September 2001

Wählt SubHG/TszHOG-EffU!

Die Studierendenparlamente der deutschen Unis sind Antiquariate, die es nicht mehr lange geben wird. Neben den Nachwuchsbiotopen politischer Parteien tummeln sich dort zahllose Experten für ein freies Universum. Warum AStA, StuRa und Fachschaften überhaupt noch existieren, ist vielen schleierhaft ...

Jedes Jahr sinkt die Wahlbeteiligung um ca. 1%. Im Jahr 2005 läge sie an der Uni Bonn, wenn sich der Trend fortsetzt, dann bei 10%. In diesem Jahr haben von 37.784 Studierenden immerhin noch 5.426 gewählt, also ca. 14%. An anderen Universitäten ist die Lage ähnlich, oder "schlimmer", wie AStA Vertreter das nennen. Bremen zum Beispiel: Gerade 10,6 Prozent beteiligten sich in der ehemals linken Hochburg im Jahr 2001 an den Wahlen.

Man ist enttäuscht: Warum nutzen so wenige ihr Recht auf Mitbestimmung? Warum soviel Desinteresse an der Arbeit von Studentenvertretungen?

Die Studierendenparlamente sind ein schönes Beispiel für demokratisch heilig gesprochene Disfunktionalität. Obwohl kaum einer wählt, scheint es noch immer Konsens zu sein, die Fehler bei den 90% zu suchen, die nicht wählen.

Die hätten Demokratie noch nicht begriffen und seien ein Zeichen für allgemeine gesellschaftliche Gleichgültigkeit. Reformuliert man diese nützlichen Gemeinplätze einmal nach dem Mehrheitsprinzip, könnte man feststellen, dass es scheinbar keinen einsichtigen Grund mehr gibt, Studierendenvertreter zu wählen. Vielleicht sollte man die Studenten im AStA einmal fragen, wofür und warum man sie wählen soll. Aber die eingespielte Semantik verhindert die kritische Nachfrage: Die bloße Existenz der Vertretungen erweckt die Illusion, man studiere an einer demokratisch organisierten Hochschule. Und das ist - weil man Demokratie bekanntlich niemals in Frage stellen darf - immer gut, auch wenn es schlecht ist.

AStA
steht für "Allgemeiner Studierendenausschuss". In einigen Bundesländern nennt sich dieser Zusammenschluss "UstA" (Unabhängiger Studierendenausschuss). In den fünf neuen Bundesländern ist die Bezeichnung "StuRa" (StudentInnenrat) äquivalent.

Sachlich könnte man ganz anders argumentieren: Wenn 86% nicht wählen, dann können die von einer Minderheit gewählten nicht die Mehrheit vertreten. Sie können es nur behaupten und an diesen rhetorischen Trick hat man sich gewöhnt. Immerhin kann man jedem gegenüber behaupten, man studiere an einer demokratisch organisierten Hochschule. Sieht man über diese moralische Funktion hinweg würde es wahrscheinlich von sehr wenigen Studierenden bemerkt werden, wenn AStA und Fachschaften nicht mehr existierten.

Allerdings würde dann auch eine leicht zugängliche Möglichkeit der Selbstaufwertung für die engagierten Studierenden fehlen: Wer in den Vertretungen aktiv ist, der schreibt das in seine Bewerbung und von Ferne aus gesehen, also aus den Chefsesseln, ist dieses Engagement immer moralisch gut. Nur: Haben die Studierendenvertreter dieses Prestige verdient?

Obwohl auch ich Demokratie für gut halte, kann mich keiner daran hindern, dieses Urteil an einer konkreten Situation zu falsifizieren. Schauen wir uns die AStA oder Fachschaftssitzungen an: Muffiger Kaffee, gemütliche Sofas, sympathische "lockere" Leute. Erzieherinnen hätten ihre Freude daran zu sehen, dass nicht nur Kinder in ihren Spielen die Rollen der Eltern radikalisieren, um sie einzuüben. Auch Studentenvertreter tun das: Wer sich zur CDU bekennt, der bewegt sich nicht selten am äußersten rechten Rand und die JuSos sind manchmal tatsächlich Sozialisten. Nonkonformität kann hier auch bedeuten, niemals pünktlich oder zuverlässig zu sein. Die Parteizugehörigkeit wird nicht ungern durch Sticker (PDS), Tragetaschen (Grüne) oder Krawattennadeln (RCDS) angezeigt.

Alle Mindermeinungen haben hier Vertreter, nur der Mainstream nicht mehr. Die einen wollen über Kaffee in Nicaragua diskutieren, die anderen über die Rechte von veganen, linkshändigen, schwulen Katholiken; manche beklagen den Verfall des Patriotismus und plädieren für schwarz-rot-goldene Briefkästen vor den Sekretariaten. Andere verweigern die Kommunikation, weil mit Rauchern nicht zu reden sei. Manche möchten sich prügeln, bevorzugen aber aus Imagegründen Beleidigungsklagen. Ab und zu wird ein Mitglied als "Faschist" beschimpft, weil man bei ihm ein Buch von Martin Walser gesehen haben will. Das alles ist nachzulesen in den infantilen AStA Zeitungen, die keiner liest.

Diese leider allzu realen Schilderungen lassen nun wenig durchscheinen von Themen, die einen als Studierender interessieren müssten. Aus dieser Perspektive ist es wiederum erfreulich, dass die Mehrheit nicht an diesen Debatten und Hahnenkämpfen teilnimmt.

Studierende vertreten inzwischen ihre Interessen in überschaubareren Kontexten effektiv selbst, unter bewusster Umgehung von AStA und Fachschaft. Professoren und Dekanate lassen meist mit sich reden, wenn man sie nicht mit einem feindlichen Lager verwechselt.

Die "gewählten" Vertreter haben sich derweil auf Politik festgelegt, die zu den hochschulinternen Belangen von Studierenden nur noch ein Fernverhältnis hat. Das erspart es den AStA Vertretern konkrete Verantwortung zu tragen und erleichtert den Protest. Man lobt das Gute und tadelt das Schlechte, mit großer Emphase - Schuld sind immer die anderen. Statt sich in der Jungen Union, bei den JuSos oder anderen Jungorganisationen der Parteien politisch zu engagieren, skandalisiert man BAföG und Studiengebühren, ab und zu auch hochschulinterne Themen in den Uniparlamenten und formuliert Erklärungen, die wohlgemeint sind, aber eigentlich keinen Adressaten haben.

SubHG/TszHOG-EffU
ist eine demokratisch gewählte Liste des Bonner Studierendenparlamentes: Subversive Hochschulgruppe / Transzendentale Hochschulgruppe - Sektion Experten für ein freies Universum.

Brauchen wir diese Duplizierung der Parteipolitik noch einmal in der Universität? Wenn manche so tun, als sei die Ausbildungs- und Forschungsinstitution Universität ein primär parlamentarischer Raum, indem alles politisiert, radikalisiert und schließlich durch Abstraktion ausgeblendet wird, dann verwechseln sie einiges. Sie verwechseln Demokratie (Staat) und Bürokratie (Universität) und das Ergebnis "Demobürokratisierung" kann sich in jedem Kuriositätenkabinett sehen lassen.

Aber selbst wenn wir so tun, als ginge es um die Durchsetzung von Interessen: Finden sich überhaupt bekannte Beispiele, in denen Studierendenvertretungen maßgebliche Rechte für Studierende durchgesetzt haben? Gegenwärtig sind diese Parlamente oft nichts als moralisierende Agenturen, die sich auf Jammern und Klagen über die Zustände spezialisiert haben. Und, zugegeben, auf Parties. Aber müssen wir uns dafür weiterhin einen AStA leisten?

Beitrag von Frank Berzbach

Links zum Thema

  • www.studis.de
  • www.allstudents.de
  • www.studierende-fzs.de
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