August 2006

Ökonomisierung – ja, bitte!

*Der Markt diktiert die Gesetze, scheinbar überall. Auch an den Universitäten. Das Gespenst der Ökonomisierung geht um. Dabei hätten unsere Wissensschmieden nichts nötiger als betriebswirtschaftliches Denken.

Ein Gespenst geht um in Europa, in der ganzen Welt. Es rasselt bedrohlich mit seinen schon nicht mehr ganz rostfreien Ketten, schreckt uns aus dem Schlaf und bedroht unser beschauliches Leben. Es hört auf den sperrigen Namen ‚Ökonomisierung‘.

Wer von Ökonomisierung spricht, wittert meist den Ausverkauf. Er befürchtet, das ökonomische Denken breche in Lebensbereiche ein, in denen es nichts zu suchen habe und letztlich nur Schaden anrichte.
Die Argumentation lautet wie folgt: Ökonomische Prinzipien wie Effizienz, Effektivität und Leistungsstreben haben durchaus ihre Berechtigung – in der Wirtschaft und im Arbeitsleben. Überträgt man sie jedoch auf zwischenmenschliche Beziehungen, beispielsweise eine Ehe, hat das meist fatale Folgen. Es droht das Ende von Liebe und Romantik. Denn die vertragen sich bekanntlich schlecht mit rigidem Zeitmanagement, Kosten-Nutzen-Rechnungen und Leistungsorientierung. Das Gleiche gilt auch für den Umgang mit Kindern, alten oder pflegebedürftigen Menschen und nicht zuletzt für den Umgang mit uns selbst.

In letzter Zeit taucht der Kampfbegriff ‚Ökonomisierung‘ zudem immer häufiger in Feuilletons und Pamphleten auf, wenn es um die Zukunft der deutschen Universitäten geht. Auch dann ist von Ausverkauf die Rede. Von den Bachelors und Masters, die fließbandförmig durch Turbo-Studiengänge hetzen, ohne Muße, ohne einen kritischen Seitenblick über den Tellerrand hinaus. Gestresst von permanenten Klausuren, die Erfolg verheißenden Credit Points immer fest im Blick, gedrillt auf Quantität und Leistung.
Das neue, effizient durchgestylte Studiensystem verwandle neugierige junge Menschen in Wissensroboter, die allein nach den Vorgaben und dem kurzfristigen Bedarf der Wirtschaft hergestellt würden. So oder ähnlich ätzen die Kritiker.

Es könnte durchaus sein, dass sie am Ende Recht behalten. Und dennoch ist ihre Kritik einseitig, überzogen. Sie betrachten immer nur die eine Seite der Ökonomisierungsmedaille. Sie blenden aus, was das eigentlich heißt: ‚Ökonomisierung‘.

Ökonomisierung bedeutet zunächst nichts anderes als Rationalisierung, Effizienzsteigerung und Leistungsorientierung. Wer konsequent ökonomisch handelt, erledigt seine Arbeit so, dass er das selbe oder ein besseres Resultat in kürzerer Zeit und mit verbesserten Mitteln erreicht. Durch den Einsatz neuer Technologien etwa, durch Arbeitsteilung oder besseres Zeitmanagement. Der Gewinn ist übrigens jedes Mal – freie Zeit. Zeit für andere Tätigkeiten oder all die schönen Dinge jenseits der Arbeit.
Das genau also heißt Ökonomisierung: Das Gleiche in weniger Zeit. Zeit, die man wieder investieren kann, um neue Erträge zu ernten. Mehr Geld oder mehr Wissen zum Beispiel. So entsteht Produktivität.

Und was heißt das bezogen auf unsere Universitäten? Muss man sie etwa davor bewahren, effizienter zu arbeiten? Soll man sie daran hindern, die vorhandenen, zugegebenermaßen recht knappen Etats, angereichert durch ein paar Euro Studiengebühren, so zu verteilen, dass sich damit maximale Erträge in Form von mehr Wissen, besser ausgebildeten Menschen oder neuen Erfindungen erwirtschaften ließen?
Wohl kaum! Dennoch leiden die Universitäten genau daran, dass ihre Ökonomisierung dort behindert wird, wo sie am nötigsten wäre. Die Resultate dieser Behinderung sind absurd.

Ein paar Beispiele: Seit Jahren wird auf der Leitungsebene gespart. Emeritierte Professoren hinterlassen Lehrstühle, die von den zuständigen Landesministerien umgehend abgesägt werden. Das könnte man durchaus noch unter dem Stichwort ‚Gesundschrumpfen‘ verbuchen. Dass es aber kaum noch Stellen auf der unteren und mittleren Ebene – dem akademischen Mittelbau – gibt, ist betriebswirtschaftlich besehen eine Sünde.

Ausgerechnet die im Vergleich zur Professur günstigeren Stellen werden gekappt. Dabei erledigen ihre Inhaber – AssistentInnen und wissenschaftliche MitarbeiterInnen – einen großen Teil der Lehraufgaben, die in Zukunft bekanntlich stark zunehmen werden, weil die Studierendenzahlen steigen.

Zudem hat, wer heute noch im Mittelbau schuftet, kaum Perspektiven. Das Hochschulrahmengesetz sieht enge Beschäftigungsfristen (zwei mal sechs Jahre) vor. Danach ist Schluss. Es winken Hartz IV oder mühselige Antragstellerei, um ein paar Drittmittel zu ergattern – speziell in den Geisteswissenschaften ein unsicheres Geschäft. Vernünftige Lebens- oder gar Familienplanung ist damit nicht zu machen. Daran ändern auch die neuesten Planspiele zur Wiederabschaffung der unseligen Befristungsregel wenig. Für die meisten Jungakademiker bleibt es beim ewigen Stellenhopping und Drittmittel-Tingeltangel. Kein erfolgreiches Unternehmen könnte sich eine solche desaströse Personalpolitik erlauben wie unsere Universitäten.

A propos: In welchem Unternehmen müssen sich Manager auch in der Buchhaltung verdingen? Natürlich in keinem! Denn für ein gesundes Unternehmen wäre das eine klare Fehlinvestition von so genanntem Humankapital. Nicht so an der Uni. Dort plagt sich ein nie und nimmer dafür ausgebildeter Ordinarius mit Verwaltungsaufgaben herum, die jeder Verwaltungsfachmann, ja mancher Azubi effektiver, sprich: schneller, kompetenter erledigen könnte.
Würde man endlich verstärkt in wiederum günstigeres Verwaltungspersonal investieren, kämen die Forscherinnen und Forscher wieder zu dem, was alle von ihnen erwarten: Wissenschaft und Forschung. Stattdessen verschwenden wir lieber weiterhin Steuergelder und die kostbare Arbeitszeit höchst qualifizierter Menschen en masse.

Das Prinzip sinnloser Verschwendung von wertvoller Lebens- und Arbeitszeit herrscht zu allem Elend auch noch in zahlreichen Lehrplänen und Professorenköpfen, besonders in den Geisteswissenschaften. Unter dem Deckmäntelchen der vermeintlichen akademischen Freiheit und Selbständigkeit überlässt man die Studierenden ganz sich selbst und einem unübersichtlichen, gelegentlich arg speziellen Lehrangebot. Bloß keine Verschulung, lautet das diesbezügliche Mantra. Die Folge: Frustration und extrem hohe Abbrecherquoten von teilweise bis zu 90 (!) Prozent, etwa in Philosophie. Ist das effizient, sinnvoll, produktiv?

Auch in puncto Bürokratisierung wird an deutschen Hochschulen keineswegs ökonomisch gedacht. Der Aufbau und die Evaluation der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge blockieren semesterweise ganze Institute. Jede noch so geringe Leistung muss in Zukunft aufwändig dokumentiert werden. Die Folge: Noch mehr Papierkram für alle.

Wären unsere Universitäten Unternehmen, würden sie am Markt schlichtweg nicht bestehen. Und darauf sollten wir es nicht ankommen lassen.
Wir brauchen – in vielen Bereichen – nicht etwa weniger, sondern mehr Ökonomisierung an unseren Hochschulen. Mit dieser Tatsache, zumindest aber mit einem differenzierteren Blick sollten sich auch jene vertraut machen, die gerne überall das Diktat des Marktes wittern und ‚Ökonomisierung‘ für die neoliberale Geißel des 21. Jahrhunderts halten.

Andererseits, und auch das gehört zur Debatte um die Ökonomisierung der Hochschulen, müssen Universitäten in hohem Maße unproduktiv und ineffizient sein dürfen. Etwa dort, wo der Hauptteil der Arbeit aus Lesen, Nachdenken, Diskutieren und Abwägen besteht. Wo es naturgemäß länger dauert, bis sich die jahrelange Lektürearbeit in neues Wissen, aktuellere Theorien und Prognosen übersetzt.
Auf genügend Zeit und Muße ist aber letztlich jede Wissenschaft angewiesen. Schließlich können wir heute nicht wissen, was wir morgen wissen müssen. Wissenschaftlicher Fortschritt lässt sich nicht vorausberechnen oder gar mit der Stechuhr messen.

Deshalb können wir es uns nicht leisten, Nachwuchsforschung in das Prokrustesbett von Evaluationen, Promotions-Monokulturen und zwei mal sechs Jahresverträge zu zwängen.
Und deshalb sind die Bedenken gegen die neuen Bachelorstudiengänge auch berechtigt.
Wer im Grundstudium 40 und mehr Semesterwochenstunden absitzen muss, wird kaum noch Zeit finden, schon vor dem ersten Abschluss selbstständig zu forschen oder an Forschungswettbewerben für Studierende wie dem Deutschen Studienpreis teilzunehmen.

Hier also – und nur hier! – müssen wir die Ökonomisierung unserer Universitäten aufhalten und zurückschrauben, damit Wissen wieder ungehemmt wuchern kann. Auch dann, wenn es uns heute noch ökonomisch nutzlos, also nicht unmittelbar verwertbar erscheint.
Wer hätte schließlich gedacht, dass wir uns neuerdings wieder sehr für die als leicht verschroben geltenden Ornithologen interessieren. Beinahe hätten wir sie weggespart. Dann überfiel uns Panik vor der womöglich pandemischen Vogelgrippe. Und die Experten waren plötzlich sehr gefragt.

Dasselbe gilt für die oft nicht weniger verschrobenen Philosophen, Soziologen und Ethnologen mit ihren schwer verdaulichen Theorien. In einer immer komplizierteren, globalisierten Welt sind sie es, die uns den nötigen Durchblick verschaffen. Die uns lehren, wie wir versöhnlich mit fremden Kulturen umgehen und wie wir uns an ein Leben in der Hartz IV-Gesellschaft gewöhnen können, ohne zu resignieren.

Was wir wirklich brauchen, klingt auf den ersten Blick paradox, ist es aber nicht. Wir brauchen eine neue Hochschulökonomie des Überflusses und der Verschwendung – sparsam, effizient und entschlackt auf der strukturellen Ebene, mit stimulierender und entfesselnder Wirkung auf Spitzenforschung und Lehre. Mit zahlreichen Oasen der Nutz- und Zwecklosigkeit, Spielwiesen der Wissenssuche. Ohne den permanenten ökonomischen Druck durch Drittmitteljagd, Mittelkürzungen und Effizienzdenken im Nacken.

Beitrag von Christian Dries
Bildquelle: Hirzel-Verlag

Zur Person

Christian Dries ist Chefredakteur von sciencegarden und promoviert an der Universität Freiburg.

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