Januar 2006

Ausland oder Arbeitslos?

*Welche Perspektiven bieten sich dem naturwissenschaftlichen Nachwuchs unseres Landes? Meinungen und Stimmen aus den Wissensschmieden Deutschlands.

Schöne, rosige Welt. Spiegel Online schreibt wieder mal über einen tollen deutschen Naturwissenschaftler. Bahnbrechende Erfolge habe er erzielt. Die Leser applaudieren. So etwas liest man gern: Erfolge und Glanzkarrieren deutscher Forscher, High-Tech und millionenschwere Forschungsprojekte.

Doch unter der Oberfläche gärt es. Das deutsche Forschungssystem ist ausgelaugt und unterfinanziert, und wahrscheinlich würde eine PISA-Studie an deutschen Universitäten denkwürdige Ergebnisse zutage bringen. Schön und rosig, so scheint es, ist nur die Oberfläche. Der Lack glänzt noch, aber der Rost bricht langsam durch.

Zum Beispiel neulich, in einem Forschungslabor einer deutschen Universität. Ein Diplomand legt seine Ergebnisse vor. „Das lassen Sie mal lieber sein!“ Die Professorin hat sich deutlich ausgedrückt. Keine Fehlerbalken, das verwirrt nur. Bravo, willkommen an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Ein Balkendiagramm ohne Fehlerbalken? Eigentlich sollte es so etwas heutzutage nicht mehr geben. Aber die Professorin hat sich deutlich ausgedrückt. Sie ist Molekularbiologin und glaubt anscheinend an die Unfehlbarkeit ihrer Daten. Ein Experiment muss man nur so lange durchführen, bis es geklappt hat. Karl Popper würde sich im Grabe herumdrehen.

Wechseln wir den Schauplatz. Vielleicht war ja alles nur ein Ausrutscher. Besuchen wir eine andere Abteilung, die sich rühmt, solide statistische Datenauswertungen durchzuführen. Und es scheint sich genau die gleiche Szene abzuspielen: Eine Diplomandin legt ihre Ergebnisse vor, der Professor sagt: „Also diese Werte hier, die lassen Sie lieber mal weg, die stören nur den Lesefluss.“

Sie finden das denkwürdig? Geschichten wie diese sind nur die Spitze des Eisberges. Doch die Informationen darüber dringen nicht an die Öffentlichkeit, die entsprechenden Beteiligten fühlen sich abhängig, weil sie auf das Wohlwollen ihrer Betreuer bei der Benotung ihrer Prüfungen angewiesen sind.

Nicht, dass Daten direkt gefälscht werden würden. Aber auch wenn man eine wichtige Information weglässt, kann dies schon zu veränderten Ergebnissen führen. Eine Grauzone zwischen Nichtwissen und Nicht-Wissen-Wollen.

Nehmen wir noch ein drittes Beispiel. Eine goldene Regel bei der Planung von Experimenten lautet: „No control, no conclusions.“ Zu deutsch: Man braucht immer ein Kontrollexperiment, zu dem man alle anderen Experimente in Bezug setzt. Doch es scheint Professoren zu geben, die das alles nicht so eng sehen. Flugs mal ein Experiment ohne Kontrolle gemacht, und man wird es dann schon irgendwie hinbiegen, wenn´s um die Veröffentlichung geht. Zur Not kann man dann ja noch „das Signifikanzniveau ändern“, damit die Unterschiede statistisch signifikant werden.

Doch manch einer wird nun einwenden, in Wirklichkeit stehe es gut um die Naturwissenschaften in Deutschland, man sei exzellent und könne im internationalen Wettbewerb gut mithalten. Obige Beispiele seien extrem und zudem nicht nachvollziehbar.

Aber wie effizient kann ein Institut sein, in dem die meisten Mitarbeiter auf befristeten Zweijahres-Stellen oder Stipendien sitzen? Oder eine Abteilung, in der Doktoranden für Bürotätigkeiten, Bestellungen, Literatursuche oder die Vorbereitung von Vorträgen eingesetzt werden? Eine Arbeitsgruppe, in der zwei Doktoranden auf sehr ähnliche Themen angesetzt werden?

Nicht wenige Mitarbeiter stellen ihre Abschlussarbeiten ohne Bezahlung fertig oder beziehen Arbeitslosengeld. Ist es das, was wir unserem wissenschaftlichen Nachwuchs mitgeben wollen? Nach fünf Jahren Studium und vier weiteren Jahren Promotion wartet die Arbeitslosigkeit – oder das Ausland.

Wer hier bleibt, ist dumm. Für junge Wissenschaftler gibt es derzeit keinen vernünftigen Grund, in Deutschland zu bleiben – es sei denn, man gehört zu den Glücklichen, die eine feste oder wenigstens längerfristig bezahlte Stelle ergattern konnten. Oder man hat reich eingeheiratet.

Natürlich, wir haben Max-Planck-Institute, Leibniz-Forschungszentren, Institute der Fraunhofer- und Helmholtz-Gesellschaft. Sie alle können als vorübergehende Herberge dienen. Aber die Luft wird immer dünner, je weiter man aufsteigt. In München haben sich kürzlich rund hundert Bewerber um eine Professorenstelle gerissen. Prost Mahlzeit – was machen die 99 anderen, die nicht genommen wurden?

Wir haben die Wahl, aber eigentlich ist die Wahl schon entschieden. Wer von den Besten der Welt lernen möchte, ist nur in Ausnahmefällen gut in Deutschland aufgehoben. Sicher, es gibt auch hierzulande exzellente Forscher. Aber die Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind alles andere als aufmunternd. Diplomarbeit, Doktorarbeit, Juniorprofessur. Und dann? „Habilitieren Sie doch erstmal!“ schallt es einem entgegen. Und dann? „Sie haben noch nicht genügend Erfahrung in der Lehre!“ Und dann?

Und dann. Es besteht eigentlich kein Zweifel, woher der Wind weht. Denjenigen, die hier bleiben, kann man unter den momentanen Bedingungen nur viel Glück wünschen.

Beitrag von Christoph Scherber.

Zur Person

Christoph Scherber (29) promoviert im Fachbereich Biologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

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