Prestigemultiplikation
Die deutschen Universitäten werden vom Gemeinwesen finanziert und ihr Unterhalt kostet viel Geld. Nicht erst, seit öffentliche Gelder pragmatischer und damit oft spärlicher fließen, stehen die Hochschulen in der Kritik. Mancher Steuerzahler fragt sich, wie der gesellschaftlich relevante Output der hinter dicken Mauern verborgenen Wissenschaftswelt aussieht. Die Bürger möchten Ergebnisse sehen oder lesen und Denkanstöße erhalten.
Aber noch immer schirmt den deutschen Professor ein enormes Prestige zusammen mit einem ganz eigenartigen Selbstbewusstsein von derlei Zumutungen ab. In den erlauchten Kreisen herrschen eigene Gesetze. Eines der wichtigsten ist der Habitus scheinbarer Allwissenheit - Fragen sind damit meist ausgeschlossen. Und selbstverständlich auch die verständliche Vermittlung ihres Fachwissens an die außerwissenschaftliche Welt. In der Öffentlichkeit stehen diese Personen deshalb selten, sie meiden Kameras und Mikrophone.
Was sie dabei übersehen: Gerade die Medien wären die ideale Bühne, das Prestige dieser Herren beträchtlich zu erhöhen. Das zeigt der Vergleich mit denjenigen ihrer Fachkollegen, die ständig in den Medien präsent sind. Sie werden im Gegensatz zu ihren schweigsamen Kollegen von der Öffentlichkeit geradezu vergöttert und ihre Aussagen für unumstößlich erklärt.
Fernsehen, Radio und Zeitungen sind nämlich ständig auf der Suche nach Universitätsprofessoren, um sich mit ihren Äußerungen und ihrem Namen zu schmücken. Neben der hohen akademischen Dekoration aber müssen diese Professoren natürlich ins Anforderungsprofil der Medien passen: Sie müssen eloquent sein und verständlich. Komplexe wissenschaftliche Sachverhalte müssen sie in 30 Sekunden auf den Punkt bringen. Zwischentöne? Offene Fragen? Dafür gibt es keinen Platz.
Die Medien erzeugen einen hohen Eindeutigkeitsdruck. Aussagen müssen eine überdeutlich Pointe haben. Wilhelm Heitmeyer, Claus Leggewie, Ulrich Beck, an der Spitze bald Peter Sloterdijk mit eigener ZDF-Show, können das. Sie können Themen im wissenschaftlichen Jargon formulieren, für jedes Medium und in jeder Länge. Sie sind so eloquent und wirken so anders als ihre scheinbar verknöcherten Fachkollegen, dass sie längst zu Problemen Stellung nehmen sollen (und manchmal auch wollen), zu denen sie wissenschaftlich nie gearbeitet haben.
In der Fachwelt aber gelten solchen Medienprofessoren als Parias. Dort ist man bemüht, derlei populären Kollegen mit Spott zu überschütten und sich so den vermeintlichen Medienzirkus vom Hals zu halten. Doch für Professoren gibt es auch noch eine zweite Bedrohungen für ihr Prestige: die Studierenden. Sie sind zwar irgendwie notwendig, doch ein prestigeträchtiges Publikum sind sie weiß Gott nicht!
Ein guter Ruf bei Studierenden oder in der Öffentlichkeit schadet dem wissenschaftlichen Image sehr, das geben zahlreiche Professoren offen zu. Innerhalb der Universität gilt es, nicht zu hohe Hörerzahlen zu haben, weil sich herausragende Leistungen in der Lehre scheinbar antiproportional zum Prestige als Wissenschaftler verhalten. Das professorale Prestige ist also ist in gewisser Weise abhängig von einer Öffentlichkeitsabstinenz, sowohl innerhalb wie außerhalb der Universität.
Und das Prestige der Studierenden? Studierende sind überall, es sind viele. Ihr Image ist ungleich schlechter. Studenten gelten in der Öffentlichkeit nicht selten als junge Leute, die nicht ins Berufsleben wollen, die spät aufstehen, schlecht gekleidet sind und vor allem die Gesellschaft Geld kosten. Auch für die Medien existiert der Student kaum. Was Studierende fachlich leisten, wird öffentlich nicht kommuniziert. Hier drehen sich die Verhältnisse um: Vor dem Diplom oder Doktortitel ist der Zugang zu den Medien nahezu unmöglich, es sei denn, man arbeitet als journalistische Aushilfe, die über Taubenzüchtervereine in der Provinz berichtet.
Studierende dürfen sich nicht selbst und zu eigenen Projekten äußern. Wenn überhaupt, berichten die Medien über nebensächliches: Man liest z.B., wie lange deutsche Studierende vor dem Kopierer warten müssen und wie schnell das in den USA läuft. Die Fotos dazu stammen aus Bildkatalogen der Werbeagenturen.
Forschende Studenten dagegen: Sie werden von den Medien oft behandelt wie Attraktionen auf dem Rummelplatz; wie seltsame Vertreter einer Tierart, die, scheinbar artuntypisch, etwas leistet. Und das, obwohl Studenten ihre Projekte meist nicht schlechter darstellen könnten als manch einer ihrer Professoren, Wenn das vielfältige Engagement von Studierenden also in der Öffentlichkeit kaum kommuniziert wird, so liegt das auch an diesen Gesetzmäßigkeiten der Medien.
Um in den einstimmigen Chor eine Gegenstimme zu bringen, arbeiten wir an sciencegarden. Wir denken, dass Studierende aktive, unkonventionelle Forscher sein können, die sich bemühen ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, dabei allerdings auf viel zu wenig Medieninteresse stoßen.
Deshalb möchten wir in einem öffentlichen, kostenlos nutzbaren Medium zeigen, dass zwischen dem Alter, in dem man für "Zeitung in der Schule" schreiben darf und Diplomabschluss eine überaus produktive Zeitspanne liegt. Vielleicht zeigen die Beiträge unseres Magazins ein anderes Bild von Studierenden, die oft trotz schlechter finanzieller und institutioneller Bedingungen, trotz schlechtem Image, in der Lage sind, Höchstleistungen zu bringen. Wer diese neue Wirklichkeit wahrnimmt, für den jedenfalls sollte die Frage, inwiefern Studierende die Gesellschaft bereichern, erledigt sein.
