Oktober 2005

Alma Mater GmbH & Co.

*Kaum eine andere Institution sieht sich mit derart hohen und gleichzeitig widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert wie die Universität. Chronisch unterfinanziert, von angeblich ungeeigneten Studierenden überlaufen, krankt auf dem Hochplateau der deutschen Bildungslandschaft ein ökonomisches Kuriosum vor sich hin.

Alles könnte so schön sein im deutschen Uni-Versum: die Studierenden zuversichtlich in die Zukunft blickend, die Lehrenden hoch motiviert, die Hochschulen angemessen finanziert von der Welt drittgrößter Volkswirtschaft, deren Zugehörigkeit zur ökonomischen und politischen Gemeinschaft Europas gemeinhin als Garant von Stabilität und Wachstum angesehen wird. Indes: Schließen Sie die Augen und sagen Sie einmal „Uni“. Dieses Wort birgt so viel Verwirrung, ein so unklares Markenimage, so viel Verschlossenheit gegenüber der Welt...

Hinter dem Stichwort Bologna-Prozess verbirgt sich ein Projekt 29 europäischer Staaten, deren Bildungsminister im Juni 1999 beschlossen, bis 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschulraum (in Forschung und Lehre) zu schaffen.
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Und je mehr sich der geneigte Betrachter mit geöffneten Augen und weitem Verstand der ins Stottern geratenen Maschine Universität nähert, umso mehr wird ihm bewusst, dass zum Verständnis des seltsamen Schwankens zwischen Veränderungsresistenz und Reformwut das Dschungelbuch eine weitaus größere Hilfe darstellt als jede noch so ausgereifte Studie. Schließlich gleicht eine real existierende deutsche Alma Mater einem Biotop von größtem Artenreichtum. Damit ist auch klar, dass sie mit nichts weniger vergleichbar ist, als mit einem stringent geführten Unternehmen.

Dies beginnt bereits mit dem Unternehmensziel, gern auch als Leitbild oder in pädagogischem Eifer als „Mission“ bezeichnet. Ein Wirtschaftsunternehmen setzt sich dieses Ziel selbst, ausgehend von seinen Kernkompetenzen, das heißt denjenigen Fähigkeiten, mit denen es auf einem Markt am meisten glänzen kann. Von so viel Transparenz kann die zwischen den ministeriellen Vorstellungen der Bund- und Länderebene in einer Zerreißprobe befindliche Universität nur träumen. Selbst wenn man sich als Zielvorgabe jenseits rein finanzieller Überlegungen auf das „Hervorbringen möglichst vieler erfolgreicher Absolventen“ einigen könnte: aus dieser Definition lässt sich kein praktisch umsetzbares Konzept für eine bessere Hochschule herleiten.

Unter Globalbudget versteht man eine Art der Zuweisung von Haushaltsmitteln an eine Hochschule, bei der diese selbst anhand eines Wirtschaftsplans über die Verwendung der Gelder entscheiden kann.
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Hinzu kommt noch, dass mit der Humboldtschen Einheit von Forschung und Lehre und den Vorgaben des europäischen Hochschulraums zwei Leitbilder häufig ohne erkennbaren Bezug zueinander in der Hochschulreform-Debatte auftauchen. Die allgemeine Konzeptionslosigkeit bekommt dabei mancher Studierende sehr deutlich zu spüren: „Zu Hause“ wird Konzeptionslosigkeit bei Bedarf gerne einmal unter Berufung auf Vater Humboldt entschuldigt. Gerät der Lehrbetrieb dann dank Bachelor-/ Master-freundlicher Modularisierung einmal zu verschult, ist Europa für den mangelnden Tiefgang verantwortlich. Doch auch in der Ferne sieht sich der durchschnittliche Austauschstudierende trotz der Zerstückelung seiner Universitätsbildung in eurokompatible „Module“ häufig doch eher zum frei entdeckenden Forschen à la „Humboldt auf Bildungsreise“ gezwungen; eine Ironie des Systems, die in visionären Sonntagsreden so gut wie immer unter den Tisch fällt. Dabei hat selbst die diesjährige Konferenz der europäischen Bildungsminister in Bergen mit Bedauern zur Kenntnis nehmen müssen, dass es mit der Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit in ihrem Reich nicht allzu weit her ist. Der neu ausgerufene „König Student“ möchte gegen dieses Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit gern aufbegehren. Gegen ein Unternehmen, das seine „Kunden“ neuerdings stark hofiert, fehlen vordergründig allerdings die Angriffspunkte. Aber ist es etwa nicht schwerwiegend, dass der Leistungskatalog (also das Studienangebot) während des Studiums beliebig verändert werden kann? Dass formale Garantien klammheimlich an die Stelle inhaltlicher Leistungsbeschreibungen treten? Und dann sitzt die Beschwerdestelle wahlweise auch noch abwechselnd beim Fachbereichsrat, im Präsidium oder gar gleich in Brüssel!

Doch selbst wenn inhaltliche Verpflichtungen eingegangen werden, muss man sich fragen, woran deren Einhaltung denn festgemacht werden kann. In Unternehmen bilden genaue Definitionen und auch Wertungen über verschiedene Teilziele die Grundlage, um unter Anwendung einer „Balanced Scorecard“ gezielt den Unternehmenserfolg zu optimieren. Dazu müsste man sich allerdings erst einmal über eigene Schwerpunkte klar sein, müsste herausgestellt werden, wofür die „Marke“ nun eigentlich steht.

*Zahlreiche Einflussgruppen machen die Zieldefinition für eine Universität jedoch schwer, wenn nicht gar unmöglich: von verschiedenen Seiten werden mal mehr Hochschulabsolventen, mal kürzere Studienzeiten und mal eine wirtschaftsnähere Ausbildung gefordert. Und da dies alles noch dazu nichts kosten soll, erklärt man die genannten Ziele kurzerhand für praktisch identisch – und heilt die Missstände des bisherigen Systems dann scheinbar revolutionär mit der Anwendung von Management-Methoden auf die höhere Bildungslandschaft. Dabei wird leicht vergessen, dass eine Methode immer nur so gut funktionieren kann wie das Ziel, zu dem sie führen soll: Schon die Diskussion um die Einführung der gestuften Bachelor-/Master-Studiengänge ließ jedoch die Gefahr ahnen, dass unter dem Deckmantel europäisierender Schlagworte ein originär deutsches Versteckspiel über die tatsächlichen Ansprüche und Funktionsweisen universitärer Bildung fortgesetzt wird: je nach Interessengruppe wurde die Studienreform nämlich entweder als Schritt zu mehr Forschungsnähe oder auch gern als Entwirrung des Humboldtschen Knäuels von Forschung und Lehre verkauft. Solch unklare Kernziele halten jedes Unternehmen für unbegrenzte Zeit auf Schlingerkurs. In einem nächsten Schritt müssten die unterschiedlichen Ziele des Unternehmens Uni dann auch noch nach ihrer Wichtigkeit bewertet werden: Doch welcher politische Entscheidungsträger oder Kultusbürokrat würde sich wohl trauen festzulegen, dass ein Masterabschluss zum Beispiel 1,5-mal oder gar doppelt so viel Wert sei wie ein Bachelor? Bei der Bildung, die eben doch keine Ware wie jede andere ist, wahrlich kein leichtes Unterfangen.

In der Gedankenblase über König Kundes Kopf vermehren sich derweil die fettgedruckten Fragezeichen: „Was bietet mir die neuartige Universitätsausbildung überhaupt? Welche inhaltliche Tiefe verspricht ein Bachelor? Warum soll ich zur Universität gehen, wenn diese in der Forschung mittelmäßig ist, und in der Lehre ohnehin häufig die FHs auftrumpfen?“

Die Balanced Scorecard (BSC) ist eine betriebswirtschaftliche Methode, bei der, ausgehend von einem höchsten Unternehmensziel (zum Beispiel Gewinnmaximierung) quantifizierbare und gewichtete Ziele für sämtliche Teilbereiche des Unternehmens festgelegt werden. Da Ergebnisse der Teilziele in das Gesamtergebnis eingehen, kann so der Verbesserungsprozess gesteuert werden.

Die Entwicklung des Europäischen Hochschulraums wird Deutschlands Universitäten unweigerlich zwingen, ihr Markenimage diesbezüglich zu schärfen, denn wie jede Umstrukturierung wird sie nicht nur Kompetenzen und Gewinnerzielungspotenziale herausschälen, sondern auch unerbittlich den Staub von Schwachstellen der universitären Maschinerie wehen. Die öffentliche Debatte macht hier häufig bei einer Pseudolösung Halt, einem Kurzschluss, der bestens passt in die Ökonomisierungsutopien von Unternehmensberatungen und Evaluierungsagenturen: Über die Einführung von Studiengebühren erhielten die Hochschulen eine Rückmeldung direkt von ihren Studierenden und so würde sich das Qualitätsproblem zeitnah von selbst lösen.

Dabei wird leider völlig vergessen, dass der Wettbewerb auf dem staatlich dominierten Monopolmarkt bestenfalls Schmalspurstudienmöglichkeiten zum Dumpingtarif hervorbringen kann, aber mangels Alternativen die Studierenden nie zu mündigen Entscheidern über wirkliche Qualität macht. Einen Vorgeschmack auf die marktwirtschaftliche Zukunft geben die alljährlich mit Spannung erwarteten Hochschulrankings, die zwar erfreulicherweise Wettbewerb und Qualitätsbewusstsein unter Deutschlands Hochschulen wieder hoffähig gemacht haben, aber – so man internationalen Untersuchungen trauen darf – eben doch nur den Einäugigen unter den Blinden küren. Dasselbe gilt übrigens für Benchmarkings, denn auch hier schielt man ja nicht auf ein wie auch immer geartetes Ideal, sondern misst sich an vergleichbaren Mitbewerbern. Je nach Ehrgeiz und Ehrlichkeit können die Ergebnisse deshalb auch stark variieren...

Bei aller methodischen Genauigkeit führt dieses Verfahren aber beim allgemeinen Leistungsstand des deutschen Hochschulsystems – gemessen an internationalen Standards – dazu, dass sich der Einäugige zum König der Blinden küren, aber noch lange nicht zu den Sehenden aufsteigen kann.

Benchmarking ist ein Vergleich genau definierter Aspekte der eigenen Leistung mit der ausgewählter Mitbewerber. Häufig wird darauf aufbauend ein Qualitätsoptimierungs-
prozess auf der Basis so genannter „Best practices“, also erfolgreicher, in der Branche erprobter Vorgehensweisen unternommen.

Die Hoffnungen Vieler richten sich darauf, dass sich der Staat nicht vom Hochschulmarkt zurückziehen wird, weder als Finanzierer, noch in der heute stark kritisierten Funktion als Garant bestimmter Standards. Da und solange dies zutrifft, bleibt die Anwendung von Methoden aus dem privatwirtschaftlichen Management eine Farce, in der ein vielstimmiger Chor von Vater Staat fordert, was er selbst schon gern mal ausprobieren, aber eigentlich nicht bezahlen möchte. Vielleicht gibt die Wirtschaft bei braver Berücksichtigung ihrer Interessen ja auch etwas ins Töpfchen, und sehr wahrscheinlich werden die Studierenden in naher Zukunft um einen Obulus für ihre Ausbildung nicht umhin kommen.

Die Fähigkeit des Staates allerdings, durch die Anwendung bestimmter Managementmethoden – wie zum Beispiel Globalbudgets – wirkliche Qualitätssprünge zu erzeugen, hat sich bisher als gering erwiesen. Stattdessen hält sich zum Beispiel auch der relativ neu ersonnene Akkreditierungsrat vorsichtig auf dem Niveau von Mindeststandards, manche Wirtschaftsschulen müssen für ihre Anerkennung bei den zuständigen Agenturen gar nur formale Kriterien erfüllen. Dabei ist es dem verwirrten Studierenden völlig egal, ob das an seinen Bedürfnissen vorbei organisierte Seminar einen bestimmten Lerngehalt aufweist, oder besonders kostengünstig organisiert werden kann. Dies wiederum findet die Uni nebensächlich, so lange sie für offiziell zertifizierte Leistungen unabhängig vom inhaltlichen Niveau Studierende gewinnen und kassieren kann. Machen Sie die Augen zu und sagen Sie noch einmal „Uni“: dieses Wort birgt jetzt neben einem begrifflichen Verwirrspiel das Potenzial zur Generierung eigener Einnahmequellen, wobei die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Studierenden wohl das letzte Fernziel sein dürfte, das erreicht wird.

Beitrag von Christiane Zehrer

Links zum Thema

  • Centrum für Hochschulentwicklung. Rankings und Hintergründe.

Zur Person

Christiane Zehrer ist sciencegarden-Redakteurin.

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