Mai 2004

Räumt sie endlich weg!

Naturschutz? Nur für Verrückte. Verspüren Sie nicht auch insgeheim den Drang, die Dinge einfach zu regeln? Also, weg mit der Natur, wir brauchen sie nicht mehr. Homo sapiens ist endgültig erwachsen.

„Ihr zählt ja eh nur Blümchen!“ – das sind sie, die Ökologen, kurz „Ökos“ genannt. Filzbärtchen, alternativer Look, Schlabberklamotten. Öko ist links, Öko ist gegen die Globalisierung, und ein bisschen militant sind sie doch ohnehin, obwohl sie sich so pazifistisch geben, mit ihren alternativgrünen Tarnklamotten.

Das soll also die Truppe sein, das klägliche Häuflein, das zum Schutze unserer heimischen Natur bestellt ist? Und überhaupt: Wo gibt es sie denn noch, die von den Romantikern vielbesungene Erhabenheit heimischer Natur? Äcker, Fichtenforsten, Staudämme, Autobahnen: Richtige Wildnis gibt es sowieso nirgends mehr in Mitteleuropa. Funktionsnatur. Selbst die Kalkmagerrasen und all die wertvollen Orchideenbiotope würden ohne „Pflege“ des Menschen gnadenlos verbuschen. Und überhaupt: Die Natur schafft es doch sowieso, sich an den Menschen anzupassen. Amseln, Tauben und Marder sind doch das beste Beispiel dafür, wie schnell so etwas gehen kann. Wozu also all die Aufregung? Die Flüsse sind längst sauber, vorbei sind die Zeiten, als der Rhein eine meterhohe Schaumfracht trug. Na gut, ein bisschen Hochwasser und Sturmschäden, aber im großen und ganzen ist die Zeit der „großen“ Naturschutzbewegung vorbei. Die Atomkraftgegner spinnen sowieso. Jetzt handeln wir lieber mit Emissionszertifikaten. Damit lässt sich wenigstens Geld machen.

Ach ja, der Regenwald. Den hätten wir fast vergessen. Aber da kann man sich ja seit Neuestem ganze Parzellen kaufen, mit Urkunde. Alles in Butter. Nichts mehr zu tun, rosige Zukunft. Machen wir also lieber Molekularbiologie und Krebsforschung, da geht es wenigstens um den Menschen. Da kann man jemandem helfen.

Und jetzt kommt wieder die Moralkeule: Irgendwer muss sich doch um die Natur kümmern, die zukünftigen Generationen werden leiden, diese armen Blümchen und Vögelchen. Ganz zu schweigen vom Tierschutz und unseren mehrfüßigen gefiederten Gefährten in gutbürgerlicher Stube. Die alte Leier. Ein ewig wogendes hin- und her. Wirtschaftsbosse im Nadelstreifen gegen militante Sich-an-die-Bahnschienen-Ketter. Räumt sie endlich weg.

Räumt sie endlich weg, die Natur. Die Leute in Manhattan, Dubai und Las Vegas sind auch so glücklich, spielen Golf auf grünem Rasen mitten in der Wüste. Ach ja, und im Spiegel stand ausserdem, dass Windkraft sowieso den Bach runter geht.

Aber Genfood wollen wir nicht, so weit darf es nicht kommen. Und Angst vor SARS und BSE haben wir sowieso. Giftstoffe und Rückstände im Essen? Ohne uns! Bakterien? Igitt! Stau auf der Autobahn? Die sollten endlich alle verbreitert werden, mit Verkehrsleitsystem. Atommüll-Endlager, Gefahrstoffdeponie und Kläranlage dürfen überall hin, aber doch bitte nicht vor unserer Haustür.

Wir sollten uns endlich klar werden, was wir wollen. „Hü“ oder „Hott“, wir müssen uns klar werden darüber, wie unsere Zukunft aussehen soll. High-Tech-Agrarwirtschaft ist möglich und sinnvoll, aber nur wenn ein großer Teil der Restflächen dafür stillgelegt wird. High-Tech-Industriestandorte sind nötig, aber auf Dauer nur dann tragfähig, wenn Recyclingkreisläufe geschlossen werden und „Zero Emission“ Programme greifen, Asien macht es uns vor. Kein Zweifel, auch Autobahnen brauchen wir, aber mit Tempolimit und sinnvollen Alternativen besonders in Ballungsräumen. Telekonferenzen und Internet ermöglichen es schon heute, die physische Präsenz einer Person an vielen Orten zugleich unnötig zu machen. Arbeiten von zu Hause aus, flexiblere Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit: Viele Konzepte, die auch gegenwärtig in der politischen Landschaft diskutiert werden, führen indirekt zu vielen positiven Begleiteffekten. Weniger physische Mobilität durch gesteigerte virtuelle Mobilität.

Die Problemkreise der Gegenwart sind komplex und nur interdisziplinär zu lösen. Alte Grabenkämpfe wie die zwischen „Ökos“ und „Industriebossen“ müssen aufhören und durch konstruktive, sachverständige und auf höchstem intellektuellem Niveau arbeitende Diskussionskreise ersetzt werden.

Wir müssen uns trauen, zu formulieren, was wir wollen. Ökologie ist Ökonomie, dafür gab es schon Nobelpreise. Wir müssen unsere Zukunft aktiv planen. Quer über alle Generationen hinweg. Nicht „Jung“ gegen „Alt“, „West“ gegen „Ost“, „Nord“ gegen „Süd“, „Bayern“ gegen „Preussen“: Aus diesem Zeitalter sollten wir eigentlich heraus sein. Lasst uns endlich erwachsen werden, und würdige Bürger dieses Planeten.

Beitrag von Christoph Scherber

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Zur Person

Christoph Scherber (27) hat in Regensburg, Rostock und am Imperial College London studiert. Er promoviert zum Thema „Biodiversität in experimentellen Graslandökosystemen“ an der Uni Jena.

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