Juni/Juli 2007

Kapitalismus goes Karma

Der einstmals als böse geschmähte Kapitalismus wird jetzt gut. Aus dem Raubtier wird eine auf ihr Karma bedachte Kuschelkatze – das meinten jedenfalls einige Trendforscher auf dem 12. Deutschen Trendtag, der am 8. Mai in Hamburg stattgefunden hat.

Das noble Hamburger Curiohaus ist ein würdiger Empfangsort für den neuen, den menschenfreundlichen Kapitalismus. Weil sich in Zukunft alles um die Verantwortung der Unternehmen drehen wird, haben garstige Attribute wie Turbo- oder Raubtier- ausgedient.
Jetzt heißt es, im digital vernetzten globalen Dorf falle jede Form von rücksichtslosem Egoismus auf den Urheber zurück und könne ihn unter Umständen sogar vernichten. Die zentrale Message lautet: Das Zeitalter des sich selbst zügelnden Kapitalismus ist angebrochen. Dank einer allgegenwärtigen basisdemokratischen Kontrolle durch Netzwerke kann er nicht mehr anders als gut sein, da alles Schlechte sofort gnadenlos ans Licht gezerrt wird. Kein Wort mehr von Heuschrecken und Korruption.

Corporte Social Responsibility (CSR):
Aus dem Englischen eingewanderter Begriff (ebenso geläufig ist inzwischen die Abkürzung), der ganz allgemein für verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln steht.
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Für zukunftsorientierte Unternehmen beutet das, Corporate Social Responsibility (siehe Infokasten) nicht bloß in den Kommunikationsabteilungen zu ‚implementieren‘, um nach außen gut auszusehen, sondern in die Kernbereiche ihrer Geschäftstätigkeit selbst. ‚Generating social business‘ ist die Kür dieser angeblich überlebensnotwendigen Strategie. Erfolgreich werden in Zukunft nicht mehr Unternehmen sein, die Billigklamotten in Asien von blutiger Kinderhand nähen lassen, sondern vor Ort von hochgeschätzten Mitarbeitern, zu denen der Kunde via Email persönlich Kontakt aufnehmen kann, wie es bei dem US-amerikanischen Modelabel American Apparel der Fall ist. Das kann man weit hergeholt „Karma“ nennen, man kann es aber auch einfach als „verantwortungsvolles Handeln“ oder „Transparenz als Geschäftsmodell“ bezeichnen. Nein, man muss es sogar eher so nennen, wenn man sich die Bedeutung des Begriffes Karma vor Augen führt: Die indischen Religionen bezeichnen damit die Rückwirkungen sämtlicher Gedanken und Handlungen eines Menschen auf sein jetziges Leben und seine späteren Inkarnationen.

Muhammad Yunus, Friedensnobelpreisträger 2006, erzählt auch etwas von der Umkehr einer Logik – nur von einer ganz anderen als von der des Raubtier-Kapitalismus der 1980er und 90er Jahre. Das scheint aber niemand zu merken. Zu fasziniert sind alle von der Aura des mit wehendem Hemd und Leinenweste bekleideten Asiaten und nach einem einnehmenden Eröffnungsvortrag des brillianten Rhetorikers Norbert Bolz schon allzu beseelt vom Geist des „Karma-Kapitalismus“.

Muhammad Yunus

Muhammad Yunus

Der einzige Zusammenhang, der jedoch zwischen dieser (fixen) Idee und dem Lebenswerk von Muhammad Yunus liegt, ist das Aussehen des Mannes aus Bangladesch und der Kulturraum, auf den es verweist. Die von ihm gegründete Grameen-Bank, die Minikredite an die ganz Armen vergibt, stellt in nahezu jeder Hinsicht die Umkehrung einer konventionellen Bank dar. Nicht wer schon viel hat, dem werden dort Kredite gewährt, sondern Vorrang haben diejenigen, die gar nichts haben. Bei der Grameen-Bank fange eine Geschäftsbeziehung nicht mit der Frage an, wie kreditwürdig der Kreditempfänger sei, sondern wie menschenwürdig die Bank. Neben ins Herz gehenden Parolen wie „If we can imagine that world, we can create it.“ klingt das beinahe wie im Märchen, sprichwörtlich zu schön, um wahr zu sein. Doch der große Trumpf im weiten Ärmel des Wirtschaftslehrers ist sein Erfolg. Die Menschen zahlen das in sie gesetzte Vertrauen mit barer Münze zurück. Das an Bettler geliehene Geld vermehrt sich wirklich. So konnte das von Yunus Mitte der 1970er Jahre initiierte Mikrokreditprogramm Schritt für Schritt ausgeweitet werden. Inzwischen stellen gezielt ausgezahlte, individuelle Mikrokredite einen immer populäreren Ansatz in der Entwicklungshilfe dar.

Hedge-Fonds:
Von einer Anlagegesellschaft angebotenes Kapitalmarktprodukt, an dem Anleger Anteile erwerben können.
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Die auf dem 12. Trendtag unter dem Schlagwort „Karma-Kapitalismus“ präsentierten Ansätze liegen weit auseinander. Wie weit, das macht Norbert Bolz ebenfalls an einem Beispiel aus dem Bankensektor deutlich. Seine mit allerlei Marketing-Jargon (‚societing‘, ‚ethical shopping‘, ‚caring capitalism‘ etc.) durchsetzten Ausführungen zum neuen Geist des Kapitalismus beendet er mit einer „Serviceleistung für die kritisch berichtende Presse“ – ganz so, als könne die nicht selbst denken.
Ein Argument gegen die Rede vom Karma in der Wirtschaft könnte Bolz zufolge lauten: Der globalisierte Kapitalismus, in (oder mit?) dem wir leben, erzeuge in erster Linie Angst bei den Menschen. Schlagworte wie „Karma-Kapitalismus“ würden hingeegen in erster Linie zu dem Zweck erfunden, diese Angst in einer Art Kokon einzugarnen. Um diesem Gegenargument den Wind aus den Segeln zu nehmen, fordert Bolz die Zuhörer auf, sich ein Bündnis zwischen netzwerkartig organisierten Protestgruppen und Hedge-Fonds (siehe Infokasten) vorzustellen. Damit ließe sich einerseits Geld verdienen und andererseits gemeinnütziger Druck auf Großkonzerne ausüben. Das Gute wäre, ganz wie vom neuen kapitalistischen Geist verheißen, mit dem Angenehmen verbunden, ohne dass irgend eine Gemeinheit im Spiel ist.
Gibt es nicht? Gibt es doch! Und zwar in Gestalt der Karma Banque, über die man Geld auf Kursverluste von moralisch schlecht bewerteten Unternehmen setzen kann. Das Neue ist, dass diese Art von Bewertung und Finanzspekulation auf ein und derselben Plattform stattfinden.

Schön, schön, denkt der Journalist mit wem Willen zur kritischen Berichterstattung, nur was hat das bitte mit dem Schicksale wendenden Mikrokreditwesen eines Muhammad Yunus zu tun? Was hat es zu tun mit dessen prinzipieller Überzeugung, dass kein Mensch auf der Welt notwendig arm ist, sondern Institutionen und tief verwurzelte Denkweisen Armut erzeugen?

Die erhoffte Brücke kann auch Peter Wippermann, Gründer und Gesellschafter des ausrichtenden Trendbüros, mit seinem engagementlosen Vortrag nicht schlagen. Er spult mehr die Begriffe ab, die in seiner Trendschmiede zurecht gehämmert wurden, kann aber niemanden mitreißen, geschweige denn jemandem einen zwanglosen Zusammenhang zwischen der Öko-Stadt Dongtan auf einer Insel vor Shanghai (Referent Peter Head) und den Lifestyle-Design-Neuerungen bei Philips (Referentin Josephine Green) aufzeigen.

Erst recht kann das nicht sein langjähriger Mitstreiter David Bosshart, Chef des Schweizer Trend-Think Tanks Gottlieb Duttweiler Institut („Where the best minds meet.“) in seinem Predigerton. Markige Thesen wie die von einem zu großen Unternehmen Google, das zerschlagen gehöre, werden in einem selbstbewussten Stakkato hingeworfen, aber selten in mehr als zwei Atemzügen begründet. Man hat den Eindruck, da wisse jemand, wovon er spricht, aber irgendwie wirkt es auf eine seltsame Weise selbstreferenziell. Mehr eine Sache des Glaubens denn eine der Fakten.

Genau das kritisiert auch ein Artikel, der in der Mai-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins unter dem Titel „Das Trend-Kartell“ erschienen ist. Darin ist von einem „Triumvirat“ Wippermann, Bosshart, Bolz die Rede. Sie würden nun medial besonders laut, weil sie sich in ihrer Art bedroht sähen, heißt es dort. Bedroht durch Aufruhr in der Trendforschungsbranche. Viele kleinere Agenturen drängen auf den Markt, bieten zum Teil komplette Trend-Reports mit Aktualisierungsfunktion für wenige hundert Euro an. Angesichts dessen ist es natürlich schwer, potenziellen Kunden Studien für ein Vielfaches schmackhaft zu machen. Ein Distinktionsmerkmal könnte sein: Wenn wir von „Karma-Kapitalismus“ sprechen, dann tut es der Friedensnobelpreisträger, den wir kurzerhand für einen Tag kaufen, und anschließend die ganze Welt. Von da an glauben alle daran, und woran alle glauben, das gibt es auch.

Völlig unstrittig ist, dass Unternehmen wie Privatmenschen im digitalen Zeitalter durchsichtiger geworden sind. Zahlreiche Großunternehmen mussten die neue Macht der Massen (Thema des 10. Trendtags war: „Schwarm-Intelligenz“) bereits schmerzlich erfahren.
Richtig ist auch, dass durch die Vernetzung Verfehlungen schneller auffliegen und publik gemacht werden können. Die Kostenersparnis durch Umweltsünden wird daher in vielen Fällen (zum Glück) bei weitem niedriger ausfallen als der durch Image-Einbußen verursachte Verlust. Das ist eine nüchterne betriebswirtschaftliche Rechnung, die heute – da haben die modernen westlichen Epigonen des Karma durchaus Recht – jeder Verantwortliche eines Unternehmens bedenken sollte.
Davon abgesehen schließt die ‚Lehre‘ vom „Karma-Kapitalismus“ etwas sehr Ehrenwertes aus: Unternehmerisches Handeln im Einklang mit Natur und Gemeinwohl einfach aus der Überzeugung heraus, dass ein solches Handeln einem verantwortungslosen um seiner selbst willen vorzuziehen sei, und nicht weil einem daraus ein geldwerter Vorteil erwächst.

Dass es mit dieser Einstellung in der Welt der nun ach so freundlich werdenden Wirtschaft nicht weit her ist, weiß niemand besser als die Veranstalter des Trendtags. Daher braucht es etwas, mit dem man der Kundschaft gleichzeitig schmeicheln und sie begeistern kann. Dass die Welt dadurch auch ein klein wenig besser wird, ist tatsächlich nur ein Nebeneffekt, der sich gut macht.
Daher ist „Karma-Kapitalismus“ eine weitere Luftblase, die aus dem Beratercamp aufsteigt, weil die Branche diese Form der Griffigkeit braucht. Mit der Wirklichkeit haben diese Blasen oft nicht viel zu tun, sondern sie tragen vielmehr zur Konstruktion einer eigenen Realität bei, der ein Selbstreproduktionsmodus bereits fest eingeschrieben ist: Wer Trends selbst schafft, wird auch wissen, welcher der nächste ist.

Beitrag von Tobias Knobloch

Links zum Thema

  • Informationsportal mit Downloadmöglichkeiten von der Europäischen Kommission zum Thema Corporate Social Responsibility (CSR).
  • Website zum 12. Deutschen Trendtag.
  • US-Modelabel American Apparel, das mit Inlandsbeschäftigung und auch sonst allerlei politischer Korrektheit von sich Reden macht.
  • Website der Karma Banque.
  • Artikel „Das Trend-Kartell“ in der Mai07-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins.

Zur Person

Tobias Knobloch, Studienpreisträger 2006, studierte Latein und Philosophie in Bochum. Seit 2005 ist er Mitglied des Graduiertenkollegs „Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft“ am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Wissenschaftstheorie, Sprachanalytische Philosophie und Politische Philosophie.

Literatur

  • George Soros (1998): Die Krise des globalen Kapitalismus. Berlin.
  • Muhammad Yunus (2006): Für eine Welt ohne Armut. Bergisch Gladbach.
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