Popstar der Physik
Berlin, Freie Universität, 17.10.2005, 16:00 Uhr. Die Menschenmassen, die gekommen sind, um die Vorlesung zu sehen, passen nicht in den Hörsaal. Sie drängen sich draußen, bilden ein Spalier, in der Hoffnung, einen Blick auf ihn werfen zu können, den Mann im Rollstuhl, den wohl bekanntesten lebenden Physiker: Stephen Hawking.
Hawking hören
Eine kleine Kostprobe von dem Vortrag in Berlin.
„Stephen Hawking wurde 1942 in Oxford geboren, genau 300 Jahre nach dem Tode Galileos“, kündigt das Faltblatt an, auf dem vorne „Einladung“ steht. Es ist die Eintrittskarte in den Hörsaal 1A, in dem Hawking sprechen wird. Die Vorlesung wird über Videokonferenz in andere Räume übertragen, auch diese sind überfüllt.
In 1A sitzen die Honorigen der Universität und die Presse. Studenten sind kaum anwesend, einige kauern in den Mittelgängen zwischen den Stuhlreihen. Die Fotografen lauern am Eingang, positionieren sich für das perfekte Bild.
Das Faltblatt informiert weiter: Hawking „studierte Physik an der Oxford University und setzte seine Studien in Cambridge fort. Zu Beginn seines 22. Lebensjahres wurde bei ihm Amyotrophe Lateralsklerose diagnostiziert.“
Die Krankheit lässt seine Muskeln erschlaffen. In seinen Jahren als Student in Oxford fing es an, ist in seinen Biografien zu lesen. Es gab diese Momente, in denen seine Hände oder Beine nicht das taten, was er wollte. Manchmal gelang es ihm erst nach mehreren Versuchen, die Schnürsenkel zu binden. Oder er stolperte. Mittlerweile hat die Krankheit seinen gesamten Körper fest im Griff. Er sitzt im Rollstuhl, kann nur noch seine Augen, einige Gesichtsmuskeln und zwei Finger der linken Hand bewegen. Er kommuniziert mit dem eigens für ihn hergestellten Sprachcomputer, den er mit den letzten ihm verbliebenen Bewegungen steuert.
Die Ärzte gaben ihm Anfang der 60er noch zwei Jahre zu leben. Doch er trotzte der Diagnose, forschte weiter, wurde sogar Professor der Mathematik in Cambridge und bekam einen Lehrstuhl, den bereits Newton innehatte.
Schließlich, 16:09 Uhr: Blitzlichtgewitter, Applaus, Hawking wird hereingerollt. Unbeweglich sitzt er in dem Rollstuhl. Erst bei genauem Hinsehen bemerkt man winzige Bewegungen. Er zuckt mit dem Gesicht, zieht den rechten Mundwinkel hoch zum Auge. Will er etwas sagen? Der Computer funktioniert noch nicht, Hawking wird wieder herausgerollt, der Computer eingestellt, er kommt wieder. „Can You hear me?“ Applaus.
Der Titel seines Vortrages lautet „The Origin of the Universe“. Die blecherne Computerstimme trägt Satz für Satz vor. Hawking hat sie vorformuliert. Nach jedem Satz stoppt der Computer, Hawking zuckt mit der rechten Wange, bestätigt, dass die Maschine weiter sprechen soll. So entstehen zwischen den Sätzen Pausen – was jedem Gedanken eine eigentümliche Schwere verleiht. Und die Fragen, mit denen Hawking sich beschäftigt, sind schon für sich genommen gewichtig genug: „Woher kommen wir? Warum sind wir hier?“, fragt er. Seine Antworten drehen sich um den Urknall, den Beginn der Zeit und schwarze Löcher.
Nachzulesen sind sie am besten in Hawkings Büchern – keinesfalls Physikwälzer sondern gut lesbare Sachbücher. Seine „Kurze Geschichte der Zeit“ verkaufte sich weltweit in Millionenauflage. Neu erschienen ist jetzt „Die kürzeste Geschichte der Zeit“, eine Abwandlung des früheren Buches, in dem er zugunsten der einfachen Lesbarkeit einige physikalische Schwierigkeiten ausgelassen hat.
Wer ihn einmal sehen will, kann das auf dem Computer, allerdings in recht schlechter Qualität. Die CD-Rom „Herausforderung Universum“ ist schon etwas älter und enthält neben Filmen mit 12 anderen Spitzenforscher auch einen mit Hawking.
Dieser verabschiedet sich nach seinem Vortrag ganz bescheiden: „Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben“ und hinterlässt ein Publikum, das vielleicht nicht jedes physikalische Detail aufgenommen hat, aber beeindruckt ist von dem Geist dieses Wissenschaftlers.
Literatur
- Hubert Mania (2004): Stephen Hawking. Hamburg.
- Michael White/John Gribbin (2001): Stephen Hawking. Die Biografie. Hamburg.
- Stephen W. Hawking (1998): Eine kurze Geschichte der Zeit. Hamburg.
- Stephen W. Hawking (2004): Die illustrierte kurze Geschichte der Zeit. Hamburg.
- Stephen W. Hawking, Leonard Mlodinow (2005): Die kürzeste Geschichte der Zeit. Hamburg.
- Stephen W. Hawking (2004): Das Universum in einer Nussschale. München.
- CD-Rom: Herausforderung Universum (1997), Navigo Multimedia, heute United Soft Media.