Strategien gegen Wissen?
Wer in der Bibliothek der Fachhochschule Köln in den 3. Stock möchte, der benutzt den Aufzug. Die Beförderungszahlen und der Verschleiß sinken allerdings rapide, seit man Schilder angebracht hat mit dem Hinweis: "In Ihrem eigenen Interesse bitten wir Sie den Aufzug nicht zu benutzen. Der Aufzug arbeitet sehr unzuverlässig und bleibt sehr oft stecken." In Köln wird gespart. Nicht nur beim Verschleiß des Aufzugs, sondern auch bei der Abnutzung der Bibliothek. Gleich drei mal pro Woche schließt man deren Räume schon um 16 Uhr, immerhin eine Stunde nach der Mensa.
Im 37stöckigen brain- und skyscraper der Universität Frankfurt residieren die Institute für Erziehungswissenschaften, Psychologie, Politologie, Soziologie und Psychoanalyse. Deren Abnutzung wird ebenfalls über die Fahrstühle reguliert. Die alten Industrieaufzüge halten nur in wenigen Etagen und manchmal funktioniert die Neonröhre ohne zu flackern. Wer den Mut nicht aufbringt und hier die Treppe wählt muss Sportstudent sein oder viel Zeit haben.
In dem alten Hochhaus sind die Fenster nicht zu öffnen, weil aufsehenerregende Selbstmorde nicht zu dem zählen, was sich die Uni wünscht. Im Winter hilft nur die dicke Jacke, im Sommer gar nichts. Die Atmosphäre im "Turm" ist so bedrohlich, dass der Fachbereich Psychologie die Angstzustände von Studierenden im Gebäude bereits zum Thema von Seminaren gemacht hat. Wer in so einem Gebäude arbeitet und lernt, der braucht wahrlich keine Prüfungen, um Angst kennen zu lernen. Jeder ist froh, wenn er wieder draußen ist, aber selbst das ist hier nicht ungefährlich: Im Sommer 1999 bröckelten Steine an der Außenfassade ab und verletzen Studenten, die in der Sonne saßen. Ein Jahr später musste man das ganze Gebäude im Semester sperren, weil mit dem Brandschutz etwas nicht stimmte.
Und dennoch: Frankfurter und Kölner sind froh, dass sie nicht in Bochum studieren müssen, der deutschen Universität mit der höchsten Selbstmordrate und einer Architektur, die an ein Gefangenenlager aus Orwells 1984 denken lässt.
Diese brachialen architektonischen Verhältnisse sind nicht einfach nur ein Ärgernis, sie haben fatale Folgen: Architektur und die Gestaltung von Innenräumen haben eine große Wirkung auf Bildungsprozesse, sie können durchaus "heimliche Erzieher" sein. Für Kinder und Jugendliche wird das keiner mehr leugnen. Heute arbeiten Pädagogen und Architekten eng zusammen, wenn sie Kindergärten oder Schulklassen entwerfen. Auch in der Wirtschaft bringt man Angestellte heute in hellen, modernen Büros unter, lässt sie auf ergonomischen Stühlen sitzen und richtet atmosphärische Besprechungszimmer ein. Und das sicher nicht aus purer Menschenliebe. Die Unternehmen wissen, dass sie nur in einer ansprechenden Umgebung Höchstleistungen von ihren Mitarbeitern erwarten können. Um den positiven Einfluss der Inneneinrichtung auf Kommunikationsprozesse zu optimieren, bemüht man heute sogar japanische Weisheitslehren und "Wohnphilosophien".
Aus dieser Perspektive sind die Hochschulen in Köln (63.000 Studierende), Frankfurt, Bochum und anderen Städten wahre Strategien gegen das Wissen. Räume ohne Fenster, kaputte Stühle und Tische, schlechte Beleuchtung, roher, dunkelgrauer Beton, Schimmel und Asbest, beängstigende Aufzüge - dies alles kann Ausmaße annehmen, die, handelte es sich um Gefängnisse, Amnesty International auf den Plan rufen würden. Innovativ, motiviert und leistungsfähig zu sein, fällt in dieser Atmosphäre verregneter Güterbahnhöfe nicht gerade leicht. Wenn hier tatsächlich die Form der Funktion folgt, wie es der alte Bauhaus Grundsatz will, vermitteln die Bauruinen, dass angehende Akademiker der Abschaum dieser Gesellschaft sind. Arbeitssklaven aus der Zeit des Frühkapitalismus. Kleine, wunderschöne Universitäten wie Bamberg, Witten oder Bonn wiegen das nicht auf.
Die Einstürzenden Neubauten nannten eines ihrer Projekte "Strategies Against Architecture" und schufen durch Zerstörung des Alten neue Klanggebäude. Ähnlich produktiv mit den deutschen Universitätsruinen umzugehen, und sie mit einem soliden Wissensgebäude im Kopf zu verlassen, dürfte aber wesentlich schwerer sein.
