Frau Mairs Arbeitswelt II
Das Gute zuerst: Trotz der trockenen Materie gelingt es Frau Mair ihre Thesen zur Reorganisation der Arbeitswelt unterhaltsam zu vermitteln. Das Buch ist flüssig geschrieben und lässt sich zügig lesen. In der Tradition amerikanischer Autoren wird versucht betriebswirtschaftliche Zusammenhänge populärwissenschaftlich zu vermitteln. Nach nur 15 Minuten merkt man, dass es bei dem Versuch bleibt und sich eine weitere Lektüre nicht lohnt. Die Balance zwischen ernsthafter wissenschaftlicher Argumentation und publikumswirksamer Vermittlung geht zu Gunsten der pointierten Darstellung aus, die eine fundierte Auseinandersetzung und empirische Begründung ihrer Thesen vermissen lassen.
Das liegt auch daran, dass Frau Mair mit ihren inhaltlichen Thesen leider falsch liegt. Wenn in der aktuellen Arbeitswelt eine Dominanz von flachen Hierarchien, teamartigen Kooperationsformen und zuviel Spaßkultur konstatiert wird, bei der das Duzen an der Tagesordnung ist, dann lebt Frau Mair in einer anderen Welt als ich. Wer in die Fließbandproduktion einer Automobilfirma schaut oder Organisationsentwicklung in einer Kommunalverwaltung betreibt, wird dort mehr verknöcherte Hierarchien und Leistungsorientierung begegnen als ihm lieb ist. Der Abschied von der Spaßkultur muss nicht propagiert werden, der Spaß hat in diesen Organisationen noch gar nicht angefangen. Die hier kritisierten modernen Managementmethoden haben sich in vielen Bereichen nicht mal ansatzweise durchsetzen können. Es sind eben die von Frau Mair propagierten Tendenzen, die dort vorherrschen. Es wäre schön, wenn ihre Zustandsbeschreibung die Realität abbilden würde, aber ihre Gegenwartsanalysen über Management treffen nur einen verschwindend kleinen Teil von Hipp-Branchen. Wenn die Medien- oder Werbebranche einen neuen Hype brauchen, Frau Mair hat hiermit den neuen Retro-Trend geliefert. Aus der Erfahrung der Mairschen 4-Frauen-Agentur mag sich die Arbeitswelt so darstellen, jedoch für 90% aller Organisationen treffen ihre Analysen und Schlussfolgerungen nicht zu!
Auch aus grundsätzlichen Erwägungen müssen ihre Thesen einer Rückkehr zu konservativ-patriarchalen Hierarchiestrukturen kritisch beurteilt werden. Viele gewerkschaftlichen und emanzipatorischen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte werden damit negiert und die Mitbestimmungsmöglichkeiten auf die Ideologie der 50er Jahren zurückgeschraubt.
Schade eigentlich, denn die Idee des Buches ist gut. Eine ironisch-reflektierte Auseinandersetzung mit den Tendenzen der aktuellen Organisationsentwicklung, die Soft Skills und soziale Kompetenzen in den Vordergrund stellen und betriebswirtschaftliche Erfordernisse in den Hintergrund drängen, ist ein ergiebiges Thema. Nur leider nimmt Frau Meir ihre eigenen Thesen zu ernst. Es besteht ein Unterschied zwischen der medialen Rezeption von Organisationsentwicklung und der Realität in den Betrieben, denn dort wird die Priorität von Leistungs- und Gewinnorientierung keinesfalls in Frage gestellt.
Resümee: Gewogen und für zu leicht befunden! Hingegen zeigen das große Echo und die ausführlichen Buchbesprechungen in den Medien, dass eine gezielte Provokation eine erfolgreiche Marketingstrategie sein kann. Der Erfolg lässt sich an der Expansion der Agentur Mair u.a. ablesen. Glückwunsch, Frau Mair!
Links zum Thema
- Judith Mairs Agentur
Literatur
- Judith Mair (2002): Schluss mit lustig. Warum Disziplin und Leistung mehr bringen, als emotionale Intelligenz, Teamgeist und Soft Skills. Eichborn Verlag. Frankfurt/Main.
