Dezember 2005

Aus unserem Garten

*Wer Einführungen in die quantitative Sozialforschung oder in die soziologische Modernisierungstheorie sucht, der kann neue Bücher von sciencegarden-Redakteuren lesen. Wir stellen die Neuerscheinungen vor.

Das Forschungsprojekt

Eine besonders harte Nuss für angehende Sozialwissenschaftler sind die quantitativ-statistischen Erhebungsverfahren. Die Literaturlisten dazu sind zwar entsprechend lang, aber auch unbefriedigend. Nadine Schöneck hat vor drei Jahren ihr erstes empirisches Forschungsprojekt geplant und vergeblich nach einem forschungspraktischen Leitfaden gesucht. Es gibt zwar viele theorieorientierte Bücher, allerdings bisher keine praxisorientierte Schritt-für-Schritt-Anleitung, die Anfängern eine gute Orientierung über die anstehenden Aufgaben gibt. Nadine Schöneck hat nun, zusammen mit dem Bochumer Professor Werner Voß, diese Literaturlücke geschlossen. Ihr Buch will nicht mehr, aber auch nicht weniger als der Titel verspricht: „Das Forschungsprojekt. Planung, Durchführung und Auswertung einer quantitativen Studie.“

Nadine M. Schöneck/Werner Voß: Das Forschungsprojekt.Anhand eines auf CD-ROM im SPSS-Format mitgelieferten, anonymisierten Datenbestands – es handelt sich um die Daten von Schönecks Forschungsprojekt – wird gezeigt, welche einzelnen Arbeitsschritte man von der Entwicklung einer Forschungsfrage bis zu (anspruchsvolleren) statistischen Auswertungen der erhobenen Daten durchlaufen muss. Das heißt konkret: Es wird Schritt für Schritt vorgeführt, wie empirisch-quantitative Forschung abläuft. Einen Überblick geben zwei nützliche „Fahrpläne“, einer für den Ablauf des gesamten Forschungsprojektes und der zweite für die statistische Auswertung.

Das Lehrbuch und die CD-ROM bieten reichhaltiges Material: Es finden sich auf der CD-ROM sowohl Anschreiben, Fragebogen und Datensatz sowie Auszählungsergebnisse, aber auch statistische Formelsammlungen, eine Einführung in die Auswertungssoftware SPSS und zahlreiche Literaturempfehlungen.

Nadine Schöneck

Das Buch richtet sich mit dieser forschungspraktischen Ausrichtung an Studierende, die ihre ersten quantitativen Projekte durchführen wollen. Es ersetzt sicher keinen tieferen Einblick in die Geheimnisse der Statistik, der Methodenlehre oder spezieller Auswertungssoftware. Das Lehrbuch will vielmehr den Graben zwischen empirischer Forschungstheorie und Forschungspraxis überbrücken. Nebenbei weist es auf eine seltene Literaturgattung hin: Es existieren kaum Lehrbücher, die sich den praktischen Problemen des Forschungsalltags widmen. Das nützliche Buch von Nadine Schöneck und Werner Voß findet hoffentlich Nachahmer.

Modernisierung

Nina Degele/Christian Dries: Modernisierungstheorie.

Vor vier Jahren hielt Christian Dries, damals noch Student, sein erstes Tutorat an der Universität Freiburg. Für eine Vorlesung zur soziologischen Modernisierungstheorie von Professor Nina Degele betreute er die Studierenden. Dass er vier Jahre später mit ihr ein Buch über den sozialen Wandel in modernen, westlich geprägten Gesellschaften schreiben würde, hätte er sich damals nicht träumen lassen. Auf die eher beiläufig gestellte Frage an seine Vorgesetzte „Warum schreiben Sie nicht mal was zur Vorlesung?“ bekam er die überraschende Antwort: „Warum schreiben wir nicht einfach zusammen?“

In diesem Oktober – Christian Dries arbeitet inzwischen an seiner Doktorarbeit und ist sciencegarden-Chefredakteur – ist das Gemeinschaftsprodukt unter dem Titel „Modernisierungstheorie. Eine Einführung“ erschienen. Das Buch will Anfänger wie Fortgeschrittene auf die oft schwer zugänglichen Theorien der Soziologie neugierig machen. Die Vielzahl der Themen gibt dem Buch eine hohe Dichte, sie reichen von Differenzierung, Individualisierung, Rationalisierung bis zu Globalisierung, Beschleunigung und Geschlecht. Eingestreute Beispiele erleichtern aber die Lektüre. Im Anhang werden konkrete Phänomene wie Fitness-Studios, die Homo-Ehe oder Schönheitsoperationen thematisiert. Das Buch vermittelt so nebenbei einen guten Eindruck davon, wie wichtig und alltagstauglich soziologische Beobachtungen heute sind.

Unter Modernisierung versteht man vor allem den gesellschaftlichen Wandel seit der frühen Neuzeit. Die Prozesse der Industrialisierung, Säkularisierung und Individualisierung führten und führen zu (krisenhaften) Umbrüchen. Die Soziologie zeichnet diese Prozesse nach, entwickelt erklärende Theorien und schärft die Wahrnehmung für Folgen.

Im Mittelpunkt des ersten Kapitels steht die Entwicklung der analytischen Perspektive. De AutorInnen verstehen ihr Konzept als eine Art „theoretischen Werkzeugkasten“. Sie thematisieren die Modernisierung als ein Bündel konkreterer Phänomene wie Differenzierung, Rationalisierung, Individualisierung und Domestizierung. Soziologische Laien schrecken solche Reihungen abstrakter Begriffe zwar ab, aber was ihnen kompliziert erscheint, ist wohl eher ein Kennzeichen der modernen Gesellschaft selbst: sie ist sehr komplex. Allzu vereinfachende Beobachtungen helfen also nicht weiter. Mit der Komplexität verstehen Dries und Degele gut umzugehen, sie erläutern ihr Thema nämlich auch über innere Widersprüche und Paradoxien. Ein Beispiel: Moderne Gesellschaften können die Natur zwar weit besser kontrollieren als früher, aber die Menschen werden zunehmend von der dazu nötigen Technik selbst beherrscht. Wenn Atomreaktoren und Computer ausfallen oder der Ölpreis schnell steigt, so erleben wir die Folgen durchaus als Katastrophen.

Die üblichen Fragestellungen der Modernisierung erweitern die Autoren erheblich. So werden, und man kann sich darüber streiten, ob dies sinnvoll ist, auch Beschleunigung, Globalisierung, Geschlecht und Integration knapp thematisiert. Damit liest sich das Inhaltsverzeichnis wie das eines Lehrbuches zur Soziologie – nicht nur zur Modernisierung. Dies mag auch an dem Ursprung in einer Einführungsvorlesung liegen oder an den spezifischen Interessen der beiden AutorInnen. Andererseits neigen abstrakte Großbegriffe wie Modernisierung dazu, eine Vielzahl von Themen in sich aufzunehmen. Die ergänzten Kapitel möchte man nach der Lektüre nicht vermissen.

Christian DriesDas Buch ist als Lehrbuch verfasst und enthält alles dafür Nötige: Neben einem umfangreichen Literaturverzeichnis bietet das Personenregister einen schnellen Zugang. Über ein fehlendes Stichwortverzeichnis tröstet ein relativ exaktes Inhaltsverzeichnis zwar hinweg, die Entscheidung für das eine und gegen das andere zeigt allerdings auch die nach wie vor starke Orientierung der Soziologie an Personen und nicht primär an Themen. Angehende Soziologen lernen schnell, welche Fragestellungen sich hinter welcher Person verbergen, Laien dürften sich allerdings dadurch etwas ausgeschlossen fühlen.

Am Ende jedes Kapitels befinden sich Literaturhinweise sowie Übungsfragen. Das Gemeinschaftsprodukt von Degele und Dries gehört damit zu der Sorte Lehrbücher, die sich für ein gründliches Durcharbeiten eignen. Wer sich das Buch im Grundstudium auf diese Weise erobert, der gewinnt wertvolles Zusammenhangswissen. Oft ist man erst dann fähig, sich bewusst für weitere Spezialisierungen zu entscheiden.

Beitrag von Frank Berzbach.

Links zum Thema

  • Zum Buch von Christian Dries bei UTB (mit Leseproben)
  • Zum Buch von Nadine Schöneck beim VS-Verlag

Zur Person

Christian Dries studierte Philosophie, Psychologie, Soziologie und Geschichte in Freiburg und Wien. Er ist – wie Nadine Schöneck –Deutscher Studienpreisträger 2003. Derzeit arbeitet der Chefredakteur von sciencegarden an seiner Promotion zur Sozialphilosophie der Moderne bei Günther Anders, Hannah Arendt und Hans Jonas.

Nadine Schöneck studierte Sozialwissenschaften an den Unis Bochum, Austin/Texas und Oxford. Sie arbeitet seit Juli 2003 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FernUniversität in Hagen und seit Oktober 2005 zusätzlich als Vertreterin der Lehre von Juniorprofessorin Dr. Nicole Burzan. Ihre Doktorarbeit, die sie bei Uwe Schimank schreibt, trägt den Arbeitstitel „Inklusion und subjektive Zeitpraktiken“.

Literatur

  • Nina Degele/Christian Dries (2005): Modernisierungstheorie. Eine Einführung. München, 315 Seiten, € 17,90.
  • Nadine M. Schöneck/Werner Voß (2005): Das Forschungsprojekt. Planung, Durchführung und Auswertung einer quantitativen Studie. Wiesbaden, 229 Seiten inkl. CD-ROM, € 23,90.
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