März 2004

Guter Käse vom Metzger?

Jürgen MittelstraßAn Fachhochschulen soll praxisnah ausgebildet werden, Universitäten hingegen sind Forschungsinstitutionen. Die Entwicklung aber läuft anders: Die Fachhochschulen verwechseln sich mit Universitäten. Die Universitäten werden immer mehr zu schlechten Fachhochschulen.

Die Fachhochschule Köln hatte früher einen Fachbereich Sozialpädagogik. Heute existiert stattdessen eine „Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften“. Mit der Umbenennung verbindet sich auch ein neues Selbstverständnis. Früher ging es um praktisch orientierte pädagogische Ausbildung, in Zukunft wird es viel mehr um anwendungsorientierte Forschung gehen. Den Professoren schmeichelt das, sie verstehen sich jetzt zunehmend als Forscher. An den Interessen der Studierenden geht diese Endwicklung völlig vorbei. Fachhochschüler können sich in Zukunft fragen, warum sie nicht gleich zur Universität gegangen sind. Generell könnte man die Tendenz so benennen: Fachhochschulen wollen zu kleinen Universitäten werden.

Jürgen Mittelstraß
ist ein Solitär in der deutschen Hochschullandschaft. Der Konstanzer Philosoph denkt nämlich nicht nur nach, sondern auch vor. Er fordert den radikalen Ausbau der Fachhochschulen und eine Reduzierung der Studentenzahlen an Universitäten.(...)
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Die Universitäten gehen den umgekehrten Weg. Sie bemühen sich in den letzten Jahren zunehmend um eine Verzahnung mit dem Berufsfeld, um Praktika und Wirtschaftskontakte. Das Lehrangebot wird immer verschulter, zukünftig warten straff strukturierte Semesterpläne auf die Studierenden. Wissenschaftlich interessierte Studenten irritiert das zunehmend. Sie fragen sich, warum sie nicht gleich zur Fachhochschule gegangen sind. Generelle Tendenz: Universitäten wollen zu großen Fachhochschulen werden.

Dies alles geschieht unter dem Druck der Hochschulreform, die zwar überfällig ist, aber in weiten Teilen auch völlig unbedacht abläuft. Der Konstanzer Philosoph Jürgen Mittelstraß beobachtet das mit einigem Pessimismus. Die Körber Stiftung hat ihn zu einem Hintergrundgespräch eingeladen, zusammen mit Julian Nida-Rümelin und Jutta Limbach. Auf dem Podium ist man sich erstaunlich einig: Es kann nicht sein, dass der Kindergartenplatz Geld kostet und das Studium umsonst ist. Und: 70% der Studierenden gehören nicht an die Universität. Der Großteil der Studierenden hat heute nämlich keinerlei Interesse an genuin wissenschaftlichen Fragen. Es herrscht, völlig einleuchtend, das Interesse an einer berufsbezogenen Ausbildung vor. Und dafür sind Universitäten nicht erfunden worden.

Berufsbezogene Ausbildungen
folgen oft dem praxisfernen Studium an den Universitäten. Viele Germanisten machen Weiterbildungen zum „Texter“ oder eine Berufsausbildung zum Buchhändler.(...)
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Universitäten waren einmal Orte der Forschung und des forschenden Lernens. Humboldts Idee war es, dass aus der Forschung das Lernen hervorgeht. In den letzten Jahrzehnten ist die Forschung allerdings immer mehr an außeruniversitäre Institutionen abgewandert. Geforscht wird zum Beispiel an den Max-Plank Instituten, während Universitäten zunehmend mit forschungsfremden Aufgaben belastet werden. Vor allem die schwierige und immer aufwendigere Selbstverwaltung und die Masse an wissenschaftlich desinteressierten Studierenden halten Wissenschaftler zunehmend vom forschen ab. Es ist etwa so, als würde man plötzlich 1000 angehende Lehrer an ein kleines Max-Plank-Institut schicken; Forschung würde schnell zur Nebensache.

Jürgen Mittelstraß plädiert dafür, die Zahl der Studenten an Unis radikal zu reduzieren. Zugleich müssten die Fachhochschulen massiv ausgebaut werden. Fächer wie zum Beispiel Medizin, Jura und sämtliche Lehrämter sind von ihrer Ausrichtung her eigentlich ideale Fachhochschulstudiengänge. Das ist nur auf den ersten Blick ein seltsamer Gedanke. Die Mehrheit dieser Studenten sind berufsorientiert, sie wollen Ärzte, Anwälte, Richter oder Lehrer werden – und nicht Wissenschaftler. Universitäre Ausbildungsgänge sollen aber auf Wissenschaft bezogen sein, und gerade bei angehenden Juristen entsteht dadurch ein großer Widerspruch: Sie bezahlen inzwischen für eine außeruniversitäre praxisnahe Ausbildung in sogenannten Repetitorien, um ihre Prüfungen zu bestehen.

Den Studenteninteressen und auch den Anforderungen des Arbeitsmarktes würde eine solche Reform daher entgegenkommen. Nur Fachhochschulen können nämlich eine praxisnahe Ausbildung garantieren, die auf akademischem Niveau stattfindet. Sie sind nicht mit Grundlagenforschung und Theorieentwicklung belastet und könnten sich der Lehre und auch der anwendungsorientierten Forschung widmen. Die nur in Deutschland vorhandenen Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen sollten daher genutzt, nicht nivelliert werden.

Wissenschaftliche Forschung
wird an den Universitäten zunehmend zur Nebensache. Eine zu hohe Lehrbelastung, die Betreuung zu vieler Studierender, die aufwendige Selbstverwaltung und die Drittmittelabhänigkeit fressen die Zeit und bestimmen die inhaltliche Ausrichtung. Professoren sind oft nur noch gefragt als Strategen, Manager, Fundraiser und Wissenschaftspolitiker. Wer primär forscht, gerät in die Rolle des egoistischen Störenfrieds.

Hier sind enge Kooperation zwischen Arbeitsmarkt und Ausbildung denkbar. Es könnte Fachhochschulen nur für die Lehramtsausbildung geben, an denen Lehrer endlich mit dem Schwerpunkt Schulpädagogik ausgebildet würden. Die FHs könnten eng mit Schulen kooperieren, damit die Lehramtsstudenten sofort Erfahrung im Klassenzimmer sammeln. Für Ingenieure, angehende Ärzte oder Anwälte könnten ähnliche Verbünde geschaffen werden. Auch für Geisteswissenschaftler sind solche Modelle denkbar. Eine Fachhochschule könnte eine Texterschmiede werden, in der „Germanisten“ das Handwerk des Redigierens, der Literaturvermittlung, der PR-Arbeit oder des Werbetextens erlernen. Die Anforderungen zum Beispiel in den Lektoraten der Verlage beziehen sich auf handwerkliche Textkompetenz, also etwas, was ein Literaturwissenschaftler an der Uni heute nicht vermittelt bekommt. An der Uni lernt er Latein und mittelalterliche Kunstwerke kennen, was er hingegen im Beruf braucht, muss er sich mühsam autodidaktisch aneignen. Dieser Widerspruch zwischen berufsbezogenen Interessen der Studierenden und wissenschaftsorientierter Bildung an Unis wurde bisher immer zur Unikritik benutzt, was allerdings falsch ist. Eine solche Kritik geht davon aus, dass Unis Berufshochschulen sind und nicht Wissenschaftsinstitutionen. Die Kritik an den Unis folgt also etwa der Logik, als würde man sich beim Metzger über die kleine Auswahl an Käse beschweren.

In einer Fromagerie fände man ein besseres Angebot, will heißen: Das Niveau einer berufsvorbereitenden akademischen Ausbildung an Fachhochschulen würde sehr viel höher sein. Es würde die Interessen der Studierenden und des Arbeitsmarkes besser befriedigen. Kein zukünftiger Grundschullehrer, Ingenieur oder Lektor würde über Jahre mit Theoriewissen belastet, welches in der späteren Berufswelt völlig irrelevant ist. Und: Die Konzerne könnten es sich sparen, selbst Schmalspuruniversitäten zu gründen, um den eigenen Nachwuchs zu züchten.

Jürgen Mittelstraß: Die Häuser des Wissens

An kleineren, wissenschaftlich orientierten Universitäten wäre dann wieder Zeit, Raum und Geld für die Forschung. Forschung im universitären Sinne ist Grundlagenforschung und ambitionierte Theorieentwicklung, die nicht auf direkte Anwendung bezogen ist. Die Produktion von neuem Wissen gehorcht keinem Anwendungsbezug, denn die Innovationen entstehen vor allem wissenschaftsintern. Die Forschung aus Drittmitteln ist nämlich weder besonders effektiv, noch nützt sie der Wissenschaft. Die Ergebnisse sind Eigentum des Auftraggebers und wer die Kapelle bezahlt, der bestimmt die Musik.

Die Gegenrichtung der tatsächlichen Entwicklung würde daher sowohl die Universität, aber auch die Fachhochschulen retten. Die gegenwärtige Situation benachteiligt jedenfalls alle: Sowohl reine Theorieentwicklung ist verpönt, weil „unnütz“, aber auch der Praxisbezug ist nur begrenzt möglich, weil auch die wissenschaftsfremden Interessen auf Ablehnung stoßen. Die Universität als übergroße Fachhochschule ist daher schon strukturell auf Mittelmaß programmiert: Halbherziger Praxisbezug bei gleichzeitiger Theoriefeindlichkeit. Davon frustriert sind heute schon die Mehrheit der Forscher und der Studenten. Die einen flüchten ins Ausland oder an außeruniversitäre Forschungsinstitute, die anderen ziehen ein Teilzeitstudium vor, weil der Nebenjob attraktiver ist. Wenn aber alle verlieren stellt sich die Frage: Warum probieren wir es nicht anders?

Beitrag von Frank Berzbach

Links zum Thema

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Zur Person

Frank Berzbach hat nach einer Ausbildung und dem Fachabitur an der Fachhochschule Köln studiert. Er promoviert derzeit an der Uni Frankfurt. Mit einer Studie zu biographischen Risiken des Studiums hat er den Deutschen Studienpreis gewonnen. Er ist Redakteur von sciencegarden und arbeitet an der Fachhochschule Köln.

Literaturliste

  • Jürgen Mittelstraß: Universität und Universalität. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Januar 2004, S. 8.
  • Frank Berzbach: Die latenten Selektionen der Universität. In: Das Hochschulwesen Nr. 4, (2000), S. 113-117.

Einige Bücher von Jürgen Mittelstraß:

  • Jürgen Mittelstraß (1994): Die unzeitgemäße Universität. Frankfurt/Main.
  • Jürgen Mittelstraß (1997): Der Flug der Eule. Von der Vernunft der Wissenschaft und der Aufgabe der Philosophie. Frankfurt/Main.
  • Jürgen Mittelstraß (1998): Die Häuser des Wissens. Wissenschaftstheoretische Studien. Frankfurt/Main.
  • Jürgen Mittelstraß (2001): Wissen und Grenzen. Frankfurt/Main.
  • Jürgen Mittelstraß (2003): Die Geisteswissenschaft und die Zukunft der Universität. Köln.
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