Juli 2004

„Herzblut muss dabei sein“

*Wissenschaft als Traumberuf? Laien und Profis aus der Wissenschaftsbranche haben in Berlin im Rahmen einer Diskussionsrunde versucht, herauszufinden, ob sich Wissenschaft als Lebensweg heute noch lohnt.

Da sitzen sie nun also. Zu viert. Zwei jüngere, zwei ältere. Zwei davon Naturwissenschaftler, die anderen beiden Geisteswissenschaftler. Und eine davon eine Frau. Der Schauplatz: Die alte Hörsaalruine des Medizinhistorischen Museums Berlin, gediegene Musik, man reicht Häppchen, Wein und Sekt. Und es geht, wie so oft, um die Zukunft der deutschen Hochschullandschaft. Das Publikum ist erlesen, lauter Preisträger, ungefähr hundertzwanzig sind gekommen. „(Traum)Beruf Wissenschaft?“ – unter diesem Motto haben die Junge Akademie Berlin und die Hamburger Körber-Stiftung am Abend des 14. Juni zu einer Podiumsdiskussion geladen. Die vier Diskussionsteilnehmer auf dem Podium sind allesamt etablierte Wissenschaftler – zwei Professoren, ein Juniorprofessor, und eine Habilitandin. Geleitet wird die Runde von sciencegarden-Chefredakteur Frank Berzbach. Es geht los.

„Herzblut, bei mir war einfach Herzblut im Spiel.“ Jürgen Trabant, Professor für Romanische Philologie an der FU Berlin, weiß, warum er Wissenschaftler geworden ist. „Lesen, Schreiben, Studieren, das hat mir schon immer Spaß gemacht.“ Aber ist Studieren heute noch so frei und unbeschwert wie zu Trabants Studentenzeiten? Hatten die heutigen Professoren in ihren Studentenjahren bessere Studienbedingungen als angehende Jungforscher von heute?

„Also wissen Sie, damals war auch nicht alles so rosig,“ erwidert Trabant. „Als Assistent musste ich Sachen machen, die mir nicht gefielen, war ziemlich abhängig von meinem Doktorvater.“ Insgesamt aber seien die Zeiten damals durchaus andere gewesen – die Frage, ob man nach dem Studium einen Job bekomme, habe damals nicht so sehr im Vordergrund gestanden wie heute.

*

Die Hörsaalruine des Medizinhistorischen Museums war vollbesetzt. Fast 100 Studierende, Doktoranden und angehende Professoren verfolgten interessiert die Diskussion und mischten sich ein.

Randolf Menzel, Professor für Neurobiologie an der FU Berlin, ergänzt: „Ich war die ganze Zeit über unsicher. Unsicher, ob ich überhaupt genügend Durchhaltevermögen für eine Karriere als Wissenschaftler haben würde.“ Doch trotz seiner Unsicherheit sei er sich stets sicher gewesen, dass er „auf dem richtigen Weg“ gewesen sei. Heute kann Menzel auf ein reichhaltiges Professorendasein zurückblicken, mit fünfundsiebzig Doktoranden, die er bis jetzt im Laufe seiner Tätigkeit als Hochschullehrer betreut hat. Neun seiner Schüler sind inzwischen Professoren. Für ihn, so scheint es, hat sich also das „Wissenschaftler sein“ ausgezahlt.

„Allerdings,“ wendet er ein, “gibt es in der deutschen Hochschullandschaft seit dem Zweiten Weltkrieg eine sehr gefährliche Tendenz: Die Trennung zwischen außeruniversitärer und universitärer Forschung.“ Universitäts-Absolventen hätten zunehmend Schwierigkeiten, sich an außeruniversitären Einrichtungen (wie z.B. Max-Planck-Instituten) zu bewerben. Spitzenforschung werde zunehmend aus den Universitäten hinaus verlagert. Dadurch werde es für die Universitäten immer schwieriger, mit den Spitzenforschungsinstituten Schritt zu halten.

„Das stimmt“, pflichtet ihm Julia Fischer bei. Sie ist habilitierte Forscherin am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und spricht aus eigener Erfahrung. „Während ich an der Uni als Habilitandin fast nichts zu sagen hatte, konnte ich vom MPI aus freie Lehre machen. Meine Tätigkeit am MPI gibt mir ausreichend Zeit, nachzudenken und frei zu sein“. Dies sei schon ein gewisser Luxus, den es an der Uni oftmals nicht gäbe.

„Wissenschaft ist doch ohnehin nichts anderes, als fürs Nachdenken bezahlt zu werden,“ wirft Rolf Nohr ein. Er ist Juniorprofessor am Braunschweiger Institut für Medienforschung. „Eigentlich würde ich ja gern ´reine´ Wissenschaft machen, aber bis jetzt habe ich als Juniorprofessor hauptsächlich Lehre gemacht, Studierende betreut, Hochschulpolitk und Gremien betrieben“. Julia Fischer ergänzt: „Evaluationen, Anträge, Berichte für Kommissionen: An den Universitäten bleibt extrem viel Energie in unproduktiven Löchern und Bürokratie hängen.“ Die Qualitätsbeurteilung von Forschung und Lehre dürfe nicht zu viel zusätzliche Bürokratie erzeugen.

„Andererseits muss man natürlich auch Gremienerfahrung sammeln,“ gibt Nohr zu bedenken. „Training on the Job sozusagen: Sekundäre Selektionskriterien sollten bei der Herausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Vordergrund rücken. Heutzutage ist nicht mehr wichtig, dass jemand viel weiß, sondern dass angehende Professoren auch didaktische Fähigkeiten besitzen“.

Bedauerlicherweise, so ergibt die weitere Diskussion, sei an den deutschen Universitäten heute Aufstieg durch Leistung selten – vielmehr habe sich vielerorts eine Art „Feudalsystem“ herausgebildet, in dem Assistenten, Doktoranden und Postdocs quasi zu „Frondiensten“ für ihren „Dienstherrn“ herangezogen würden.

Die Stimmung wird lebhafter, auch aus dem Publikum kommen nun mehr Stimmen. „Der Nachwuchs leistet viel Arbeit für den Professor, wird viel geknechtet, muss Veröffentlichungen schreiben, etc.“. Oftmals kämen dabei dann Familie und Kinder zu kurz, man könne letztlich also seiner sozialen Verantwortung nicht mehr gerecht werden.

*

Vom Diskussionsfieber gepackt. Auch beim anschließendem Empfang ließ sie das Thema nicht los: (v.l.) Randolf Menzel, Moderator Frank Berzbach, Jürgen Trabant.

Randolf Menzel versucht, die Wogen zu glätten. „Ziel muss sein, jüngere Wissenschaftler von Pflichten zu entlasten, ihnen dabei aber trotz allem ein zumutbares Maß an Lehre und Administration zu übertragen.“ Nur so könnten sie entsprechende Fertigkeiten frühzeitig erlernen. „Ein Wochenende in Stanford wäre für Bildungsministerin Edelgard Bulmahn hilfreich gewesen,“ ergänzt Trabant, „dort haben nämlich die ´Juniorprofessoren´ nur ein ganz bestimmtes Maß an Lehre und Administration zu machen.“ Hingegen werde eine Juniorprofessur in Deutschland teilweise eher mit einer C4-Stelle gleichgesetzt. Dies bedeute eine hohe Belastung mit Zusatzaufgaben.

Kann man es sich heutzutage also überhaupt noch leisten, Wissenschaftler zu werden? Steht man mit dreißig bis fünfunddreißig Jahren dann zwangsläufig auf der Straße, wenn man es bis dahin noch nicht zum Professor geschafft hat? „Die Universität“, so Menzel, „ist ein Luxusunternehmen. Wir müssen es uns leisten, Leute sich selbst finden zu lassen – und für die Wissenschaft. Die Uni ist keine Berufsausbildungsmaschine für Leute, die immer schon wussten, was sie einmal werden wollen.“

Damit liefert Menzel schon fast das Schlusswort für die Diskussionsrunde. Doch die Diskussion hat gerade erst begonnen. Die gesellschaftliche Diskussion darüber, was für eine Art von Universität wir in Deutschland haben wollen. Die Diskussion über das Verhältnis von außeruniversitärer zu universitärer Forschung. Der Nützlichkeitsdiskurs in der Wissenschaft: Wie viel Nutzen muss Forschung der Gesellschaft bringen? Schließlich der Diskurs darum, inwiefern die Universitäten in Deutschland Strukturmerkmale eines Feudalsystems tragen, und – wenn ja – mit welchen Maßnahmen dem entgegenzuwirken wäre.

Traumberuf Wissenschaft? Herzblut muss wohl schon dabei sein. Und leicht hatte man es als Wissenschaftler noch nie. Schon 1917 stellte der Soziologe Max Weber in seinem legendären Vortrag über „Wissenschaft als Beruf“ fest, dass Unsicherheit dazu gehört und auch Selbstbeschränkung. Schließlich wird man dafür bezahlt, dass man (zumindest in eingeschränktem Maße) tun und lassen kann was man will. Und Freiheit hat eben ihren Preis.

Beitrag von Christoph Scherber

Links zum Thema

  • Die Junge Akademie Berlin
  • Körber-Stiftung, Deutscher Studienpreis

Zur Person

Christoph Scherber (27) promoviert an der Uni Jena auf dem Gebiet der experimentellen Ökologie. Er ist Redakteur von sciencegarden.

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  • Max Weber (1994): Wissenschaft als Beruf (1917). Politik als Beruf (1919). Studienausgabe. Siebeck. Tübingen
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