sg: Wenn man auf ein so langes und erlebnisreiches Leben zurückblicken kann, wie Sie, gibt es bestimmt Ereignisse, die man nie vergessen wird. Welche Ereignisse gehören für Sie dazu?
Reuter: Da gibt es natürlich eine Menge. Ich will zwei hervor heben: Die ersten Begegnungen mit meiner noch heute geliebten Frau vor mehr als 50 Jahren. Und die Besteigung des Matterhorns am 100. Geburtstag meines Vaters, (s. Bild =>)
sg: Sie wuchsen ja, geboren 1921, genau in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen auf - wie haben Sie Ihre Kindheit in solch turbulenten Zeiten verbracht? Wie haben Sie beispielsweise die Weltwirtschaftskrise oder das Ende der Weimarer Republik damals erlebt?
Reuter: All diese Ereignisse haben wohl dazu beigetragen, dass ich Zeit meines Lebens eine Abneigung gegenüber der Politik entwickelt habe und meine Aktivitäten lieber in direkt persönlich wirksamen Bereichen einsetzte.
sg: Welche Folgen hatte es für Sie, dass Sie während Ihrer Schulzeit nicht in der Hitlerjugend waren?
Reuter: Ich musste samstags, am sogenannten Staatsjugendtag, zusammen mit einem jüdischen Schüler im Klassenzimmer sitzen. Wenige Schüler versuchten, mich mit dem Spitznamen "Spießer" zu kränken, doch konnte ich mich leicht durchsetzen, weil ich der beste Turner war.
sg: Und dann haben Sie noch 1942 mit Ihrem Studium in Halle (Saale) begonnen. Wie waren denn die Studienbedingungen während des Zweiten Weltkrieges? War da überhaupt ein "freies" Studieren im heutigen Sinne möglich?
Reuter: Nach den schlimmen Erlebnissen als Soldat in vorderster Front und schwerer Verwundung vor Sewastopol mußte ich zwar meine Absicht, Sportlehrer zu werden, aufgeben. Doch während des einsemestrigen Studienurlaubs begeisterte mich das gewählte Studienfach Landwirtschaft mit seinen vielseitigen naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern. - In manchen Vorlesungen waren wir nur zu dritt. Ich habe mit Begeisterung studiert und fühlte mich völlig frei in der Wahl von Schwerpunkten.
sg: Nach Kriegsende haben Sie dann 1946 bis 1949 Ihr Studium in Halle fortgesetzt. Wie kamen Sie auf die Idee, sich gerade auf Bodenkunde und Pflanzenernährung zu spezialisieren?
Reuter: Entscheidend für diesen Entschluss waren die absolut logisch aufgebauten und interessanten Vorlesungen von Prof. Schmalfuß. Er hatte kein Anschauungsmaterial zur Verfügung und führte auch keine Exkursionen durch. Ich muss mich noch heute darüber wundern, da ich selbst großen Wert auf Anschauungsmaterial und Exkursionen lege.
sg: Sie haben ja im Laufe Ihrer Forschungen zahlreiche Kontinente bereist. Welche Länder haben Sie am meisten begeistert?
Reuter: Mich begeistert eigentlich jedes neue Land mit seinen Besonderheiten bezüglich der Landschaften, der Geologie und Böden. Es fällt mir wirklich schwer, einige Delikatessen aus der Vielfalt zwischen dem Nordkap und dem Ayers Rock in Australien hervor zu heben. Bezüglich der menschlichen Kontakte möchte ich aber die Länder nennen, in denen ich längere Zeit mit Studierenden zusammen arbeiten konnte: der Sudan, Äthiopien und der Irak.
sg: War es in der ehemaligen DDR nicht manchmal schwierig, eine Ausreisegenehmigung zu erhalten?
Reuter: 1960 war ich für den Internationalen Bodenkunde-Kongress in den USA nominiert. Trotz einer Rückzugs-Anweisung für die Delegation bin ich nach Madison geflogen. Danach durfte ich 14 Jahre lang nicht in das westliche Ausland reisen.
sg: Hatten Sie als Wissenschaftler Schwierigkeiten, weil Sie in der DDR waren und Ihre Thesen nicht im Westen bekannt wurden?
Reuter: Die abgegrenzten Kommunikations- und Publikationsmöglichkeiten haben die Bekanntmachung eigener Forschungsergebnisse erheblich eingeschränkt. Allerdings gibt es für die unzureichende Durchsetzung von Schlussfolgerungen auch andere Ursachen, die ich mal mit dem Begriff Dominanzstreben bei einigen Fachkollegen andeuten möchte.
sg: Sie pflegen in Ihren Vorlesungen stets ein sehr persönliches Verhältnis mit den Studierenden. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Reuter: Es macht mir einfach Freude mit meinen Studierenden zu kontaktieren, vor allem, wenn sie sich für meine wissenschaftlichen Probleme und Erkenntnisse und vielleicht auch für meine Hobbies (<= s. Bild) interessieren.
sg: Wie sehen Sie die heutige Ausbildung junger Wissenschaftler im Vergleich zu früher?
Reuter: Die wissenschaftliche Ausbildung ist heute wesentlich intensiver als zu meiner Studienzeit. Das berechtigte Streben nach Effektivität sollte allerdings nicht zur übertriebenen Spezialisierung verleiten; denn der Mensch lebt nicht nur vom beruflichen Erfolg allein.
sg: Wissenschaft hat sehr viel mit Leidenschaft zu tun. Wie schaffen Sie es, noch in so hohem Alter so viel sprühende Energie zu verbreiten?
Reuter: Im hohen Alter die Wissenschaft und auch andere Aktivitäten mit Leidenschaft betreiben zu können ist kein Verdienst und auch nicht durch ein Rezept zu erklären. Es ist vielmehr eine Gnade, die man voll ausschöpfen sollte, auch zum Nutzen der nachwachsenden Generationen.
sg: Sie haben eine eigene Homepage gebastelt?
Reuter: Ja. Die Adresse lautet:
http://www.agr.uni-rostock.de/bodenk/staff/reuter.html
Sie finden dort illustrierte Angaben über meine Lehr- und Forschungstätigkeit sowie meinen Lebenslauf und die E-mail-Adresse. Zur Zeit bastle ich an einer CD-ROM mit dem Titel "Bilder aus meinem langen Leben".
sg: Wir wünschen Ihnen, und selbstverständlich auch Ihrer Frau, noch viele gemeinsame Erlebnisse und viele Stunden der Erfüllung und des Glücks.
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