Innovation durch Vernetzung?
Hätte Albert Einstein erst einen Forschungsantrag für das Entdecken seiner Relativitätstheorie schreiben müssen – wer weiß, ob er überhaupt genehmigt worden wäre. Bereits im Jahre 1934 schrieb der österreichische Philosoph Sir Karl Raimund Popper in seiner „Logik der Forschung“ (siehe Literatur, 1), es gebe keine „logische, rational begründbare Methode, etwas Neues zu entdecken“.
Blickt man jedoch auf die gegenwärtige Forschungslandschaft in Deutschland, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass man sehr wohl gezielt Neues entdecken kann; wie sonst sollte man es sich erklären, dass 66 Prozent der Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung in Deutschland von der Wirtschaft finanziert werden (2)? Darüber hinaus fördert beispielsweise die DFG zu über 50 Prozent so genannte „koordinierte Programme“, die Förderung einzelner Projekte hingegen beläuft sich nur auf ca. 34 Prozent (3).

Der größte Teilchen-
beschleuniger der Welt am CERN bei Genf.
© CERN/Patrice Loïez
Selbstverständlich ist es gut für den „Wirtschaftsstandort Deutschland“, und erst recht für die Zukunft unserer „Wissensgesellschaft“, wenn große Forschungsprojekte Förderung erfahren. Doch gleichwohl sollte die Frage gestattet sein, ob Erkenntnisprozesse überhaupt „planbar“ sind, und ob Vernetzung das Endziel der Forschungsförderung sein kann und soll.
Nähert man sich dieser Frage von einer soziologischen Perspektive, so lässt sich zunächst konstatieren, dass Forschungsnetzwerke es ermöglichen, bis dato einzeln stehende Ideen und Forschungsansätze neu zu kombinieren. Allein durch Neukombination vorhandenen Wissens können also bereits Innovationsprozesse eingeleitet werden, die dem Einzelindividuum unter Umständen nicht möglich gewesen wären.
Doch ist nicht gerade die zunehmende Spezialisierung von Einzelindividuen eine der Ursachen dafür, dass man heutzutage nur noch durch Vernetzung in der Wissenslandschaft „überleben“ kann? Die Zeit der Universalgelehrten ist vorbei. Ja, man könnte fast sagen: Forschungsinstitutionen sind an ihre Stelle getreten.
Was früher einzelne „Genies“ leisteten, erledigt heute ein Kollektiv. Doch genau in dieser Tatsache liegt auch eine der größten Schwächen organisierter Forschung: Organisationen sind inhärent träge und widersetzen sich Veränderungen. Deshalb sind sie trotz ihrer Funktion im Zuge der Bereitstellung einer Netzwerkinfrastruktur nur in beschränktem Maße zu eigener Innovation befähigt. Die Formel „Vernetzung schafft Innovation“ scheint also in dieser Form nicht aufzugehen.
Schlimmer noch: Wer ständig das Rad neu erfindet, läuft Gefahr, sich langfristig das Wasser – und letztlich die eigene Glaubwürdigkeit – abzugraben. Wir können es uns nicht leisten, in riesigen, immer teurer werdenden Netzwerken Information einfach „umzuschaufeln“, in neuem Gewande erscheinen zu lassen oder neu zu verknüpfen.

Die „Jugend forscht“ Bundessieger vom Mai 2006 haben mehr geschafft als manches Großprojekt.
© Christoph Scherber
Es wird Zeit für neue „Quantensprünge“ in der Wissenschaft, und diese sind weder plan- noch vorfinanzierbar. Und für derartige Quantensprünge ist ein innovationsfreundliches Klima nötig, das herkömmliche Forschungs-Großverbünde nicht schaffen (können).
Dies könnte in der systemimmanenten Struktur von Netzwerken begründet liegen. Denn mit zunehmender Größe eines Netzwerks steigt nicht nur die Zahl der Verbindungen zwischen den Interaktionspartnern, sondern auch das Ungleichgewicht zwischen zentralen und peripheren Akteuren – zentrale Akteure profitieren mehr von den Vorteilen eines Netzwerks als periphere.
In einem Forschungsverbund bedeutet dies: Wer an den „Knotenpunkten“ sitzt, an denen die Information gebündelt wird, der interagiert stärker mit anderen „Knotenpunkten“, anstatt mit Mitgliedern der Peripherie (4). Die Folge ist eine Kanalisierung von Informationswegen, bei der es nach und nach zu einer Ungleichverteilung der Interaktionspartner kommt.
Mit zunehmender Größe eines Forschungsverbundes wird außerdem die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Teilen innerhalb eines ausgedehnten Netzwerks immer komplizierter, weil irgendwann keine gemeinsame semantische Basis mehr gefunden werden kann. Solche strukturellen Nachteile großer Netzwerke führen schließlich zu einer Art „innerer Emigration“, Teilbereiche des Netzwerks isolieren sich und interagieren nur noch mit ihren eigenen Mitgliedern.
Doch worin liegen nun die Stärken erfolgreicher Netzwerke? Welche Merkmale entscheiden darüber, ob ein Forschungsverbund Innovationen hervorbringt oder das Rad stets neu erfindet? Wirft man einen Seitenblick auf die freie Wirtschaft und fragt nach den Erfolgskonzepten führender Unternehmen, so fällt auf, dass diese es anscheinend besonders gut schaffen, Expertenwissen so zu bündeln, dass dieses einem gemeinsamen Ziel dient (5).
Einzelne Spezialisten werden also anscheinend durch Integration und Ausrichtung auf ein zentrales Ziel hin optimal in den Innovationsprozess eingebunden. Doch mit zunehmender Expertise steigt auch das Risiko, hoch qualifizierte Mitarbeiter wieder zu verlieren; ein erfolgreiches Netzwerk muss also dafür sorgen, dass seine Mitglieder so spezifisch ausgebildet werden, dass das gesamte Netzwerk möglichst direkt von der daraus resultierenden Expertise profitiert.
Doch es wäre zu einfach, dieses Prinzip einfach auf Forschungsverbünde zu übertragen. Denn wenn innerhalb einer Organisation Information die einzige zur Verfügung stehende Währung ist, so werden Einzelindividuen stets versuchen, diese für sich zu behalten, anstatt das gesamte Netzwerk davon profitieren zu lassen. Wohl jeder Wissenschaftler kann hiervon ein Lied singen – der ewig schwelende Streit um Mitautorschaften ist ein Beleg dafür.
Scheinbar gibt es, wenn es um die Verteilung der Ressource „Information“ innerhalb eines Forschungsverbundes geht, nur zwei Strategien: Entweder den Zugang auf zentrale Akteure zu beschränken, oder alle teilhaben zu lassen.
Dies äußert sich schließlich in Einzel-Autorschaften einerseits, und in monströsen Massen-Autorschaften andererseits. Autoren der Zeitschrift „Research Evaluation“ haben dies inzwischen sogar statistisch belegt – Wissenschaftler in kollaborativen Forschungsnetzwerken „erhöhen ihren Ruf“ durch „Einzelautorschaften“ (6).
Wenn also die Bedeutung einzelner Experten so wichtig für den Fortbestand eines Wissens-Netzwerks ist, warum dann nicht gleich lieber einen Schritt zurück wagen? Mit welcher Legitimation arbeiten heute Hunderte von Wissenschaftlern innerhalb des gleichen Forschungsverbundes an nahezu identischen Themen? Wäre es nicht viel klüger, wieder mehr einzelne Projektanträge zu fördern, anstatt sich von immer monströser werdenden Konstrukten in den Schlaf wiegen zu lassen?
Großforschungsprojekte suggerieren nicht selten Sicherheit durch große Namen, große Institutionen und große Worte – zum Leidwesen des Steuerzahlers, der von außen weder beurteilen kann noch Einfluss darauf hat, was „die Forscher da oben“ mit seinen Steuergeldern machen.
Eine Gesellschaft, die in so hohem Maße auf ihre Innovationskraft angewiesen ist, muss es sich leisten, den Experten, welche sie ausbildet, wieder zu vertrauen. In der so genannten Organisationsökologie geht man sogar so weit zu konstatieren, dass radikale Umschwünge und Innovationen nur möglich sind durch Absterben alter Organisationen, Disziplinen oder Industriezweige (7).
Höchste Zeit also, dem Prozess der Institutionalisierung von Wissenschaft, der Herausbildung immer größer werdender Supra-Organisationen, einen gegenläufigen Prozess entgegenzusetzen. Einen Prozess, bei dem die Leistung des Einzelindividuums stimuliert und gefördert wird. Nur so werden wir in Zukunft wieder einen Albert Einstein hervorbringen können. Und im Idealfall vielleicht sogar mehrere.
Links zum Thema
- BMBF Bundesbericht Forschung 2004
- Jahresbericht 2004 der Deutschen Forschungsgemeinschaft
- Forschergruppe „Governance der Forschung“
- Governance of Research Networks
- Networks, social capital and knowledge production
- Link zur Zeitschrift „Research Evaluation“
- Link zur Zeitschrift „Organization Studies“
- Link zur Zeitschrift „American Sociological Review“
- Beispiel für einen modernen, erfolgreichen Forschungsverbund: Der größte Teilchenbeschleuniger der Welt am CERN bei Genf.
Zur Person
Christoph Scherber ist Preisträger des Deutschen Studienpreises und war Bundessieger bei „Jugend forscht“. Er promoviert derzeit an der Universität Jena.
Literatur
- (1) Karl R. Popper (1989): Logik der Forschung, 8. Auflage. Tübingen.
- (2) Quelle: BMBF 2005 (Hrsg): Forschung und Innovation in Deutschland 2005. Fortschreibung der Daten und Fakten des Bundesberichts Forschung 2004, www.bmbf.de
- (3) Deutsche Forschungsgemeinschaft (2004), Jahresbericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft. www.dfg.de
- (4) Jansen, Dorothea (2004): Networks, social capital and knowledge production. FÖV Discussion Papers 8, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, www.foev-speyer.de
- (5) Frank Mueller / Romano Dyerson (1999): Expert Humans or Expert Organizations? Organization Studies 20/2, S. 225-256. www.sagepub.com
- (6) J. Rigby (2005): Handcrafted by 16 men: The impact of single and multiple authorship in collaborative research networsk. Research Evaluation 14(3), S. 199-206. www.scipol.demon.co.uk/re.htm
- (7) Michael Hannan / John Freeman (1984): Structural inertia and organizational change. American Sociological Review 49, S. 149-164. www2.asanet.org
