1000 Interviews im Dienst der Forschung
Im DFG Projekt „Zukunft Familie“ am Institut für klinische Psychologie der TU Braunschweig wird seit 2001 untersucht, ob Erziehungskurse bei Verhaltensstörungen wirklich hilfreich sind.
Die Wirksamkeit des Elternpräventionsprogramms Triple P, einem in Australien entwickelten Erziehungsprogramm, wird in der groß angelegten Studie überprüft. Dr. Annett Kuschel, Heike Bertram, Dr. Sebastian Naumann und Dagmar Ständer sind Mitarbeiter des Projektes und geben Auskunft über Ziele und Vorgehensweisen.
sg: Warum brauchen wir überhaupt Programme wie Triple P, also Programme, die Eltern sagen, wie sie erziehen sollten? Dies ist scheint mir, eine neue Entwicklung.
Das Projekt
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Wirksamkeit universeller Präventionsmaßnahmen zur Reduktion externaler und internaler Störungen bei Kindern im Vorschulalter“ begann im März 2001 und sollte ursprünglich 2004 abgeschlossen werden.
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Team von „Zukunft Familie“ (TZF): Forschung zu kindlichen Verhaltensstörungen ist noch recht neu. In den letzten Jahrzehnten wurde nicht genau untersucht, wie viele Kinder tatsächlich verhaltensauffällig sind. Das Ergebnis der Braunschweiger Kindergartenstudie lieferte deshalb wichtige und dringend benötigte Erkenntnisse. Hinzu kommt, dass Eltern heute durch die Umwelt, durch Bücher und Medien verunsichert werden. Von überall wird ihnen mitgeteilt, was sie alles falsch machen können. An uns Psychologen wird deshalb immer wieder die Frage herangetragen: Wie mache ich es richtig? Ein weiterer Punkt ist sicher die Tatsache, dass an Kinder immer höhere Anforderungen gestellt werden. Eltern sind beruflich und privat häufig stark eingebunden und erwarten deshalb auch mehr von ihren Kindern. Kinder müssen besser als früher „funktionieren“.
sg: Heißt dass, das Verhalten heute schneller als auffällig eingestuft wird?
TZF: Es ist schwer, frühere Untersuchungen mit heutigen zu vergleichen, weil heutige methodisch viel besser sind. Ich vermute, dass Eltern problembewusster als früher sind. Kinder agieren heute viel früher auch außerhalb der Familie. In Kindergärten und Spielgruppen wird ein entsprechendes Verhalten erwartet und mit dem anderer Kinder verglichen.
sg: Was genau möchte ein Erziehungsprogramm wie Triple P erreichen?
TZF: Triple P ist ein Programm, mit dem die Eltern-Kind Beziehung und das Erziehungsverhalten der Eltern verbessert werden soll. Auch soll das Selbstverstrauen der Eltern gestärkt werden, in dem ihnen verschiedene Strategien zum Umgang mit Problemen vermittelt werden. Damit wird versucht, zumindest einem Risikofaktor für aggressives Verhalten bei Kindern, nämlich inkonsistentem und vor allem strafendem Erziehungsverhalten der Eltern, entgegen zu wirken. Eine wirksame Anwendung von Strategien aus Triple P soll bewirken, dass Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern verhindert oder vermindert werden.
sg: Und diese Annahme soll im Rahmen des Projektes überprüft werden?
TZF: Genau.
sg: Wie sind sie dabei vorgegangen?
TZF: Zunächst haben wir die Kindergärten nach sozialen Gesichtspunkten ausgewählt. Dabei war es uns wichtig, möglichst viele und unterschiedliche soziale Milieus abzudecken. In den Kindergärten haben wir alle Eltern angesprochen und das Projekt vorgestellt. Insgesamt haben sich 31 Prozent der Eltern zu einer Teilnahme bereiterklärt.
sg: Diese Rate ist recht niedrig, oder?
TZF: Die erzielte Quote liegt durchaus im Rahmen internationaler vergleichbarer Studien.
sg: War für die Eltern nur die Teilnahme an einem Triple P-Kurs der Anreiz, beim Projekt mitzumachen?
Braunschweiger Kindergartenstudie
Dem Projekt vorangegangen ist die Braunschweiger Kindergartenstudie. Dabei wurde die Lebenssituation von Familien mit Kindergartenkindern untersucht.
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TZF: Nein, es wurden nicht allen Familien eine Schulung angeboten. Nur der Hälfte der Familien wurde angeboten, an einem Triple P-Kurs teilzunehmen. Die andere Hälfte erhielt kein Training. Sie diente als Kontrollgruppe. Natürlich haben wir versucht, die Motivation der Eltern für eine Teilnahme am Projekt zu erfragen. Die Antworten waren ganz unterschiedlich. Eine große Rolle spielt scheinbar das Gefühl, zu einer wichtigen und bedeutsamen Arbeit beizutragen. Die Eltern finden unser Thema einfach interessant!
sg: Wie haben sie die Wirksamkeit des Programms untersucht?
TZF: Dazu war eine aufwändige Diagnostik notwendig. Zu Anfang des Projektes, nach einem sowie nach zwei Jahren haben wir die Eltern zu Hause besucht. Sie wurden interviewt und gebeten, Fragebögen auszufüllen. Die Interaktion zwischen Mutter und Kind in einigen Spiel- und Aufgabensituationen wurde gefilmt. Die Daten werden entsprechend ausgewertet und statistisch bearbeitet, so dass darauf aufbauend Vergleiche und Aussagen zur Wirksamkeit des Programms möglich sind.
sg: Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, aber gibt es bereits eine Tendenz?
TZF: Wir können aufgrund der bereits ausgewerteten Daten davon ausgehen, dass sich durch die Schulung in Triple P ungünstiges Erziehungsverhalten bei den Eltern deutlich reduziert hat und günstiges Erziehungsverhalten viel häufiger vorkommt als vorher. Außerdem berichten diese Eltern ein geringeres Ausmaß an Stress und eine höhere Zufriedenheit mit ihrer Partnerschaft. Nach dem Training, aber auch noch ein Jahr später, trat bei den Kindern der Experimentalgruppe, also der Gruppe der geschulten Eltern, weniger Problemverhalten auf.
sg: Kommt die Konzeption des Projektes auch aus Australien, wie ja das Erziehungsprogramm an sich?
TZF: Das Programm wurde dort entwickelt und auch wissenschaftlich untersucht. Natürlich bekommen wir von dort auch Anregungen. Das Projekt wurde jedoch von uns entwickelt. Wenn wir die endgültigen Resultate für unsere Studie vorliegen haben, können wir unsere Ergebnisse mit den australischen vergleichen. Auch andere Länder, beispielsweise die USA aber auch die Schweiz oder Finnland, führen zur Zeit Studien zu Triple P durch. Damit wird es möglich sein, auch innereuropäische Vergleiche vorzunehmen.
sg: Inwieweit ist dies sinnvoll und notwendig?
TZF: In unterschiedlichen Kulturen bestehen durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon, was richtiges und anzustrebendes Verhalten ist. Es muss deshalb überprüft werden, ob Triple P als Programm tatsächlich unverändert, wie wir es getan haben, von einem Land in ein anders übernommen werden kann.
sg: Gibt es bereits Anzeichen, dass für Deutschland wesentliche Änderungen notwendig sind?
TZF: Das kann man so noch nicht sagen. Diese Frage wird zu diskutieren sein, wenn alle Ergebnisse vorliegen. In unseren Fragebogen versuchen wir zu erfahren, was Eltern gut fanden und was sie verändern würden. Es ist durchaus vorstellbar, dass ein Ergebnis ist, dass man beispielsweise deutschen Eltern gegenüber mehr erklären muss, dass mehr Diskussion stattfindet.
sg: Wann kann man denn mit endgültigen Ergebnissen rechnen?
TZF: Die ersten 1-Jahresanalysen können wir 2005 veröffentlichen. 2006 werden wir dann soweit in der Auswertung fortgeschritten sein, dass wir zu Schlussfolgerungen kommen können. Unser Projekt wurde gerade noch mal um drei Jahre verlängert.
sg: Wird es während dieser Verlängerungszeit auch neue Erhebungen geben?
Der Erfolg von Triple P
wurde in Studien nachgewiesen. Was bisher nicht untersucht wurde, ist die Frage, in wie weit die Erziehungsziele der Eltern dem Alter und Entwicklungsstand der Kinder angemessen sind.
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TZF: Ja, wir werden versuchen, einige Punkte näher zu untersuchen. So vermuten wir, dass die Beteiligungsquote von 31 Prozent darauf zurückzuführen ist, dass viele Eltern unsere Fragen und unser Vorgehen zu sehr als Eingriff in ihre Privatsphäre empfunden haben. Deshalb werden wir in der zweiten Phase des Projektes die Diagnostik wesentlich verringern und ausschließlich Fragebögen verteilen.
sg: Gibt es auch Pläne, die Meinung der Kinder zu erfragen? Nehmen beispielsweise die Kinder ihre Eltern nach einem Triple P-Training anders wahr?
TZF: Einmal hat ein Kind in einem Interview gesagt: Mutti ist jetzt strenger. Das kann aber sicher nicht verallgemeinert werden. Nein, bisher haben wir die Eindrücke der Kinder nicht erfragt oder analysiert, obwohl es natürlich ein interessanter Punkt ist. Wir haben allerdings versucht, die Lebensqualität der Kinder zu erfassen. Dazu haben wir die Kinder zum Beispiel zu Freunden, Anforderungen in der Kita und zum Umgang in der Familie befragt. Aber das ist in diesem Alter noch schwierig. Auch diese Daten sind gerade in der Auswertung.
sg: Zum Abschluss noch eine Frage für die Zukunft: Halten sie es für sinnvoll, die Ausbildung in Erziehungsfragen beispielsweise mit Triple P-Kursen zum Pflichtprogramm für werdende oder junge Eltern oder gar in der Schule zu machen?
TZF: Natürlich, entsprechende Ergebnisse unserer Studie vorausgesetzt, wäre das sicher wünschenswert. Die Schule ist dafür aber vermutlich noch etwas früh. Meiner Meinung nach ist die Teilnahme an Erziehungskursen erst effektiv, wenn Kinder da sind und erste Schwierigkeiten in der Erziehung auftauchen. So kann an konkreten Problemen gearbeitet werden.
sg: Ihnen vielen Dank für das Gespräch.
Links zum Thema
- Webseite des Institutes für Psychologie der TU Braunschweig
- Prävention von oppositionellen und aggressiven Verhaltensstörungen bei Kindern: Triple P ein Programm zu einer positiven Erziehung
(Die Langversion des Textes ist nur von Computern ausgewählter Hochschulen einsehbar.) - Kritische Stellungnahme zum Triple P (pdf)
- Erwiderung auf kritische Stellungnahme zum „Positiven Erziehungsprogramm“ Triple P (pdf)
Zur Person
Birgit Milius ist Redakteurin bei sciencegarden.
