September 2001

Wie mächtig ist George Bush?

World Trade Center in ManhattenNach den terroristischen Anschlägen vom 11. September wird es für den amerikanischen Präsidenten schwierig, es allen Seiten recht zu machen...

Die brutalen und menschenverachtenden Terroranschläge am letzten Dienstag galten zwei Symbolen der wirtschaftlichen und militärischen Macht der USA. Amerika sollte im Herzen getroffen und zutiefst gedemütigt und geschwächt werden.

Womit die Terroristen nicht gerechnet hatten: nach ihrer unfassbaren Tat sind die USA und die ganze Welt vereint wie nie zuvor.

Überall auf der Welt ähnliche Szenen. Schweigeminuten, Trauergottesdienste, lange Menschenschlangen, die vor amerikanischen Botschaften darauf warten, sich in Kondolenzbücher eintragen zu können.

Auch die Amerikaner stehen geschlossen hinter ihrem Präsidenten und verlangen konkrete Taten. Nach einer Time/CNN-Umfrage vom 14.9. befürworten 85% strategische Luftangriffe; 81% unterstützen die gezielte Tötung der Köpfe hinter den Anschlägen; immerhin noch 55% wären sogar bereit, im Fall einer Invasion durch Bodentruppen schwere amerikanische Verluste hinzunehmen. Lediglich bei massiven Bombardierungen mit hohen Verlusten unter der Zivilbevölkerung zeigten sich die Befragten gespalten.

Der Kongress verurteilte am Tag nach der Katastrophe in einer gemeinsamen Sitzung von Haus und Senat die Attacken einstimmig "in the strongest possible terms". Am Freitag (14.9.) wurde wiederum einstimmig und in einer gemeinsamen Sitzung eine Resolution verabschiedet, die den Präsidenten autorisierte, mit aller notwendigen und angemessenen Gewalt gegen die Terroristen vorzugehen.

Die Einheit der USA in Zeiten nationaler Krisen hat lange Tradition. "Rally around the flag", nennt man dieses Phänomen, das bislang nach jedem Angriff auf die USA zu beobachten war. Die Einheit ist aber auch notwendig, um die einzige Supermacht handlungsfähig zu erhalten. Der Präsident der Vereinigten Staaten mag oft als mächtigster Mann der Welt angesehen werden; er ist allerdings nur dann mächtig, wenn es ihm gelingt, den Kongress und die öffentliche Meinung auf seiner Seite zu haben.

Kongress und Präsident sind im Verfassungssystem "co-equal branches of government", sie sind einander ebenbürtig. In einer Krisensituation, in der schnelle Entscheidungen gefragt sind, verschiebt sich das Machtgefüge zwischen Kongress und Präsident zwar zugunsten des Präsidenten, gleichwohl bleibt der Kongress aber eine wichtige Größe. Selbst in der militärischen Außenpolitik kann der Präsident nicht alleine handeln. Er hat zwar den Oberbefehl über die Streitkräfte, aber der Kongress muss das notwendige Geld bewilligen.

Kleinere Warnungen aus dem Kongress hat es bereits gegeben. In der Debatte über die Autorisierung von Gewaltanwendung war beispielsweise wiederholt davon die Rede, nicht erneut eine "Gulf of Tonkin Resolution" zu verabschieden. Im August 1964 hatte der Kongress nach einem nordvietnamieischen Angriff auf ein amerikanisches Schiff Präsident Johnson ermächtigt, alle Mittel einzusetzen, um weitere Angriffe abzuwehren und künftige aggressive Handlungen zu verhindern. Mit dieser Resolution hatte der Kongress die Kontrollrechte gegenüber der Außenpolitik des Präsidenten aufgegeben und so die Eskalation des Vietnam-Kriegs ermöglicht.

Bush muss also vor allem darauf achten, Bevölkerung und Kongress weiterhin geschlossen auf seiner Seite zu halten.

Die Bevölkerung erwartet von ihm symbolische Handlungen. Er muss Präsenz zeigen, wie am Freitag (14.9.) am Ort der Zerstörung in New York. Er soll trösten, Kraft geben, Stärke demonstrieren, Mitgefühl zeigen. In schweren Krisen wollen Amerikaner keinen Bürokraten im Weißen Haus; sie wollen einen weltlichen Seelsorger. Nicht zufällig hatte Bush bislang einen seiner beeindruckendsten Auftritte beim Gedenkgottesdienst in der National Cathedral in Washington.

Im Kongress muss der Präsident auf die Abgeordneten beider Parteien eingehen, um die Einstimmigkeit mittelfristig zu erhalten. Dies war bislang nicht seine Stärke. Bush hat in den neun Monaten seiner Präsidentschaft konsequent nur mit den konservativen Abgeordneten seiner eigenen republikanischen Partei zusammengearbeitet. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass im Mai 2001 der gemäßigte republikanische Senator James Jeffords seine Parteimitgliedschaft aufgekündigt hat und dadurch die Kontrolle über den Senat - bis dahin genau in der Mitte geteilt - in die Hände der Demokraten gelegt. Paul Krugman, bei der New York Times zuständig für volkswirtschaftliche Themen, berichtete am Freitag (14.9.), die Demokraten seien bei den Beratungen über das am Donnerstag verabschiedete Nothilfeprogramm nicht konsultiert und nicht einmal ausreichend informiert worden. Hier könnte eine der größten Gefahren für die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit des Präsidenten liegen.

Bevölkerung und Kongress erwarten vom Präsidenten aber vor allem handfeste Ergebnisse. Er muss die Untersuchung gegen das Netzwerk des Terrorismus vorantreiben, die Verantwortlichen identifizieren, und schließlich bestrafen. Hier liegt die Krux. Die Untersuchung hat zwar ganz erstaunliche Erfolge gezeitigt - Selbstmordattentäter und ihrer Helfer denken offensichtlich nicht daran, was nach dem Anschlag passieren wird. Viele Spuren scheinen bisher in Richtung Osama bin Laden zu zeigen, vielleicht auch auf weitere Terroristengruppen aus dem Mittleren Osten.

Aber wie kann die Reaktion aussehen? Angesichts der eindeutigen, fast einstimmigen Rufe aus der Bevölkerung nach militärischen Antworten ist die Zurückhaltung der Bush-Administration erstaunlich. Sie ist wohl auch ein Zeichen dafür, wie schwierig es in diesem Fall sein wird, militärische Ziele zu definieren.

Auf den Schultern von George Bush lastet eine gewaltige Aufgabe. Immerhin, die ganze Welt hat sich nach dem unfassbaren Anschlag hinter ihn gestellt. Die europäischen Verbündeten haben sofort und unmissverständlich ihre unbedingte Unterstützung signalisiert. Bundeskanzler Schröders Rede von der "Kriegserklärung an die gesamte zivilisierte Welt" wurde ebenso positiv in den amerikanischen Medien aufgenommen wie die Solidaritätserklärung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck: "Heute sind wir alle Amerikaner."

Auch die bislang einmalige Reaktion der NATO, die Terrorattacken nach Artikel 5 des Washingtoner Vertrags als Angriff auf alle Mitglieder zu werten, signalisiert den USA die moralische Unterstützung, die sie jetzt am meisten benötigen. Man muss sich allerdings auch klar machen, dass diese Entscheidung letztlich zwar eine enorme symbolische Bedeutung besitzt, aber kaum reale Konsequenzen nach sich zieht. Im Golfkrieg 1991 war es nicht notwendig, den gemeinsamen Verteidigungsfall auszurufen, um eine breite Koalition zu einem gemeinsamen militärischen Unternehmen zusammenzuschweißen; umgekehrt beinhaltet Artikel 5 keinen Automatismus, der jetzt jeden NATO-Partner zu einem militärischen Eingreifen zwingen würde.

Wichtiger noch als die Verbündeten sind allerdings die Reaktionen von Russland und China. Beide haben sich ebenfalls unmissverständlich hinter die USA gestellt und ihnen das Recht zugestanden, mit aller Härte auf den Terror zu reagieren. Dies spiegelt sich auch in der Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 12. September wider, in der die Angriffe als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" bezeichnet werden. Eine stärkere Verurteilung kennen die Vereinten Nationen nicht.

Die Welt ist sich so einig wie nie zuvor. Weder in der amerikanischen Gesellschaft, noch im internationalen System scheint sich nennenswerter Widerstand gegen eine Bestrafung der verantwortlichen Terroristen zu regen.

Das vielleicht bemerkenswerteste Ergebnis der Tragödie ist die plötzliche Wiederentdeckung internationaler Kooperation in den USA. Die Präsidentschaft Bushs war bislang stark isolationistisch geprägt, Bush schien besessen zu sein, so viele internationale Abkommen wie möglich ad acta zu legen.

Jetzt brauchen die USA ihre Freunde und Verbündeten, und sie suchen diese auch. Nicht nur in Europa. Diesen Geist gilt es festzuhalten, um eine gemeinsame Front der ganzen Welt - einschließlich islamischer Staaten! - gegen den internationalen Terrorismus zu bilden. Die Zeichen stehen gut dafür.

Beitrag von Markus Lang

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  • Lehrstuhl für Politikwissenschaft der TU Chemnitz

Zur Person

Markus Lang studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Mathematik / Informatik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit 1999 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft I an der TU Chemnitz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört unter anderem das politische System der Vereinigten Staaten.

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