Wer zu viel isst, sollte mal wieder arbeiten
„Trotz steigender Löhne haben bei der Deutschen Bank erneut 700 Mitarbeiter gekündigt, als einzige Gründe gaben sie Faulheit und Übergewicht an.“ Solche Meldungen werden relativ selten über die Nachrichtenticker laufen. Es verwundert daher, dass in der politischen Arena mit einem Bibelzitaten gekämpft wird, welches sich im zweiten Thessalonicher Brief (2 Thess 3, 10b) findet: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Rainer Eppelmann, ehemaliger Vorsitzender der Arbeitnehmervereinigung der CDU führt ihn ins Feld, aber auch Gerhard Schröder wird er in den Mund gelegt, wenn es um die Rechtfertigung der Hartz IV-Gesetzgebung geht. Bibelzitate als rhetorische Waffe sind nichts Neues. Heute können Politiker meist davon ausgehen, dass die Massen vor den Fernsehern von beschlagener theologischer Halbbildung sind, ganz allgemein aber natürlich positiv über das Christentum denken. Wer für eine Rede auf überzeugende Argumente verzichten will, aber dennoch Durchschlagkraft benötigt, der nimmt Bezug auf scheinbar Unwiderlegbares: Auf Mutter Theresa oder Gandhi, auf Martin Luther King, Heinrich Böll oder Hermann Hesse – oder auf die Bibel. Das wird dann zu einem moralischen Dilemma, wenn man anderer Ansicht ist, denn wer wollte schon behaupten, dass die Bibel lügt?
Im Mittelpunkt des zweiten Briefes steht die endgültige Wiederkehr Christi. Die durch Paulus im ersten Thessalonicherbrief bezeugte Naherwartung ist noch nicht eingetreten und damit zu einem Problem geworden.
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Ins Wanken gerät diese Medienstrategie der Mächtigen leicht, wenn Kenner der Materie zu Wort kommen. Axel Bohmeyer hat Theologie und Philosophie an der Jesuitischen Hochschule in St. Georgen studiert, einer Eliteschmiede der katholischen Welt. Den Sozialethiker störte es zunehmend, wenn Bibelzitate für soziale Einschnitte missbraucht werden. Das prominenteste Beispiel, eben das Zitat „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ hat er sich in seiner Studienpreisarbeit näher angeschaut. Die Haudegen der CDU oder die Erfinder von Hartz IV wird seine Arbeit nicht erfreuen. Der Kontext des Zitates ist der zweite Paulusbrief an die Thessalonicher, der sich im neuen Testament findet. Erste, die Wirklichkeit zurechtrückende Einsicht: Der Brief ist nicht von Paulus selbst verfasst, sondern eine Fälschung. Schon 1903 bezweifelten Theologen die Autorschaft des Apostels. „Ein Indizienverfahren hat ergeben, dass es sich beim zweiten Thessalonicherbrief um keinen authentischen Paulusbrief handelt und er mit historisch falschen Verfasserangaben veröffentlicht wurde“, so Bohmeyer. Der Brief ist erstaunlich unpersönlich und es fehlen die meisten für die paulinische Theologie wichtigen Themen. Fälschungen in der Bibel sind allerdings etwas anders zu verstehen als im rechlichten Sinne. „Die so genannten Pseudepigraphen sind eher eine Art Stilmittel, ein anonym bleibender Verfasser schmückt sich mit falscher Autorität“, sagt Axel Bohmeyer.
Thema des zweiten Briefes ist die endgültige Wiederkehr Christi. Doch die im ersten Paulusbrief erwartete Naherwartung ist noch nicht eingetreten und wird damit zum Problem. Kern des zweiten Briefes ist daher nicht das Thema Arbeit. Ein Teil des Briefes enthält dennoch erstaunlich konkrete Anweisungen an die Gemeinde, in diesem Teil findet sich das populäre Zitat. Die theologische Begründung hierfür ist, dass historisch ein sehr konkretes Problem vorgelegen haben muss: Angesichts der nahen Ankunft Christi fanden es viele Gemeindemitglieder unsinnig, noch zu arbeiten. Für den Rest der Gemeinde wurde das zum Problem, die Wartenden mussten nämlich durchgefüttert werden. Sie verzichteten angesichts der nahen Ankunft des Messias nämlich nicht auf ihre Mahlzeiten. Der Brief reagiert auf die konkrete Gemeindesituation und beansprucht keine Allgemeingültigkeit. Dennoch wurde die Wirkung des Briefes schon im Mittelalter zur Ausübung moralischen Drucks benutzt, und der soziologische Übervater Max Weber zitiert die Passage in seinen Schriften zum Kapitalismus und der protestantischen Arbeitsethik.
Mahnung an die Reichen
„Den Reichen in dieser Welt gebiete, dass sie nicht stolz seien, auch nicht hoffen auf den unsicheren Reichtum, sondern auf Gott, der uns alles reichlich darbietet, es zu genießen; dass sie Gutes tun, reich werden an guten Werken, gerne geben, behilflich seien, sich selbst einen Schatz sammeln als guten Grund für die Zukunft, damit sie das wahre Leben ergreifen.“
1 Timotheus 6, 17–19
Nun hat die Realität der neuen Marktwirtschaft die Arbeitswelt grundlegend verändert Laut Bohmeyer wäre die Mahnung noch berechtigt, wenn die Möglichkeit zur Arbeit für alle tatsächlich gegeben würde. Nur meinen die Politiker keineswegs Arbeit, sie meinen nur Lohnarbeit. Es gibt mehr als genug zu tun, aber die globalisierten Marktmechanismen spalten die Gesellschaft in die, die bezahlter Arbeit nachgehen dürfen und andere, die unbezahlt arbeiten müssen. Im Wortsinne Arbeitslose – also Faulenzer – existieren in der heutigen Leistungskultur des Westens wahrscheinlich verschwindend wenig. Hausarbeit, private Altenpflege, Erziehung und anderes ist keine Freizeitgestaltung, sie wird dennoch nicht bezahlt. Millionen Menschen in Deutschland suchen Arbeit, bewerben sich unentwegt und bekommen nur Absagen. Auf Arbeitssuchende moralischen Druck mithilfe eigenwillig deformierter Bibelzitate auszuüben, diese Sünde sollte eigentlich vermieden werden! Das Thema heute ist weniger Faulheit, sondern primär ein harter Verteilungskampf um das knappe Arbeitsangebot. Auch christliche Politiker haben hier offenbar keine klugen Lösungen. Vor der Verwendung von Bibelzitaten sollten sie laut Bohmeyer allerdings ruhig noch einmal in die Bibel schauen. Oder sogar in der Bibel nur ganz wenige Seiten weiter blättern. Der Brief an Timotheus schließt sich an das Kapitel an, er ist tatsächlich von Paulus verfasst: Er enthält ein Kapitel „Mahnung an die Reichen“.
Zur Person
Axel Bohmeyer hat katholische Theologie an der Jesuitischen Hochschule St. Georgen und Erziehungswissenschaft an der Universität Frankfurt studiert. Derzeit promoviert er an der Universität Köln im Bereich der katholischen Sozialethik.
