"Du jetzt Ausländer"
Samstag, vier Uhr morgens. 185 Kilo Bücher, Ordner, CD´s und was man sonst noch so zum Leben braucht sind unterwegs nach Großbritannien - per Paketdienst. Ich selbst auch bald - per Flugzeug.
In einer Reisetasche klappernTöpfe und Pfannen, im Rucksack habe ich Kleidung und Schuhe verstaut. Und im Handgepäck mein Laptop, ZIP-Laufwerk und ein Handscanner, 800 dpi.Und das alles wegen meiner Diplomarbeit. Ein Sprung ins kalte Wasser, bei dem ich mir hoffentlich keine Unterkühlung holen werde.
Zwei Stunden lang kämpfe ich mich mit dem Gepäck durch Londons U-Bahn-Schächte - dann sitze ich endlich im Bummelzug Richtung Reading. Die niedlichen britischen Dörfchen und Vorgärten, Parks, Schlösschen sowie uralte, knorrige Eichen ziehen ruhig an meinem Auge vorbei. Ich steige in Ascot aus. Die Luft ist mild und feucht, beinahe wie im Kalthaus eines botanischen Gartens. Keine Spur von Winter - bis auf die kahlen Laubbäume.
Nach einem kurzen Sprachwechsel auf englisch fragt mich mein Taxifahrer in gebrochenem Deutsch: "Ah, Du jetzt Ausländer, eh? Deutsche mögen nix Ausländer, ah?" Sofort beginne ich zu beteuern, nur ein kleiner Prozentsatz der Deutschen sei ausländerfeindlich. Und es sei alles gar nicht so schlimm wie man vielleicht im Ausland glaube. Zum Glück fügt er aber hinzu, er möge Deutschland, er habe lange Zeit in Kaiserslautern gelebt.
Das also war meine Begrüßung in Großbritannien. Ich hätte nie vermutet, dass Ereignisse wie Hoyerswerda, Mölln oder Lichtenhagen sich im Ausland so ins Gedächtnis gebrannt haben! Nun gut, dann würde also ich jetzt der Ausländer sein.
Ankunft am Imperial College, Außenstelle Silwood Park. Laut britischem Uni-Ranking nach Oxford und Cambridge eine der gefragtesten Adressen in Großbritannien. Am Imperial College wurde zum Beispiel die Magnetschwebebahn erfunden - von einem Physiker, der schon immer gern mit Magneten gespielt hat.
In meinem Zimmer gibt es alles, was man zum Leben braucht. In der Küche gibt es dagegen zunächst nur spartanische, weil selbst mitgebrachte Vorräte: Eine Packung Nudeln, ein Päckchen Tee, eine Flasche Mineralwasser. Auf dem Campus dann die Überraschung: knapp die Hälfte der Leute sind gar keine Engländer, sondern aus anderen Ländern. Alle sind sehr hilfsbereit. Kein Wunder, sind es doch nur ungefähr 40 Studenten, die hier in den kleinen Häuschen in Sechser-Wohngemeinschaften leben und aus aller Herren Länder kommen.
Zum Beispiel zwei Doktoranden aus Bangladesh, die sich mit "Deer Ecology" (Hirsch-Ökologie) beschäftigen. Oder ein Österreicher mit zypriotischem Namen und Grundstudium in Cambridge, der jetzt seine Doktorarbeit auf Hawaii schreibt. Ein Inder, der im afrikanischen Kongo aufgewachsen ist und jetzt hier seinen Master macht. Und sie alle studieren die verrücktesten Sachen: Von molekularer Entwicklungsbiologie über "Evolution der Retroviren" bis hin zu Umweltdiagnostik oder Taxonomie Ost-Afrikanischer Libellen. Natürlich, alles hat irgendwie mit Biologie zu tun. Aber es gibt hier auf dem Campus auch einen eigenen Atomreaktor, von dem ich lieber nicht wissen möchte, welche Versuche dort gemacht werden.
Die Stille hier am Wochenende ist beinahe bedrückend, alle arbeiten für ihre Projekte - auch sonntags. Die Abgeschiedenheit des Campus lässt kaum Spielraum für Ablenkungen. Vor meinem Zimmerfenster wiegen sich Rhododendronbüsche im Wind, und hinter dem Haus öffnet sich der Blick auf die roten Ziegelmauern altenglischer Gebäude, die locker in einer weitläufigen Parklandschaft mit majestätische Eichen verstreut liegen. Für eine Woche werde ich erst mal nicht telefonieren oder e-mails schreiben können - solange, bis ich einen eigenen Anschluss habe. Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen, und ein wenig davon zu träumen, was die kommenden Monate in England bringen werden.
Links zum Thema
- Homepage des Imperial College
Zur Person
Christoph Scherber studiert im 9ten Semester Biologie an der Uni Rostock. Er schreibt zur Zeit seine Diplomarbeit am Imperial College, Department of Biology, Silwood Park, in der Nähe von London.
