Februar/März 2007

Politischer Dialog als gerontologische Vorlesung

Universität Bonn Annette Schavan sprach in Bonn über „Ethik in Wissenschaft und Politik“ – ein wichtiges forschungspolitisches Thema. Aber was einen inzwischen bei solchen universitätsöffentlichen Veranstaltungen erwartet, ist schockierend …

Es gehört zur alteuropäischen Tradition, dass sich Politiker, Wirtschafts- und Kirchenmanager einer universitären Öffentlichkeit stellen. Dahinter steckt die Idee, dass sich in der Demokratie Politik, Wirtschaft und Kirchen dem Dialog mit der Wissenschaft stellen. Ende Januar kam also Annette Schavan (CDU), die Bundesbildungsministerin, an die Universität Bonn und sprach über das Thema „Ethik in Wissenschaft und Politik“. Nebenbei wurde Prof. em. Dr. Dr. h.c. Ludger Honnefelder geehrt, der mit seinem Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften weltweite Reputation erlangt hat und dafür vom Bundespräsidenten einen wohlverdienten Orden verliehen bekam.

Überpünktlich sitze ich also im Hörsaal IX der Philosophischen Fakultät im recht schönen Hauptgebäude der Universität. Ein Mann richtet die Mikros, ein anderer schleppt eine große Topfblume herein und stellt sie neben das Rednerpult. (Sie wird nach der Vorlesung wieder abtransportiert). Auch eine Kamera wird aufgebaut. Der Hörsaal füllt sich. Sofort setzt sich ein Mann rechts neben mich, ein Mittdreißiger, promovierter Pharmazeut. Er ist der mitteilsame Typ. „Das diese Geisteswissenschaftler da immer mitreden wollen, die haben doch gar keine Ahnung von Ethik – wenn es um Wissenschaft geht …“ Mit Wissenschaft meint er die pharmazeutische Industrie; ich breche also das Gespräch lieber gleich elegant ab. Es gibt aber dennoch eine Gemeinsamkeit zwischen uns. Wir gehören zu der Minderheit von unter 10% im Hörsaal, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben.

Ethik in Wissenschaft und Politik
Bundesministerin Annette Schavan spricht an der Universität Bonn

Zu einem Vortrag der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, lädt die Universität Bonn am kommenden Donnerstag, 25. Januar, um 12:15 Uhr in den Hörsaal IX des Universitäts-Hauptgebäudes, Regina-Pacis-Weg, ein. Der Eintritt ist frei. Titel des Referates der Ministerin, die in Bonn katholische Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaft studiert hat, ist "Ethik in Wissenschaft und Politik. Erfahrungen an der Bonner Universität". Die Vorlesung findet auf Einladung der Universität Bonn in Verbindung mit der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, dem Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften und dem Institut für Wissenschaft und Ethik statt. (Quelle: Website der Universität Bonn)

Vor mir sitzt eine Pensionärin mit einem Hut in Pink, mit Pantermuster. Sie trägt einen Pelzmantel, den sie nicht auszieht („hier ist ja keine Garderobe“), in einer Plastiktüte verstaut sie die „Bonner Rundschau“ und ihr schriller Stockschirm liegt drohend vor ihr auf dem Pult. Die Rentnerstudenten dominieren an der philosophischen Fakultät das Bild, zumindest immer dann, wenn ich die Hörsäle in Bonn betrete. Sie sind schon da, lange vor allen anderen. Sie stellen Fragen, die eher Koreferate sind. Am Ende beschweren sie sich, weil nicht laut genug gesprochen wurde. Da sie pünktlich, zuverlässig und gut gekleidet sind (rosa Hüte einmal ausgenommen) dominieren sie die Szenerie und sind nicht einmal unbeliebt beim Lehrkörper. Sie wollen, manchen Professoren gar nicht unähnlich, nichts von Jacques Derrida lesen oder hören, sondern bevorzugen Romanbiographien über Friedrich Schiller.

Aber wo sind die jungen Studierenden? Fünf junge Männer mit hellblauen Hemden, Wachsjacken und Segelschuhen entpuppt sich als Delegiertengruppe des RCDS, ihre Anwesenheit ist wahrscheinlich nicht ganz freiwillig. Einige bieder dreinschauende, bebrillte Assistentinnen begleiten ihre Professoren, sitzen aber nicht bei ihnen, sondern weiter hinten. Die Professoren, allesamt männlich, sind ganz vorne aufgereiht. Sie begrüßen Frau Schavan, sich gegenseitig und sonst keinen. Die Medaille des Rektors wirkt etwas karnevalesk, obwohl der Mann Schweizer ist. Der Blick auf die erste Sitzreihe, die Professoren, macht traurig: Konservative, alte Herren in ausgesucht altmodischen Anzügen. Viele mit unvorteilhaftem Wein- oder Bierbauch, einige mit Hörgerät und Hornbrille, keiner auch nur im entferntesten Sinne locker. Manche scheinen schon sehr sehr lange emeritiert zu sein, zumindest hoffe ich das inständig. Einige sehen aus, ich kann mich der Assoziation nicht erwehren, wie der Professor (Un)rat aus Heinrich Manns Roman – nur wird keiner von diesen Herren mit einer Künstlerin Fröhlich durchbrennen. Und keine der Assistentinnen sieht aus wie Marlene Dietrich. Diese etwas gemeine Idee kann ich leider nicht mit meinem pharmazeutischen und jungen Sitznachbarn teilen, der kennt nämlich Heinrich Mann nicht.

Auch Annette Schavan, Rheinländerin und Katholikin, sogar katholische Theologin, fällt das alles wohl auf. Sie drückt es aber wohlwollender aus: Bonn sei ein guter Wissenschaftsstandort, weil hier „die übliche Aufgeregtheit fehle“. Viele gute Wissenschaftsstandorte liegen in der Provinz; in Tübingen oder Siegburg, in Freiburg oder Oxford – da, wo außer Labor und Bibliothek keine gescheiten Aufenthaltsorte zu finden sind. Bonn ist auch – in Bezug auf die Geisteswissenschaften – so eine Stadt. Die Studenten leben in Siegburg bei den Eltern oder sitzen in der Bibliothek. Aber, und das vergesse ich bei den schockierenden Nebeneindrücken fast, die Ministerin hält ihre Vorlesung. Sie wirkt sympathisch und natürlich, diplomatisch und – zugegeben – auch etwas langweilig. (Sie hat in Bonn studiert.) Politiker/innen passen sich ihrer Umgebung naturgemäß an. Annette Schavan sagt also in 60 Minuten nichts, was im entferntesten falsch – oder richtig – sein könnte. Niklas Luhmann hat Sprache einmal als eine soziale Veranstaltung beschrieben, zu der man immer Ja oder Nein sagen kann. Politiker unterlaufen das manchmal: Zur Vorlesung von Frau Schavan kann ich gar nichts mehr sagen. Sie findet, dass Menschen das Kernstück von „Schule und Universität“ seien, der Funke müsse überspringen. Der Dialog zwischen „Wissenschaft und Politik“ müsse „noch ernsthafter gestaltet werden“. Politik heiße, die „Sorgen der Menschen ernst nehmen“. Und: Das „Herzstück der ethischen Debatte ist die Abwägung.“ Die Kompexität nehme zu, aber sie sei nicht nur Belastung sondern auch Herausforderung. Politik müsse „Zusammenhänge herstellen“. Das stimmt alles und auch wieder nicht. Bzw.: Was sagen solche Sätze? Zu wem werden sie weshalb ausgesprochen? Den gut gekleideten Rentner neben mir – Tweed, richtige Herrenschuhe – kann ich nicht fragen, er schläft. Den Pharmazeuten will ich nicht fragen! Plötzlich kommt ein guter, differenzierter Satz vom Podium, der erste der Rede. Es ist ein Zitat von Prof. Honnefelder aus dem SPIEGEL von 1999. Aber damit endet die Vorlesung.

Irgendetwas scheint an dieser Form des öffentlichen Dialoges nicht mehr zu funktionieren. Oder ich verstehe die Funktion, die solche Veranstaltungen haben sollen, einfach nicht. Über die aufkommende Lust an Polemik regt sich in meinem Kopf nichts – obwohl das ausgeschriebene Thema einer ernsthaften öffentlichen Diskussion bedarf. Aber wo findet die statt?

Beitrag von Dr. Frank Berzbach
Bildquelle: Ulrike Klopp/Universität Bonn

Zur Person

Dr. Frank Berzbach ist Erziehungswissenschaftler und Journalist. Er arbeitete für Hochschulen in Köln, Dortmund, Frankfurt am Main und Tübingen. Im Rahmen medienpädagogischer Erkundungen besucht er gerne Tagungen, öffentliche Vorlesungen, Power-Point-Vorträge und andere verwegene Versuche öffentlicher Vermittlung. Er unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung in Köln (www.ecosign.net).

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