April 2002

Terroranschlag auf den Mittelbau!

Revolutionen sind grausamer als Reformen. Sollten die geplanten Änderungen des Hochschulrahmengesetzes Wirklichkeit werden, könnte sich das ändern ...

Dass immer mehr junge Wissenschaftler Deutschland den Rücken kehren, scheint sich inzwischen bis ins Bundeskabinett herumgesprochen zu haben. So jettete Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlman im letzte Jahr eigens in die USA, um vor der deutschen Hochschullandschaft geflohene Spitzenforscher wieder ins Land zu locken. Von außen betrachtet ein seltsames Unterfangen, wirkt doch auf viele Nachwuchswissenschaftler gerade die von ihr geplante Änderung des Hochschulrahmengesetzes wie eine behördliche Aufforderung zur Flucht.

Dieser Änderungsentwurf hat es geschafft, - und das ist eine erstaunliche Leistung -, von der FAZ bis zur TAZ einhellige Ablehnung und Kritik hervorzurufen. Der Entwurf sagt viel über das Bild des jungen Wissenschaftlers in Deutschland: Vor allem ist sie ein (weiterer) Anschlag auf den akademischen Mittelbau. Selbst den Professoren geht diesmal die Attacke zu weit, sie kämpfen an allen Fronten für uns, auch das muss einmal gesagt werden.

Schon die "Juniorprofessuren" könnte man eigentlich als umbenannte Post-Doc-Stellen ohne Habilitationsmöglichkeit bezeichnen. Wer nämlich den damit verbundenem Arbeitsaufwand erfüllt, der wird schlecht nebenbei habilitieren können. Ohne Habilitation ist aber noch immer keine Universitäts-Professur zu haben.

Woher sich Politiker das Recht nehmen Arbeitsbiographien derart über ein Berufsverbot zu reglementieren, das bleibt vorerst offen. Seit den Berufsverboten für politische Extremisten jedenfalls wurde ein solches Instrument nicht mehr eingesetzt - Nachwuchswissenschaftler scheinen in die gleiche Kategorie zu gehören. Offensichtlich verwechselt man das wissenschaftliche Personal mit Langzeitstudenten. Es scheint sich die Meinung festgesetzt zu haben, dass die Uni nur aus Professoren und noch-nicht-Professoren bestünde.

Wer den universitären Alltag aber kennt, fragt aus anderer Perspektive: Wer überhaupt erledigt das Alltagsgeschäft der Forschung und Lehre? Wer ist immer, meist von morgens bis spät abends in der Uni anzutreffen? Wen trifft man auch in den Semesterferien in der Mensa am einzig besetzten Tisch? - Dort sitzen nämlich Doktoranden oder andere wissenschaftliche Mitarbeiter.

Und die sind nicht einfach noch-nicht-Professoren, sondern Experten. Sie sind vollgültige und erwachsene Arbeitnehmer und nicht bloß Fußvolk. Man stelle sich die Regelung für eine Behörde oder ein Unternehmen vor: wer nicht innerhalb von 12 Jahren nach der Ausbildung die Bankfiliale leitet, fliegt raus. Oder: Wer nach 12 Jahren nicht Schuldirektor ist, der darf nicht mehr als Lehrer angestellt sein. Wo liegt da der Sinn?

Die willkürliche Zeitfrist und das mitkommunizierte Bild von jungen Wissenschaftlern - die eben nicht nur "Nachwuchs" sind - gibt den klugen Absolventen recht, die entweder ihr Studium gar nicht beenden (ca. 40%) oder gleich vor oder nach dem Diplom ins Ausland verschwinden, wo sie durchaus geschätzt werden. Sie sind dort weder eine Belastung noch zwangsläufig Professoren von morgen: sie sind Forscher - egal auf welcher Hierarchiestufe. Warum es in Deutschland neben den Professoren überhaupt keine unbefristeten Stellen (mehr) an Universitäten gibt, bleibt völlig unverständlich. Dies belastet alle: Professoren, wissenschaftliches Personal, Studierende. Eine breite Ebene von Dozentenstellen, unbefristete Stellen für promovierte Forscher, die in Lehre und Forschung mitarbeiten, würde einige Probleme lösen. Professoren würden von vielem entlastet und Dozentenstellen an sich wären eine attraktive Berufsperspektive.

Mit der neuen Regelung wird man dagegen erst einmal unzählige hochqualifizierte Forscher in die Arbeitslosigkeit schicken - die ausländischen Universitäten werden sich freuen. Vielleicht werden dann eines Tages genau jene ausgewanderten Forscher in ihrer Ahnengalerie ausländische Vorfahren entdecken. Dann könnten sie über die Green-Card-Regelung wieder nach Deutschland zurückkommen, es fehlen ja Experten.

Den nachrückenden Nachwuchswissenschaftlern, deren Leidenschaft die Wissenschaft ist, wird man raten können, früh genug ins Ausland abzuwandern, um der unerträglichen Arbeitssituation im akademischen Mittelbau zu entkommen. In den USA wird man auch vor dem 50. Lebensjahr geschätzt, auch bevor man den Professorentitel trägt.

Ob der Traum allerdings aufgeht, dass man die deutsche Wissenselite im Ausland ausbilden lässt, kann bezweifelt werden - dazu müssten sie nämlich freiwillig zurückkehren. Zudem wäre es eine Bankrotterklärung der Bildungspolitik in Deutschland, dessen einzige Ressource Wissen ist - es ist die Frage, wie lange noch.

Beitrag von Frank Berzbach

Links zum Thema

  • Entwurf Hochschulrahmengesetz
  • Entwurf zur Änderung des HRG
  • Die aktuelle Debatte (Linkliste)
  • Drohende Massenentlassungen an der Uni (SZ Beitrag)

Literatur

  • Martin Spiewak: Flucht der Forscher. Dossier in: DIE ZEIT vom 17. Mai 2001, S. 15 ff.
  • Klaus Klemm / Michael Weegen: Wie gewonnen, so zerronnen. Neue Befunde zu Bildungsexpansion und Akademikerquote. In: FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 25. Mai 2000, S. 6.
  • Ulrich Herbert: Die Posse. An den Unis werden Massenentlassungen als Reform verkauft. In: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vom 09.01.2002, Nr. 7, S. 13. (Siehe Link).
  • Wolfgang J. Mommsen: Kein Plan, nirgends. Hochschulpolitik nach Art der DDR. In: FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG vom 08.02.2002, S. 52 (Über Linkliste).
  • Manfred Pfister: Verschrottung des Mittelbaus. In: DIE TAGESZEITUNG vom 08.02.2002 (Über Linkliste).
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