Januar 2002

Reading literacy?

Lesekompetenz von SchülernIm Land der Dichter und Denker, der Literaturnobelpreistäger und der "ästhetischen Erziehung" (Friedrich Schiller) verstehen 15-jährige kaum noch zwei kurze, sachliche Briefe zum Thema Graffiti. So jedenfalls belegt es die Vergleichsstudie PISA. Wir können froh sein, dass nicht deutsche Studierende befragt wurden ...

Nachdem in den letzten 20 Jahren die Parteiideologien die Schulpolitik bestimmt haben, können wir jetzt endlich über die Sachprobleme sprechen - die Ergebnisse der PISA Studie lassen sich auch mit den übelsten Absichten nicht mehr relativieren. Es ist also zu hoffen, dass jetzt auch Herrn Stoiber und seinen Konservativen anderes einfällt als "Disziplin, Fleiß und Sekundärtugenden" und den Sozialdemokraten mehr als "Gesamtschulen".

Man kann jetzt einen unnostalgischen Blick auf die besten Alternativschulen werfen und ohne Rot zu werden zugeben, dass deren ambitionierte Pädagogik der Projektarbeit, des selbstorganisierten Lernens und der Abschied von 45 Minuten Schulstunden richtig und wegweisend sind. Die oft belächelten Pädagogen können sich dabei nicht nur auf Erfahrung, Ergebnisse und Pragmatismus, sondern auch auf die Gehirnforschung stützen. Nicht nur deshalb hat man jetzt endlich begriffen, dass zum Beispiel an der Bielefelder Laborschule seit 30 Jahren vieles besser gemacht wird.

Dass Schule irgendwie mit Hochschule zu tun hat, deutet sich schon in den Begriffen an. Viele Professoren werden allerdings sehr froh darüber sein, dass man nicht auch bei deutschen Studierenden nachgeschaut hat, wie es mit deren reading literacy ausschaut. Es geht bei diesem Konzept nicht um den Schwachsinn, mit dem uns Prof. Schwanitz in seinem Buch "Bildung - Alles was man wissen muss" belästigt, sondern um die Fähigkeit, einen gewöhnlichen Text aus dem 21. Jahrhundert erfassen, interpretieren und mit der Wirklichkeit abgleichen zu können.

Literacy hat mit Literatur im künstlerischen Sinne erst einmal nichts zu tun, sondern könnte auch mit Alphabetisierung übersetzt werden. In Deutschland verwechselt man das hingegen meist damit, dass Schüler nicht nur Texte verstehen sollen, sondern gleich 200 Jahre alte Texte, zu denen auch den meisten Erwachsenen - eventuell sogar den Lehrern - heute nichts mehr einfällt. Irgendetwas kann da nicht stimmen.

An den deutschen Universitäten wird bis heute kaum ein Schreibkurs angeboten, es wird kaum Wert auf "Lese- und Schreibfähigkeit" gelegt. Es wird sich zwar viel beklagt über die Unfähigkeit der Studierenden, aber ein Lehrangebot resultiert aus dieser Klage leider selten. Professoren beklagen allgemein gern die Umstände, kommen aber selten darauf, dass auch ihr Verhalten Teil des Problems sein könnte. Würde man wie die Erziehungswissenschaftler von PISA vorgehen, so müsste man Hauptstudiumsstudenten einen wissenschaftlichen Fachaufsatz vorlegen und ihnen dazu einige kluge Fragen stellen.

Das Ergebnis wäre wahrscheinlich eine mittlere Katastrophe, das wird dem schnell klar, der in Seminaren die Diskussionen von Fachaufsätzen erlebt hat. Reden wir vom gleichen Text, fragt sich mancher Dozent? Das Problem dieser Leseunfähigkeit wird meist damit gelöst, dass Lesen unter den Studierenden relativ verpönt ist - wer fleißig liest wird zum Außenseiter. Selbst angehende Literaturwissenschaftler lesen nicht, glaubt man der Aussage mancher Professoren. Jeder Student kennt das Phänomen, dass meist nur drei Leute in einem Seminar den Text gelesen haben, der dafür in der Vorwoche ausgeteilt worden war. Welcher Text?

Das Ergebnis dieser Lesefeindschaft führt dann zum erhöhten Stress in der Diplomphase, da kommt man ums Lesen schwer herum. Und es führt zu einer relativ geringen fachlichen Bildung. Das Niveau sinkt, rufen die Professoren. Eigentlich gilt auch hier, wie bei PISA: Wer nichts verlangt, wer nichts investiert, bekommt nichts heraus. Erschwerend kommt hinzu, dass man lesen nur durch lesen lernt: man müsste es also tun. Aber bisher haben wir Glück: die PISA Forscher haben bei Studierenden nicht nachgefragt ...

Beitrag von Frank Berzbach

Links zum Thema

  • PISA-Studie

Linteratur

  • Baumert , Jürgen; Klieme, Eckhard; Neubrand u.a. (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen, Leske + Budrich: 2001
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