November 2001

"Die Deutschen sind immer noch zu unproduktiv"

Peter UetzEin Interview mit Peter Uetz, Molekularbiologe an der Uni Karlsruhe, über verschwendete Forschungsgelder, mangelnde Flexibilität, Ausländerfeindlichkeit und den Ruf Deutschlands als Wissenschaftsstandort.

sg: Wenn du es einem Laien erklären müsstest: Woran arbeitest du zur Zeit?

Peter Uetz: Man könnte unsere Arbeit als "molekulare Anatomie" bezeichnen. In der Molekularbiologie ist man in der erstaunlichen Situation, dass man von vielen Organismen eine Liste der Bauteile hat, aber nicht weiß wie sie zusammengehören. Ein Kiste mit Puzzleteilen gewissermaßen. Diese Puzzleteile sind vor allem Proteine (=Eiweiße), aber auch Zucker, Fette, und andere Verbindungen.

Wir versuchen nun, die Puzzleteile zusammenzufügen, konkret: wir wollen herausfinden, welche Proteine aneinander binden. Die meisten Proteine binden nämlich aneinander und bilden dadurch komplexe Netzwerke von Interaktionen. Wenn man diese Interaktionen kennt, kann man daraus erschließen, was die Proteine machen und damit letztlich auch, wie eine Zelle oder ein Organismus funktioniert.

sg: Du hattest ja im Jahr 2000 eine Veröffentlichung in "Nature", einem der renommiertesten Wissenschaftsmagazine überhaupt. Das ist heutzutage eine Leistung, der sich nicht viele deutsche Wissenschaftler rühmen können. Wusstet ihr von Anfang an, dass ihr an einem so "heißen" Thema arbeitet?

PU: Ich schon [lacht] - Der Witz an dem Nature-Paper war, dass wir eine Methode entwickelt haben, mit der man systematisch alle Wechselwirkungen (Interaktionen) eines Proteins studieren kann. Wir haben diese Methode automatisiert und konnten dadurch in dem Nature- Artikel rund 1000 Proteininteraktionen beschreiben. Das war Weltrekord!

Nun mal im Ernst: ich bilde mir ein, das Potential dieses Projektes schon früh erkannt zu haben. Deshalb habe ich mich ja in einem amerikanischen Labor beworben, nachdem ich von deren Plänen gehört habe. Als ich mich dann in Deutschland um ein Auslandsstipendium beworben habe, wurde mein Antrag von der DFG prompt abgelehnt - ohne Begründung versteht sich. Der DAAD hat mich dann aber dankenswerterweise gefördert. Man muss dazu sagen: In Europa gab es zu diesem Zeitpunkt kein vergleichbares Projekt.

sg: Welche Erfahrungen hast Du in den USA gesammelt? Hat sich dadurch Deine Sichtweise auf die deutsche Forschungslandschaft geändert?

PU: Die Amerikaner sind natürlich auch nicht intelligenter als wir. Sie haben aber auf jeden Fall mehr Selbstbewusstsein. Sie glauben daran, dass sie etwas machen können und machen das dann auch. Die Deutschen tendieren meiner Erfahrung nach dazu, zuerst abzuwarten, haben dann Bedenken und trauen sich nicht, große Projekte anzugehen. Wenn sie dann merken, dass sie etwas verschlafen haben, ist es meistens zu spät. Zur Zeit versucht die Bundesregierung zwar völlig hektisch auf dem Sektor Genom- und Proteomforschung aufzuholen, aber das führt im Moment dazu, dass das Geld streckenweise völlig unüberlegt an die falschen Leute verteilt wird - was nicht zuletzt daran liegt, dass man jahrelang verschlafen hat, moderne Arbeitsrichtungen zu fördern und dann eben keine Leute da sind, denen man das Geld geben kann.

sg: Wie gut ist der Ruf der deutschen Molekularbiologen im Ausland wirklich?

PU: Viele deutsche Arbeitsgruppen leisten hervorragende Arbeit. Durch die Größe Deutschlands wird natürlich viel publiziert und das Publizierte wird entsprechend auch wahrgenommen. Allerdings sind die Deutschen relativ zu den USA oder auch England immer noch zu unproduktiv.

Natürlich haben die Amerikaner auch den Vorteil, dass sie Englisch sprechen. Die englische Muttersprache erleichtert ja nicht nur das Schreiben, Lesen, und Kommunizieren. Die Sprache zieht ja vor allem ´manpower´ an: jeder, der wissenschaftlich arbeiten will, kann englisch und will schon deshalb am liebsten in einem englischsprachigen Land leben.

Ausländische Wissenschaftler haben es in Deutschland nicht nur wegen der Sprache schwer, sondern auch noch wegen der weltweit berüchtigten Fremdenfeindlichkeit. Das ist tödlich für den Ruf Deutschlands als Wissenschaftsstandort! Wir haben eindeutig zu wenig ausländische Wissenschaftler in Deutschland.

sg: Sind die amerikanischen Professoren wirklich so anders als die deutschen?

PU: Nun ja, meine Erfahrungen sind da wohl kaum repräsentativ, aber ich habe den Eindruck, dass die amerikanischen Professoren sicherlich lockerer sind. Das mit den offenen Türen stimmt tatsächlich. Die bilden sich sicher nicht so viel ein wie die Deutschen und der Kontakt wird natürlich nicht zuletzt durch das "Duzen" erleichtert.

sg: Was würdest du dir für die deutsche Forschungslandschaft wünschen?

PU: Auf jeden Fall mehr Flexibilität. Kürzlich hat sich ein Physikstudent bei mir beworben, der seine Diplomarbeit in meinem Labor anfertigen wollte. Er hat aber keinen Physikprofessor gefunden, der das unterstützt hat. Es gibt da bürokratische Hürden und natürlich auch Futterneid, wenn Leute in andere Fachgebiete überlaufen. In den USA habe ich einen Informatiker und einen Mediziner bei ihren Semester- oder "Masters-" Arbeiten betreut - das war kein Problem.

sg: Hast du einmal mit dem Gedanken gespielt, für die Industriebranche zu arbeiten, oder war es von Anfang an klar, dass du in der Forschung bleiben würdest?

PU: Ich hatte ein sehr attraktives Angebot aus der Industrie. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich aber für eine akademische Stelle entschieden, weil mir die Freiheit der Forschung zu wichtig ist.

sg: Auch in der internationalen Forschung ist heute Mobilität sehr gefragt. Aber auch Wissenschaftler haben ja ein Privatleben. Hat man heutzutage überhaupt Chancen, eine länger befristete Stelle zu bekommen und auch einmal an einem Ort bleiben zu können?

PU: Obwohl man in den USA keineswegs gleich zu Anfang feste Stellen bekommt, haben viele, wenn nicht die meisten "assistant professors" die Aussicht auf eine feste Anstellung, sofern sie produktiv genug sind. Diese "Probezeiten" nennt man "tenure track". In Deutschland gibt es solche Stellen auch, aber sie sind die Ausnahme, was eine akademische Karriere in Deutschland ziemlich frustrierend machen kann, weil man selbst bei sehr guter Arbeit die Stelle verlieren kann.

Beitrag von Christoph Scherber

Links zum Thema

  • Homepage von Peter Uetz

Zur Person

Peter Uetz, PhD, ist Leiter der Arbeitsgruppe "Functional Genomics and Proteomics" am Forschungszentrum Karlsruhe. Seine jüngste Publikation im Wissenschaftsmagazin "Nature" (Nature 403 (2000): 623-627) stellt einen Meilenstein in dem noch sehr jungen Zweig der Proteomforschung dar.

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