Frau Mairs Arbeitswelt I
Wer heute eine Stellenanzeige liest, der weiß meist nicht, was das Unternehmen sucht. Man versteht nur, dass das Unternehmen Spiel und Spaß bietet, cool ist und der Alltag dort den work flow verspricht. “Schluss mit lustig” hat Judith Mair ihr Buch genannt und es hinterlässt, falls man hinter die aggressive Polemik schaut, das Bild einer von dieser Arbeitswelt enorm genervten Autorin. Um es direkt zu sagen: auch der Rezensent wäre davon genervt!
Judith Mair, Jahrgang 1972, nimmt all die modischen Spinnereien der Arbeitswelt aufs Korn, denen ältere Konservative nur mit Kopfschütteln, wenn nicht mit Verzweiflung gegenüber stehen. Aber genervt sind nicht nur angehende Pensionäre, sondern zunehmend auch junge Berufseinsteiger. Arbeit soll nämlich keine Pflicht mehr sein, sondern rauschhafte Glücksgefühle erzeugen. Statt distanzierter Kollegenkontakte, sind jetzt alle Freunde. In der Weiterbildung lernt man nichts Inhaltliches mehr, sondern muss Extremsport betreiben. Das ist alles freiwillig, versteht sich. Aber nur so lange, wie man mitmacht. Und überhaupt wird schnell zum Außenseiter, wer heute ein Privatleben haben möchte, wer lieber beim distanzierten “Sie” bleibt, wer nicht die unbezahlten Nachtschichten dem eigenen Familienleben vorzieht und wer auch ohne chaotische Brainstormings gute Ideen hat.
Der Autorin schwebt keineswegs eine Rückkehr in die zwanghaft-muffigen 50er Jahre vor. Sie hat das arbeitnehmerfreundlichste Sachbuch der letzten Jahre verfasst. Die zahllosen Moden, die in Zeitschriften wie “ManagerSeminare” monatlich nachzulesen sind und die aus der Arbeitswelt ein Paradies machen wollen, lösen nämlich den Unterschied zwischen Leben und Arbeit kontinuierlich auf. Und das bedeutet keineswegs, dass nun alles zum schönen Leben wird, sondern letztlich nur, dass wir ständig zu arbeiten haben! Auf die schwachsinnige Illusion ständigen Vergnügens bei der Arbeit sind denn auch gerade die Jüngelchen der New Economy hereingefallen, die zwar Turnschuhe trugen und “brand eins” gelesen haben, aber oft leider nicht wußten, dass auf einer Rechnung der Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen werden muss.
Fatal sind die neuen ausbeuterischen und quasi-intimen Moden nur, weil sie zum Diktat geworden sind. In vielen Unternehmen sind die Regeln im Papierkorb gelandet und entstanden ist eine Monokultur, die einen hohen subtilen Druck erzeugt. Es ist gar keiner mehr da, mit dem man sich über Arbeitszeiten oder Zuständigkeiten streiten könnte. Um diese Monokultur aufzulösen und wirkliche Vielfalt wieder einzuführen – und anders ist der komplexen Welt nicht beizukommen – sind Beschränkungen und Regeln nötig. Erst mit Regeln kehrt die Mündigkeit der Arbeitnehmer in den Betrieb zurück: denn nur Regeln sind verhandelbar. Paradoxer Weise sind Regeln nötig, um Freiheit zu erzeugen. Die scheinbare Regellosigkeit heutiger laisser-faire Unternehmenskulturen lassen dem Einzelnen keine Wahl und keine Freizeit. Eindeutig ist in diesen menschenfeindlichen Kulturen nur eins: das Kündigungsschreiben. Und das ist für die meisten Arbeitnehmer nicht unbedingt ein Berufsziel.
Links zum Thema
- Judith Mairs Agentur
Literatur
- Judith Mair (2002): Schluss mit lustig. Warum Disziplin und Leistung mehr bringen, als emotionale Intelligenz, Teamgeist und Soft Skills. Eichborn Verlag. Frankfurt/Main.
