Mythen der Wissenschaftsvermittlung
Für die FAZ ist er zwar ein rotes Tuch, die Frankfurter Rundschau dagegen hofiert ihn: Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, unser Kulturstaatsminister, ist ein gern gesehener Gast in den Medien. Sie lieben ihn und er liebt die Medien. Und das tut er auch ohne Umschweife kund.
So auch am 14. April 2001: Unter der Überschrift "Kühne Entwürfe, kritische Prüfung", eine Anspielung auf Karl Poppers kritischen Rationalismus, fordert er eine neue Allianz von Wissenschaft und Kunst wie "die Öffnung der Wissenschaft in die Lebenswelt". Wie so oft also ein Appell an Wissenschaftler, den Elfenbeinturm zu verlassen und an das Volk, diese endlich wahrzunehmen. Die ministeriellen Ausführungen sind leider so allgemein, dass sie in jeder überregionalen Tageszeitung hätten stehen können.
Schon was mit "Öffnung in die Lebenswelt gemeint ist, bleibt unklar. Im weitesten Sinne geht es dem Autor darum, dass "Menschen (wissen) müssen, (...) was an den Universitäten tatsächlich getrieben wird. Es ist schon fraglich, ob man wissen muss, was sogar Studenten in dieser Allgemeinheit nicht wissen. Und wer ist überhaupt dieser "man"? Wo steckt die Lebenswelt, von der die Rede ist? Der Begriff ist für das Gemeinte vollkommen unbrauchbar. Sinnvoller wäre es, von Milieus zu sprechen, dann wird auch klar, dass nur ausgewählte Gruppen der Gesellschaft gemeint sind. Das Interesse an wissenschaftlicher Bildung findet man, wenn überhaupt, im technokratisch-liberalen und im aufstiegsorientierten Milieu. Und das Interesse hat nur noch selten die bildungsidealistischen Gründe, die gern angeführt werden. Läßt man die gängigen Mythen der Wissenschaftsvermittlung fallen, so geht es schlicht um employability, also ein rein extrinsisch motiviertes Bildungsinteresse, welches zum Erhalt des Arbeitsplatzes immer notwendiger wird.
Dennoch möchte Julian Nida-Rümelin die Vermittlung fördern, seiner Meinung nach brauchen wir Mittler, "die Kollegen", er meint Professoren, "die bereit sind, einen Teil ihrer zeitlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen für das Vermitteln dieser Ergebnisse".
Diese Forderung ist nur auf den ersten Blick sinnvoll. Professoren, die eigentlich für Forschung und Lehre bezahlt werden, werden heute aufgefressen von fachfremden Belastungen. Für Studierende und Forschung bleibt wenig Zeit. Sie managen Institute, obwohl sie keine Manager sind, leiten Umstrukturierungsprozesse, die sich andere ausgedacht haben, sitzen ihre Zeit ab in Gremien und betreiben Fachbereichspolitik. Für Dekane bedeutet ihr Amt oft das Ende der inhaltlichen Arbeit und selbst C4 Professoren tippen oft ihre Briefe selbst und brüten lange über komplizierten Anträgen. Statt ihr hochspezialisiertes Wissen anzuwenden oder zu lehren, immerhin werden sie dafür bezahlt, müssen sie ihre Zeit zunehmend in Bereiche investieren, in denen sie bestenfalls Dilettanten sind. Jetzt sollen sie als weiteren fachfremden Bereich die allgemeine Erwachsenenbildung abdecken, die ganz andere methodische Fertigkeiten erfordert?
Dabei ist die Vermittlung von Wissenschaft, wäre sie wirklich ernsthaft gewollt, relativ einfach zu praktizieren. Tausende von Experten dafür bevölkern die Universitäten, sie werden nur übersehen. Warum werden nicht die Studierenden dazu animiert, ihre Diplom Arbeiten öffentlich vorzustellen? Ähnlich der Abschlussausstellungen der Kunstakademien, könnte das auch von Medizinern, Pädagogen, Ingenieuren oder anderen praktiziert werden. Für Studierende wäre dies Herausforderung und Anerkennung zugleich, sie bräuchten nur den institutionellen Rahmen und Begleitung von Dozenten, die wissen, wie man eine gute Präsentation aufbaut. Die Idee lässt sich weiterspinnen: die besten Arbeiten des Semesters werden ausgewählt und in Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen an einem Abend von den gerade fertigen Studenten präsentiert. Die Architekten zum Beispiel laden Vertreter des städtischen Bauamtes ein, Freunde und Eltern kommen und für die Fragen der interessierten Laien reicht das Fachwissen der Diplomanden allemal. Hier lauern die "Kreativitäts-potentiale", die Nida-Rümelin anzapfen möchte, aber nicht sieht. Es geht nämlich nicht um ein kleines Zimmerchen in den Oberstübchen der Professoren, welches für die Vermittlung frei werden muß. Sollte tatsächlich Interesse daran bestehen, daß Wissenschaft und Lebenswelt Kontakt bekommen, dann ist ein breiter sozialer Prozess nötig, der ohne Studenten nicht möglich ist. Nur mit ihnen könnte sich eine Kultur des Austausches entwickeln, die vielleicht ein Stück des Traumes verwirklicht, den die Wissenschaftspolitiker haben: der selbstverständlichen Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Links zum Thema
- www.fr-aktuell.de
Literatur
- Julian Nida-Rümelin: Kühne Entwürfe, kritische Prüfung. Wir brauchen eine Öffnung der Wissenschaft in die Lebenswelt: Überlegungen zu Innovation in Kunst und Wissenschaft. In: Frankfurter Rundschau vom 14. April 2001, S. 17.
