur Enkelin fortgeführten Generationenfolge zu sein, in der sie weiterleben wird. Gleichzeitig ist sie ein Mensch, der sich selbst nur in psychologisierender Selbstreflexion begreifen kann. So leitet sie beispielsweise ihren Einsatz für die ins gesellschaftliche Abseits gedrängten Kranken und Sterbenden aus persönlicher Identitätslosigkeit als Drilling ab: „Man hat als Drilling keine eigene Kleidung. Man hat kein eigenes Spielzeug, das nur einem selbst gehört. Ohne diese Form der Identitätslosigkeit hätte ich mich wohl nicht so mit Sterbenden beschäftigt.“

*Elisabeth Kübler-Ross. Dem Tod ins Gesicht sehen. Schweiz 2002. Buch und Regie: Stefan Haupt. Verleih: Salzgeber & Co. Medien GmbH.

Und sie ist ein Mensch – so suggeriert zumindest der Film weiter –, dessen Umgang mit dem eigenen Sterben durch dieselbe Phasen-Brille betrachtet werden kann, mit der Kübler-Ross einst ihre „Interviews mit Sterbenden“ rasterte. Ihren Ergebnissen zufolge begegnen Schwerkranke und Sterbende ihrem Schicksal zunächst mit Leugnen. Die nächste Phase ist gekennzeichnet durch Wut, um anschließend über ein Verhandeln mit Gott und der Welt in Depressionen zu verfallen. In der letzten Phase schließlich akzeptiert der Sterbende sein Schicksal als das seinige. Vor diesem Hintergrund erscheint die Komposition des Films in ihrer zeitlichen Anordnung – die sich nicht immer an der Chronologie des Lebens, sondern an systematischen, für jene behaupteten Phasen typischen Situationsbeschreibungen orientiert – als Psychogramm der Elisabeth Kübler-Ross. So berichten Schwestern über ihr Nicht-Sterben-Wollen, das Aufrappeln nach jedem Schlaganfall und die intensive Auseinandersetzung mit Gott und einem Leben nach dem Tod als Vorbereitung auf das letzte Rendezvous. Dem Tod ins Gesicht zu sehen, bedeutet für Kübler-Ross letztendlich, jenes „schöne Stadium der Akzeptanz“ zu erreichen. Und so wirbt sie vollmundig im Filmprospekt: „Sterben, das ist, wie wenn man in Ferien fährt. Ich freue mich unheimlich!“

Beitrag von Alexandra Niessen

Links zum Thema

  • Offizielle Kübler-Ross-Homepage in sieben verschiedenen Sprachen

Zur Person

Alexandra Niessen studierte Philosophie und Sozialwissenschaften in Bochum und Essex. Seit Oktober 2003 Doktorandin im Graduiertenkolleg „Technisierung und Gesellschaft“ der TU Darmstadt. Mit ihrer Studie „Schneller Sterben. Töten auf Verlangen“ hat sie den Deutschen Studienpreis gewonnen.

Kontakt:

Literatur

  • Elisabeth Kübler-Ross (1999): Interviews mit Sterbenden. Knaur, München.
     

Drei sehr unterschiedliche Klassiker zum Thema Tod:

  • Bauman, Zygmut (1994): Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien. Fischer, Frankfurt a. Main.
  • Ariès, Philippe (1982): Geschichte des Todes. dtv, München.
  • Elias, Norbert (2002): Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen. Suhrkamp, Frankfurt a. Main. (Zuerst: 1982).
Anzeigen
Anzeige
dle.icio.usMrWongbackprinttop

Suche

Online-Recherche

Suchmaschinen, Infos, Datenbanken » mehr

Wettbewerbe

Wettbewerbsdatenbank für junge Forscher » mehr

Rezensionen

Buchrezensionen der sg-Redaktion » mehr

Podcasts

Übersicht wissenschaftlicher Podcast-Angebote » mehr

sg-Newsletter


anmelden
abmelden
?

sg-News-Feed

Abonnieren Sie unseren News-Feed:

News-Feed
Add to Netvibes
Add to Pageflakes
Add to Google

Space-News

Aktuelle News bei Raumfahrer.net:
» 13. Dezember 2007
GRAIL - Neue Mission im Discovery-Programm der NASA
» 13. Dezember 2007
Saturn - Neue Erkenntnisse über seine Rotation
» 12. Dezember 2007
Atlantis: Fehlersuche beginnt
» 06. Dezember 2007
Atlantis: Kein Start mehr 2007!
» 06. Dezember 2007
Atlantis: Startverschiebung bestätigt

sg intern

Anzeigen

BCG
Infos | Events | Kontakt


Deutscher Studienpreis