November 2006

Das Elend der Exzellenz

*Glückwunsch! München, Karlsruhe und Süddeutschland sind die großen Gewinner der ersten Runde des Exzellenzwettbewerbs. Aber was passiert eigentlich mit dem Rest der Universitätsrepublik?

„Brain up! Deutschland sucht die Super-Uni“ – der Exzellenzwettbewerb hat die unbeholfenen Slogans der Ära Bulmahn überstanden. Die technischen Universitäten Karlsruhe und München sollen sich neben der Ludwig-Maximilians-Universität München mit den frisch gewonnenen Geldern auf den Weg in die Weltspitze machen. Im Überschwang – denn Wettbewerb ist immer gut! – träumt der Münchner Sprecher des Wissenschaftsrates, Peter Strohmeier, sogar schon von einer Bundesliga der Hochschulen. Und so wie vom FC Bayern selbstverständlich die deutsche Meisterschaft erwartet wird, gelten die Münchner fortan als Spitzenforscher gesetzt. Immerhin: Der Erfolg der TU Karlsruhe ist nicht die einzige Überraschung beim akademischen Schaulaufen um Geld und Renommee.

Schon die Vorauswahl der ersten Runde verblüffte nicht nur das universitäre Publikum. Würzburg und Bremen wurden zu Kandidaten ernannt. Die hoch eingeschätzte Humboldt-Universität hingegen war aus dem Rennen, bevor es richtig begann. Auch die endgültige Auswahl der sogenannten Exzellenzcluster – dem eigentlichen Herzstück des Wettbewerbes – war nicht unbedingt vorhersehbar.
So klopfen sich im Moment alle Beteiligten in Politik, Wissenschaft und Medien stolz gegenseitig auf die Schultern. Die ZEIT schätzt den 13. Oktober 2006 gar als historischen Moment für das deutsche Universitätssystem ein (s. ZEIT-Kommentar).
In der durch die Entscheidung veränderten Topografie der deutschen Wissenschaftslandschaft zählt allerdings nur der Sieg. The Winner takes it all – und die Verlierer bleiben stumm. Schließlich will man die eigene Position für die zweite Wettbewerbsrunde nicht torpedieren.

Damit hat das umständliche Auswahlritual seinen Zweck erfüllt: Akademisch-föderaler Futterneid wurde durch ein komplexes mehrstufiges Verfahren vermieden. Von den ursprünglichen Plänen zur exklusiven Förderung einer oder zweier Universitäten durch den Bund ist nichts mehr übrig geblieben. So wird selbst in München nicht genügend Geld vorhanden sein, um in die Champions-League der Oxfords und Harvards aufzusteigen.

Die „Volluniversität“, welche einmal den schönen Namen der universitas litterarum trug, wird als Ballast des 19. und 20. Jahrhunderts zurückgelassen. Im 3. Jahrtausend zählt mehr denn je das Verwertbare. Man wird die Exzellenz-Universitäten an der Zahl ihrer Nobelpreisträger und Patente messen. Das hohe öffentliche Interesse am Wettbewerb setzt Sieger wie Besiegte unter Druck.

Die Schattenseiten der Exzellenz werden ungern genannt. Zwar hat die Technische Universität München die Lehre gegen die Regeln des Wettbewerbs erfolgreich in ihre Anträge integriert. Anderswo hingegen freut man sich schon auf die Freistellung vom universitären Alltag. Exzellente Betreuung durch brilliante Wissenschaftler wird in den nächsten Jahren immer weniger stattfinden. Wer nicht zur Elite gehört, darf im Bachelor das stets schlechter werdende Bildungsniveau der Abiturienten kompensieren.
Die top shots schreiben derweil die nächsten zeitraubenden Anträge, um nicht aus der universitären Bundesliga abzusteigen. Im Drittmittelwahn sind Studierende – so sie nicht gerade promovieren – die größten Verlierer.

Am schlechten Abschneiden Berlins in der ersten Runde lässt sich das ganze Elend der Exzellenzinitiative studieren, inklusive der gegenseitigen Kannibalisierung der Geisteswissenschaften. Drei Universitäten innerhalb eines hoch leistungsfähigen Wissenschaftsraumes konkurrierten miteinander. Resultat: (immerhin) drei erfolgreiche Graduiertenschulen, kein Exzellenzcluster, unzählige investierte Arbeitsstunden. Der Titel eines früh gescheiterten Forschungsverbunds der Humboldt-Universität wird so zum perfekten Kommentar: „Kreative Zerstörung“.

Während in der Hauptstadt die eitlen Hochschulen ihre Chancen zur Kooperation verpassen, fehlt anderswo die kritische Masse, um überhaupt als exzellent gelten zu können. Elite ist nicht gleich Elite: Die Aufbauarbeit im Osten Deutschlands hat zu schlankeren universitären Strukturen geführt, welche sich im Wettbewerb eher als ein Nachteil herausstellen.

Warten wir also die zweite Runde ab! Trotz aller Mängel und Verwerfungen kann sich niemand der bezwingenden Versuchung eines Wettbewerbs um Exzellenz entziehen. Gibt es eigentlich schon Wettquoten? Ich würde gerne auf einen Außenseiter setzen…

Beitrag von Sebastian Gießmann.

Links zum Thema

  • Alles zur Exzellenzinitiative von ZEIT Campus
  • Homepage der deutschen Forschungsgemeinschaft
  • Homepage des Wissenschaftsrats
  • Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung

Zur Person

Sebastian Gießmann forscht an der Humboldt-Universität zur Wissensgeschichte der Netze und Netzwerke. Als Berliner Kulturwissenschaftler arbeitet er tagtäglich an Exzellenz in Forschung und Lehre.

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