Schnorcheln in der Mittagspause
Der Winter in Sydney ist kalt, regnerisch, unerträglich. Sagen jedenfalls die Sydneysider. Ich jedenfalls bin der Ansicht, Temperaturen um die 21 Grad, und 80 Prozent (statt wie sonst 90 Prozent) Sonnentage verdienen in keinster Weise den Namen Winter. Über solch einen „Winter“ wäre ich in Deutschland in manchem Sommer dankbar gewesen. Die Australier jedenfalls regen sich genauso über das Wetter auf wie die Deutschen, allerdings auf unvergleichlich höherem Niveau.
Um dem „Winter“ zu entkommen, bietet die Uni armen Austauschstudenten eine Fluchtmöglichkeit in den tropischen Norden an. Eine Woche auf einer Insel im Great Barrier Reef, getarnt als Blockseminar. Ich hätte mich wohl auch angemeldet, wenn das Seminar sich mit Rinderzucht oder Abwasserwesen befasst hätte. Aber Meeresbiologie zum Thema Korallenriffe und allem, was darin so lebt, und das auf einer Insel mitten im Korallenriff macht irgendwie Sinn – vom Spaß ganz zu schweigen!

Lady Elliot Island erreicht man, in unserem Fall 20 amerikanische Studenten, ich und ein Australier, der somehow in dieses Programm gerutscht war, per Flugzeug Die Insel ist gerade so lang wie eine Landebahn für Propellerflugzeuge, und diese grasbewachsene, holprige Wiese wird zwischen den Flügen als Golfplatz genutzt. Und die etwa 40 m² große Abflughalle als Hörsaal, die Liegestühle am Pool unter den Palmen als Lernbereich. Man kann die Insel in etwa 20 Minuten umrunden (bei Flut dauert es etwas länger) und dementsprechend auch den Sonnenauf- und -untergang über dem Pazifik bewundern. Und dann das Schnorcheln in der Lagune, mit unglaublichen Korallen. und Tieren: Schwimmen in einem Meer von Riffhaien, Stachelrochen, Gitarrenfischen. Ein Schiffswrack, Riesenschildkröten zum Greifen nah, eine Gruppe metergroße Mantarochen nur wenige Meter neben uns. Ein Traum.Das Seminar selbst war zwar sehr interessant, von der Arbeitsbelastung aber eher ein Alptraum. Da „die Studenten“ nach Ansicht des Lehrpersonals im letzten Semester angeblich zu lange in der Bar getrunken haben, ertränkte man uns in Arbeit. Ich wollte stattdessen lieber zweimal täglich Schnorcheln gehen (surfen ging nicht – das Riff hält alle Wellen ab). Außer mir dachte nur der Australier so. Den Preis dafür hatte ich abends zu zahlen. Nach dem Abendessen um sechs verzogen sich die Dozenten an die Bar und die Studenten mit ihren Büchern an die Esstische, um ihre Arbeit zu machen, bis sie eben fertig waren. Ich bin trotzdem direkt vor der Abschlussklausur noch mal ins Wasser gegangen und hatten die beste Tour der ganzen Woche. Andere saßen derweil am Strand und lasen angestrengt über El Niño.

Die Arbeit war allerdings auch interessant. So sollten wir beispielsweise einen „UVC“ durchführen, einen „Underwater Visual Census“. Das hieß, wir gingen an verschiedenen Stellen im Riff Fische zählen und katalogisieren, mit Schnorchel und Taucherbrille, Unterwasserpapier, Unterwasserstiften, Unterwasserblöcken und Unterwasserfischinfotafeln. Ich konnte sogar einen Rochen zählen, der sich genau unter mir befand. Dummerweise war das Wasser dort nicht einmal einen halben Meter tief. Unsere Ergebnisse durften wir dann auf Wunsch der Dozenten „unterhaltsam“ vorstellen. Ein Kommilitone spielte den Clownfisch Nemo, ich spielte die ostaustralische Strömung und fuhr Nemo auf einer Schubkarre in den „Hörsaal“. Meinen Teil der „Forschungsergebnisse“ habe ich anschließend vorgesungen und vorgetanzt. Dafür wurde uns dann auch der „beste Unterhaltungswert“ bestätigt (auf was anderes kam es mir auch nicht an). Ein anderer Inselgast hat mir am folgenden Tag berichtet, dass seine kleine Tochter meinen Auftritt toll fand. Was will ich mehr?Um meinen Arbeitsaufwand weiter zu minimieren, habe ich ansonsten dreist auf meine Vorurteile bezüglich der Naturwissenschaften gebaut, die besagen, dass eine gute naturwissenschaftliche Arbeit aus einer kurzen Einleitung besteht, und die Blätter mit den Forschungsergebnissen dann einfach hinten angeheftet werden. Also tackerte ich meine Mitschriften und Schmierzettel, die allesamt auch als solche zu erkennen waren, zusammen und reichte das Ganze als Essay ein. Ich erhielt dafür die gleiche (mäßige) Note wie für mein ausgearbeitetes Zeug. Nach der Einleitung habe ich nur noch den Satz dazugeschrieben: „Es folgt eine ausführliche Auflistung der besprochenen Argumente“, der Dozent schrieb darunter ein „Gut!“
Links zum Thema
- Lady Elliot Island
Zur Person
Carl-Leo von Hohenthal studiert(e) Geschichte und Politik in Berlin und Freiburg sowie seit Februar 2006 in Sydney. Er ist freier Autor, unter anderem für die „Badische Zeitung“.
