September 2004

Ewig lockt das Weib

Bas Kast: Die LiebeNicht nur die Weltliteratur ist auf sie fixiert, neuerdings interessiert sich auch die Forschung für sie: Die Liebe. Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast versammelt in seinem neuen Buch die anwendbaren Ergebnisse: „Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt“...

Der Literaturkritiker Walter van Rossum hat die kürzeste Definition geliefert: „Boy meets girl, und dann gibt es Probleme.“ Das ironische Diktum ließe sich auf die Kunst und die Philosophie ausdehnen, denn die Liebe bewegt die kreativen Köpfe seit jeher. Aber heute wird nicht mehr nur gedacht, sondern in der Wissensgesellschaft wird lieber geforscht. An die Stelle zwingender Logik mancher Gedanken oder an die Realität der Gefühle rückt das Experiment. Der Blick über den großen Teich zeigt, dass es inzwischen tatsächlich das Feld der „Liebesforschung“ gibt. Wie oft in den USA ist das weniger theoretische oder kritische Forschung. Es werden ganz handfeste und pragmatische Fragen gestellt, die jeden angehen, und sie werden auch beantwortet. Eben diese Richtung der neuen „Wissenschaft der Liebe“ bringt Bas Kast in seinem neuen Buch seinen Lesern näher.

Bas KastDer Autor hat Psychologie und Biologie studiert, eine ideale Kombination für sein Thema. Es ist eine große Bereicherung, dass beide Disziplinen in Frieden miteinander koexistieren – zumindest bei Bas Kast. Dem Leser beleibt daher die Unart erspart, mit der Autoren entweder alles für genetisch oder sozial determiniert halten. Bas Kast spielt die Biologie nicht gegen die Psychologie aus, sondern behandeln beide Sichtweisen unangestrengt komplementär. Und er setzt die Wissenschaft nicht als unangreifbare Weisheitslieferantin an die Stelle der Gefühle. In seinem Buch werden nicht alle Fragen beantwortet, er bietet keine Gesetze, schnellen Weisheiten, Glücksformeln oder Liebesgene an. Er flaniert durch die biologische und psychologische Experimentalforschung, als hätte es den Kampf der Wissenschaftskulturen niemals gegeben. Man kann zum Beispiel nachlesen, dass bei Eifersüchtigen der Serotinspiegel im Gehirn sinkt, und man das bei pathologischen Fällen auch medikamentös behandeln kann. Das Buch ist journalistisch geschrieben, bietet eine lockere Sprache und auch Ironie. Es taugt zum Bestseller, und auch die Zeitschriften, die beim Arzt ausliegen, können es guten Herzens empfehlen. Dies bedeutet aber nicht, dass es für alle die langweilig ist, denen etwas differenzierte Lektüre lieber ist.

Der Zaubertrick seriös und unterhaltend zu sein, gelingt dem Autor, indem er populäre Themen wie „Die Kunst der Verführung“, die „Chemie der Schönheit“ oder „Eifersucht“ behandelt. Zugleich bleibt er aber inhaltlich immer an empirischen Studien orientiert. Aufgelockert werden diese wiederum mit Zitaten von Dichtern und Philosophen, die oft schon vorausahnten, was wir heute experimentell nachweisen können. Die manchmal verblüffenden Ergebnisse der Forschung sind nicht bloße Behauptungen, die die Klischees bedienen, sondern die exakten Quellen sind vollständig im Literaturverzeichnis aufgeführt. Daher fällt es leicht, einmal zuzugeben, dass das Weib ewig lockt, wenn die Grundlage eine Befragung von 16.288 Personen um den ganzen Erdball ist. Auch bei brisanten Themen, wenn es zum Beispiel um Sex geht, schiebt der Autor mit Ironie und Zurückhaltung die Forschungsergebnisse elegant über das dünne Eis der Vorurteile und Ideologien. Man kann sich irgendwie über nichts ärgern in diesem Buch, weil der Autor oft genug darauf hinweist, dass auch die Wissenschaft niemals der Weisheit letzter Schluss ist – schon gar nicht beim Thema Liebe. Allerdings hält er sie für ziemlich hilfreich.

Praktisch wird das Buch dann, wenn es zum Beispiel um die Erforschung von Streitverhalten im Liebeslabor des Psychologen John Gottman geht. Hier werden Paare, die sich streiten, beobachtet. Aus den Analysen werden Voraussagen über die Zukunftschancen der Beziehungen gemacht, die eine erstaunlich hohe Genauigkeit aufweisen. Und, auch dies typisch für die US-Forschungskultur, aus den Ergebnissen werden Anleitungen gebastelt, in denen nachzulesen ist, wie man es besser macht und was man besser sein lässt. So lassen sich fünf „apokalyptische Reiter“ ausmachen, die eine Beziehung zum Scheitern bringen können.

Ebenso aber lassen sich „Liebesformeln“ nachlesen, in denen der hohe Stellenwert der Zuwendung, der Unterstützung des Partners, der Akzeptanz oder der gemeinsamen Aufregung zu finden ist. Viele Ergebnisse hat man vorher geahnt, aber der Autor bringt als Wissenschaftsjournalist natürlich die Einstellung mit, dass ein seriöser wissenschaftlicher Befund eine andere Qualität hat, als eine bloße Intention.

Natürlich findet sich in der besten Suppe ein Haar. Wissenschaftliche Leser teilen sicher eine Aussage des Autors nicht, nämlich dass in dem Buch steht, was „die Wissenschaft über die Liebe weiß“. Die Ausrichtung an alltagspraktischen Fragen zwingt dazu, dass ganze Wissenschaftsbereiche gänzlich ausgeschlossen bleiben. Bas Kast hat die aktuellen Ergebnisse der experimentell orientierten biologischen und psychologischen Forschung unterhaltsam dargestellt, das Buch soll Beziehungen besser machen. Der Autor hält sich dabei strikt an die quantitative Forschung, er versammelt anwendungsorientiertes Wissen. Bereiche der Grundlagenforschung, in der es erst einmal um die „nutzlose“ Erkenntnissuche geht, bleiben außen vor.

Aber selbst soziologische Bestseller, die keineswegs nur auf ein wissenschaftliches Publikum zielen, etwa „Das ganz normale Chaos der Liebe“ von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim, finden keinen Eingang in Kasts Buch. Theoretisch ambitionierte Forschungen, die das Alltagsverständnis übersteigen, aber gerade für Wissenschaftler neue Perspektiven eröffnen, bleiben außen vor: Weder Niklas Luhmanns faszinierende Auseinandersetzung „Liebe als Passion“ noch Michel Foucaults dreibändige Untersuchung „Sexualität und Wahrheit“ werden erwähnt. Diese Studien hätten auch wohl kaum in das Buchkonzept gepasst.

Bas Kast will nicht die Einstellung zur Liebe verändern und sie in historische oder gesellschaftliche Zusammenhänge einordnen. Es geht ihm um ein Wissen, welches hilft, es im täglichen Leben besser zu machen: erfolgreicher flirten, konstruktivere Streitkultur leben, glücklichere Beziehungen führen. Auch wenn es hier kaum um eine bestimmte Art biologischen und psychologischen Wissens geht, ist das Buch derzeit die umfangreichste und leichtfüßigste Überblicksdarstellung zum Thema Liebe. Wer weiter blicken möchte und nicht nur sein eigenes Liebesglück im Sinn hat, der kann immer noch zu spezielleren Forschungen greifen. Beides freilich bleibt unendlich viel weniger aufregend als ein Rendezvous...

Beitrag von Frank Berzbach

Zur Person

Bas Kast, geboren 1973, hat Psychologie und Biologie studiert. Er hat das journalistische Handwerk bei Nature und Geo gelernt, heute ist er Redakteur beim Berliner Tagesspiegel. Er ist Mentor bei sciencegarden.

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Literaturliste

  • Bas Kast (2004): Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt. S.Fischer, Frankfurt am Main.

Weiterlesen …

  • Michel Foucault (1983 ff.): Sexualität und Wahrheit. Suhrkamp, Frankfurt/Main Bd.1: Der Wille zum Wissen, Bd.2: Der Gebrauch der Lüste, Bd.3: Die Sorge um sich.
  • Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung der Intimität. Frankfurt/Main.
  • Eva Illouz (2003): Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Campus Verlag, Frankfurt a. M./New York.
    » www.zeit.de/2003/42/st-illouz
  • Hondrich, Karl Otto (2004): Liebe in Zeiten der Weltgesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt/Main.
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