In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister
Wie von der großen Politik vorgelebt, werden auch vom Goethe-Institut Streichungen nicht etwa als Verluste deklariert, sondern als kreative Reformen zelebriert. In der Tat soll – anders als Mitte der neunziger Jahre – nicht einfach eine mehr oder weniger zufällig ausgewählte Reihe an Instituten dicht gemacht werden. Vielmehr will die Münchner Zentrale die auf das Goethe-Institut zukommenden Veränderungen als Teil einer strategischen Neuausrichtung verstanden wissen. Von Schließungen will sie dabei bislang nicht reden und dementierte anderslautende Presseberichte übereifrig. Allerdings stellt sich die Frage, ob die kurze und schmerzlose Schließung nicht dem langen siechenden Tod vorzuziehen wäre, der etwa dem Goethe-Institut in Kopenhagen droht, wenn es demnächst seine Bibliothek und Versammlungsräume verliert.
Das Goethe-Institut ist ein gemeinnütziger Verein mit Hauptsitz in München. Ein Rahmenvertrag mit dem Auswärtigen bestimmt das Goethe-Institut seit 1976 zum eigenverantwortlichen Hauptträger der auswärtigen Kulturpolitik.
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Durch solche Einsparungen wie in Kopenhagen möchte die Präsidentin des Instituts, Jutta Limbach, mehr Projektarbeit ermöglichen. Doch wie mag eine „viel größere Beweglichkeit, um an den verschiedenen Orten der Welt, auch im Zusammenhang mit konflikthaften Auseinandersetzungen, kulturell tätig sein zu können“ in der Praxis aussehen? Fliegt demnächst die Goethe-Task-Force anstelle von Bundeswehrsoldaten an Brennpunkte der Welt, um im Vorübergehen interkulturelle Konflikte zu lösen?
Wohl kaum. Doch ähnliche Vorstellungen scheinen sich hinter den Äußerungen der Präsidentin zu verbergen. Man fragt sich nur, ob ein solch instrumentelles Kulturverständnis eher gefährlich ist oder naiv.
Doch gerade diejenigen, die im Goethe-Institut künftig vor allem ein Werkzeug zur Konfliktbewältigung sehen wollen, müssten inzwischen bemerkt haben, was für ein großer Fehler beispielsweise die Schließung von Instituten wie in Khartum, Daressalam oder Islamabad war. Für einen nachhaltigen Dialog taugen kurzfristig anberaumte Konferenzen und „Events“ wenig. Ihre Nachwirkungen halten oft ebenso lang an wie das bei ihnen angebotene Buffet. Tiefer wirkende Kulturarbeit durch persönliche Kontakte und Vertrauen bedarf der Investition in kostenträchtige Immobilien und langfristig anwesendes Personal. Das gilt für Kopenhagen ebenso wie für Karachi.
Die größere Beachtung, die man der Kulturarbeit im Nahen und Fernen Osten nun zukommen lässt, wird vor allem etablierten Instituten in Westeuropa an die Substanz gehen. Aber selbst der Goethe-Zentrale erscheint es offenbar zu billig, hier lediglich auf den Geldmangel des Instituts zu verweisen. Daher wird mit bedeutungsschwangerer Miene das Argument bemüht, dass die originäre, friedendsstiftende Aufgabe des Goethe-Instituts in Europa sich erübrigt habe. Europa wachse eben auch von alleine zusammen. Angesichts gescheiterter Verfassungsreferenden, eines deutsch-polnischen Verhältnisses, das schlechter kaum sein könnte oder dem Anwachsen anti-europäischer Ressentiments eine schlichtweg unfassbare Auffassung. Liegt es denn tatsächlich im Interesse deutscher Kultur- und Außenpolitik, dass zugunsten neuer Institute im Nahen oder Fernen Osten die Kernarbeit im eigenen europäischen Haus vernachlässigt werden soll?
Das eigentliche Trauerspiel besteht darin, dass schon kaum noch die Ansicht verfochten wird, wieviel uns die Präsenz des Instituts sowohl in Europa als auch der restlichen Welt bedeuten sollte. Wir sprechen hier schließlich von einem Jahresetat von etwa 280 Millionen Euro für mehr als 140 Institute im In- und Ausland, wovon die Institute über 70 Millionen selber erwirtschaften. Ersten Schätzungen zufolge soll allein der Libanon-Einsatz der Bundeswehr den diesjährigen Haushalt um zusätzliche 200 Millionen Euro belasten. Solche Vergleiche mögen unzulässig sein, doch können sie manchmal den Maßstab gerade rücken.
Bedenkenswert bleibt zumindest, dass sich die Beteiligten in diesem Schauspiel eher wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank verhalten: Protest wird selten laut. Doch wenn schon allenthalben von Einsparungen die Rede sein soll, gäbe es einige Ställe auszumisten, von denen bisher kaum die Rede ist:
Über das Los der „Generation Praktikum“, trotz jahrelanger Hochschulausbildung über Monate stumpfsinnige Arbeit verrichten zu müssen, wurde nicht nur in diesem Magazin geschrieben. Es ist daher auch kaum nötig, über die persönliche Enttäuschung zu berichten, die ein motivierter Praktikant erfährt, wird er nach einer 8.000 km langen Reise – deren Kosten er freilich genauso trägt wie seinen Unterhalt – an den Kopierer gestellt. Verwunderlich ist hingegen, dass dies nicht die einzige Ressource ist, die unsinnig verschleudert wird:
Am Eingang eines mittelgroßen Goethe-Instituts in Südamerika erinnert ein Schild an dessen Aufgabe, die Kenntnisse der deutschen Sprache zu fördern und ein umfassendes Bild über das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland zu vermitteln. Umso erstaunlicher ist es, dass eben diese Kernaufgabe vernachlässigt wird. Obwohl die Zahl der Deutschschüler seit Jahren rückgängig ist und von 500 auf fast die Hälfte schrumpfte, sind zweijährige Großprojekte von Vorrang. Mit Theater- und Filmvorführungen, Kunst- und Fotoausstellungen, Vorträge und Podiumsdiskussionen zieht das Goethe-Institut tatsächlich viel Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings stehen zum Großteil die Kultur des Gastlandes und recht allgemeine Themen auf dem Programm. Die eigentliche Zielsetzung des Goethe-Instituts fällt dabei unter den Tisch.
Dafür produzieren solche Veranstaltungen aber bunte Kataloge, sorgen für Schlagzeilen in den Medien und erlauben dem ein oder anderem deutschen Akademiker, Musiker oder Künstler einen Gastaufenthalt in der Karibik. Sogar für Modeschauen, auf denen mit eigens dafür entworfenen Kostümchen bekleidete Schönheiten das Publikum erfreuen, ist Geld vorhanden. Indessen schrecken die hohen Kosten viele von dem Besuch eines Deutschkurses ab. Eine Studentin ist außer sich vor Freude, sie hat bei einem WM-Spiel einen von drei verlosten Goethe-Kursen gewonnen. Von eigenem Geld habe sie sich das nie leisten können, erzählt sie.
Wer sollte uns mehr wert sein? Der Besucher von schillernden Laufstegveranstaltungen oder der akademische Nachwuchs mit echtem Interesse an deutscher Sprache und Kultur?
So kann man tatsächlich von Geldverschwendung sprechen, wenn die teuren Immobilien nur für vorübergehende und auch noch fragwürdige Projekte genutzt werden. Sind diese vorbei, dämmert das Institut oft still und leer vor sich hin: Im Bibliotheks- und Informationszentrum sitzt die Bibliothekarin meist allein, ab und zu setzt sich der Sohn des Hausmeisters zum Chatten an einen der Internetrechner. Zum wöchentlichen Kinoabend, an dem im großen Theatersaal deutsche und europäische Filme aufgeführt werden, versammeln sich im Schnitt fünf Personen – den aufführenden Techniker mit eingeschlossen. Ausbleibender Besuch wird von der Institutsleitung meist mit der mangelnden Sicherheit aufgrund der abgelegenen Lage entschuldigt. In einer der gefährlichsten Städte Lateinamerikas sicherlich ein triftiger, wenn auch bei weitem nicht der einzige Grund. Doch warum wird darauf nicht angemessen reagiert?
Eine größere Beweglichkeit des Instituts wäre so sicherlich wünschenswert: Denn bevor man schlecht besuchte Deutschkurse in einem abgelegenen Institut anbietet, könnte man dies vielleicht besser an den Universitäten tun. Diese könnten auch eine gestiftete Bibliothek beherbergen, die dann mit mehr Besuchern rechnen könnte. Dasselbe gilt für Filmvorführungen oder Konzerte, die im Zentrum der Stadt stattfänden. Schwindendem Interesse an deutscher Sprache und Kultur muss offensiv begegnet werden, das Angebot ans Publikum herangetragen werden. Nicht umgekehrt.
Ein solch gebotenes Maß an Flexibilität scheint derweil schon viel zuviel verlangt. Denn schon im Kleinsten werden Synergie-Effekte versäumt: Warum planen zum Beispiel Alliance Francaise, British Council und Goethe-Institut des öfteren gemeinsame Veranstaltungen, verweisen aber nicht gegenseitig auf ihre Programme, um deren Breitenwirkung gemeinsam zu erhöhen? Ein Link auf der Webseite wäre ein Anfang.
So wären oft nur kleine Maßnahmen und gar keine großen Reformen nötig, um effizienter zu arbeiten. Und man fragt sich, ob die Zentrale in München tatsächlich über keine Möglichkeiten verfügt, ihre Institute nicht genauer daraufhin zu evaluieren. Auf administrativer Ebene legt sie schließlich sogar fest, welche Software benutzt werden darf. Die dazu benötigten Rechner schickt sie über den ganzen Ozean, obwohl sie vor Ort viel günstiger eingekauft werden könnten... Mangelnder Kontrolle auf der einen Seite begegnet man nicht mit Überregulierung auf der anderen. Weniger ist oft mehr. Oder, in Goethes Worten: In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.
Links zum Thema
- Die Internetseiten des Goethe-Instituts
- Die Präsidentin Jutta Limbach im Deutschlandfunk über die Zukunft des Goethe-Instituts
Zur Person
Joachim Jachnow studierte Geschichte, Romanistik und Politikwissenschaften in Marburg, Barcelona und Freiburg.
