September 2001

Forschung im Interesse des Geldes

Geld als ForschungsmotorIm ersten Moment klingt es merkwürdig: Einige Fachzeitschriften wollen jetzt nur noch Studien veröffentlichen, die Unabhängigkeit garantieren. Ist denn Wissenschaft nicht durch Unabhängigkeit definiert? Heute anscheinend nicht mehr.

Wir haben es doch schon immer gewusst. Dass Korruption bei Politik, Bankaffären oder Bauschwindeln nicht halt macht, war klar. Aber Wissenschaft? Forschung sollte unabhängig sein, ist durch Objektivität definiert. Doch bei permanenter Geldnot werden Mittel aus der Industrie immer häufiger angenommen und nicht selten wollen die Finanziers auch eine Gegenleistung sehen.

Jetzt jedoch wollen einige Fachzeitschriften der Korruption in der Forschung einen Riegel vorschieben und nur noch Studien veröffentlichen, die Unabhängigkeit garantieren. Mitte September wollen die Herausgeber einiger Fachmagazine in einem gemeinsamen Editorial neue Richtlinien für Veröffentlichungen aufstellen.

Die Fachzeitschriften sind für Wissenschaftler der einzige Weg zum Ruhm, denn nur wer seine Forschung in den großen Magazinen veröffentlicht, wird wahrgenommen. Dabei gilt: Je anerkannter die Zeitschrift, desto besser.

Auf dieser Tatsache basiert auch die Idee der Fachjournale. Was genau die Magazine - unter ihnen The New England Journal of Medicine, The Lancet und Journal of American Medical Associciation - fordern werden, ist noch nicht klar. Aber es wird erwartet, dass die Journale Veröffentlichungen von Forschern ablehnen wollen, wenn unklar ist, wer die Studie finanziert hat. Außerdem sollen die Wissenschaftler, nicht die Geldgeber, diejenigen sein, die über den Zeitpunkt der Veröffentlichung entscheiden.

Nun soll also ein Wissenschaftler nachweisen, woher er das Geld für seine Studie hat und dass er seinen Geldgebern nicht das Recht zugesprochen hat, eine Veröffentlichung aufzuhalten.

In einer idealen Wissenschaft sollte dies nicht nur kein Problem, sondern gar nicht notwendig sein. Denn woher das Geld kommt, würde den idealen Forscher nicht beeinflussen. Es gibt jedoch nicht nur ideale Forscher auf dieser Welt; vielmehr müssen wir uns von der Idee der objektiven Wissenschaft verabschieden.

Statistische Analysen zeigen, dass der Geldgeber die Forschungsergebnisse beeinflusst: Die Tabakindustrie finanziert Studien, die nachweisen, dass Passivrauchen gar nicht so gefährlich ist. Pharmafirmen unterstützen Studien, die dann die Produkte der Sponsoren empfehlen (Siehe Kasten).

Fakten

> Eine statistische Analyse zeigte: 75 Prozent der Studien, die besagen, Passiv-Rauchen sei ungefährlich, wurden von Wissenschaftlern geschrieben, die von der Tabakindustrie finanziert werden. mehr

> Eine Studie über nicht steroidale Entzündungshemmer zeigte, dass 85 Prozent der Studien durch Hersteller dieser Medikamente finanziert wurden. Alle so unterstützten Forscher empfahlen das Produkt. mehr

> Als eine Studie über ein HIV-Medikament nicht zu dem gewünschten Ergebnis kam, verklagte der Hersteller den Verfasser der Studie auf sieben bis zehn Millionen Dollar Schadensersatz. mehr

Für die Pharmafirmen lohnt sich der Trick. Denn Ärzte orientieren sich beim Verschreiben von Medikamenten an den wissenschaftlichen Ergebnissen ihrer Kollegen. Zu diesem Vorteil erkaufen sich die Geldgeber auch oft vertragliche Rechte. Sie können die Ergebnisse schon vor der Veröffentlichung einsehen und überlegen, wofür sie diese nutzen könnten.

Und sollten die Ergebnisse nicht gefallen, können sie die Veröffentlichung verzögern - zum Teil um Jahre. US-Firmen haben sogar schon Forscher verklagt, weil sie "unerwünschte" Studien veröffentlicht haben. Auf Schadensersatz. Weil die Studie die Nutzlosigkeit des Medikamentes bewies.

Von all dem wollen viele Forscher am liebsten gar nichts wissen. Sie meinen, dass die ehrlichen Wissenschaftler objektiv zu ihren Ergebnissen kommen und die Forderungen der Magazine unnötig sind, ja gar die Integrität der ehrlichen Wissenschaftler in Zweifel ziehen.

Aber sind nicht gerade in der Wissenschaft jegliche Zweifel ein Muss? Nicht umsonst gilt in der Medizin nur eine sogenannte "Doppelblindstudie" als professioneller Nachweis. Wenn ein Forscher die Wirkung eines Medikamentes nachweisen will, teilt er die Probanden in zwei Gruppen. Die eine bekommt das zu testende Medikament und die andere ein Placebo, also einen Stoff, der nur aussieht wie das Medikament, aber keinen Wirkstoff enthält.

Der Trick bei der Doppelblindstudie ist nun, dass weder die Patienten selbst, noch diejenigen, die die Medikamente verabreichen, wissen, wer was bekommt.

Warum wird das gemacht? Wissenschaftler müssen auch - und ganz besonders - an sich selbst zweifeln. Sie müssen in Betracht ziehen, dass sie einem Patienten unbewusst Hinweise geben könnten und so das Ergebnis der Studie verfälschen könnten.

Wenn die Wissenschaft heute nur noch Doppelblindstudien akzeptiert, heißt das nicht zwingend, dass ein Arzt bewusst einem Probanden einen Hinweis gibt. Es ist keine Infragestellung der Integrität, es ist lediglich eine zusätzliche Sicherheit. Genauso muss ein Wissenschaftler sicher gehen, dass er unabhängig von seinen Geldgebern ist.

Wissenschaft muss sich selbst in Frage stellen, um die Objektivität zu wahren, denn dies ist einer der wesentlichen Grundpfeiler der Wissenschaft. Transparenz ist dabei unentbehrlich.

Richard Smith, Herausgeber des New England Journal of Medicine kämpft ganz vorne für die Transparenz der Forschung. Schon seit 1994 tritt er in seinem Magazin dafür ein, dass jeder Autor angeben sollte, welche möglichen Interessenskonflikte er haben könnte. Lange war die Resonanz nicht groß, viele Forscher ließen das Feld für Interessenskonflikte auf ihrem Fragebogen einfach leer.

Daher will Smith mit seinen Kollegen jetzt in einem gemeinsamen Editoral Mitte September neue Richtlinien aufstellen.

Dass dies einigen Forschern nicht gefällt, ist klar. Einige wollen vielleicht nicht in die Hand beißen, die sie füttert, andere zieren sich um ihren Ruf als integere Wissenschaftler. Aber um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu erhalten, sollten Forscher, Universitäten und alle Zeitschriften gemeinsam dafür eintreten, dass Objektivität wieder eine Selbstverständlichkeit wird.

Sicher können sich fortan nicht alle Wissenschaftler aus öffentlichen Mitteln finanzieren. Aber wenn die Universitäten und Forscher keine Knebelverträge mehr annehmen, wenn die Geldquellen offen gelegt werden und Interessenskonflikte mit den Artikeln veröffentlicht werden - dann kann sich ein Leser sein eigenes Bild machen und selbst beurteilen, wie objektiv eine Studie ist.

Beitrag von Sina Bartfeld

Links zum Thema

  • Smiths Editoral von 1994
  • Smiths Editoral von 1998
  • Information über das kommende Editorial ist die Washington Post 4.8.2001

Studien, die Korruption aufzeigen

  • Studie 1
  • Studie 2
  • Studie 3

Literatur

  • Rodwin M. (1993): Medicine, money and morals. New York: Oxford University Press
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