sg: Dass Ihre Kinder klein waren, liegt jetzt 20, 30 Jahre zurück. Haben es Frauen heute leichter, ein gutes Familienleben und erfolgreiche Berufstätigkeit zu verbinden?
JL: Sie haben es insofern leichter, als Mütter die Möglichkeit der Elternzeit haben. Sie haben vor allem die Möglichkeit, während der Elternzeit Teilzeitarbeit zu leisten. So kommen sie nicht völlig aus der Berufswelt heraus. Das erscheint mir sehr wichtig, damit ihre Kompetenzen nicht verloren gehen. Ich habe auch beobachtet, dass Mütter, die mehrere Jahre aus dem Berufsleben heraus waren, nicht mehr den Mut hatten, in eine qualifizierte Tätigkeit zurückzukehren. Sie begnügen sich dann häufig mit gering qualifizierten und niedrig bezahlten Tätigkeiten.
sg: Aber woran liegt es dann, dass sich viele Frauen diese Art von Lebensplanung immer noch nicht vorstellen können?
JL: Es ist soziologisch sehr gut untersucht, dass es die gesellschaftlichen Vorbehalte sind. Vornehmlich den Müttern, nicht den Vätern, wird eingeredet, dass sie ihre Kinder vernachlässigen, wenn sie berufstätig sind. Unter diesem Schuldkomplex leiden sie dann und sind nicht die fröhlichen Mütter, die die Kinder brauchen.
sg: Ist das nicht etwas zu einfach? Gesellschaftliche Vorbehalte also als Grund für die geringe Zuversicht von jungen Frauen?
JL: Das führt jedenfalls dazu, dass viele Mütter nicht so entspannt beide Pflichten erfüllen, wie es wünschenswert wäre. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass es an Zuversicht mangelt. Wenn Sie den jüngsten Bericht der Shell Jugendstudie kennen, so sagen die meisten der jungen Frauen, sie wollen sowohl als auch.
sg: Dies ist sicherlich richtig. Mir scheint jedoch, dass in dieser Hinsicht das Wollen und die Realität weit auseinander klaffen.
JL: Die heutigen Mütter haben den Vorteil, das sie häufig bereits von berufstätigen Müttern groß gezogen wurden. Sie haben am eigenen Leib erfahren, dass sie dadurch nicht verwahrlost sind. Das sollte ihnen mehr Selbstvertrauen vermitteln.
sg: Was sind wichtige Voraussetzungen, um Berufstätigkeit und Familienleben vereinbaren zu können?
JL: Nicht jeder kann so wie wir ein Kindermädchen bezahlen. Deshalb bedarf es unbedingt der entsprechenden Betreuungseinrichtungen – der Kinderkrippen, der Kindergärten, der Kinderhorte. Ich habe aber auch festgestellt, dass Frauen, die berufstätig sein wollen, mit Disziplin und Organisationstalent immer Lösungen gefunden haben. Ich weiß von Frauen meines Jahrgangs, die sich zu fünft oder sechst zusammengetan haben und untereinander ausgemacht haben, wer von ihnen die Aufgabe der Tagesmutter übernimmt und wer anderswo berufstätig sein kann.
Selbstsabotage bei Frauen - ein Experiment
wurde der Anfang einer Geschichte erzählt: „Anne studiert ebenso wie ihr Freund Medizin. Die Prüfungsergebnisse für den ersten Abschnitt werden veröffentlicht und es stellt sich heraus, dass Anne als Beste benotet wurde.“ Die Studentinnen wurden gebeten, die Geschichte fortzusetzen. Dabei kamen nur wenig Erfolgsgeschichten heraus. Vielfach wurde die Angst vor Ablehnung der Karriere durch die Umwelt, vor Problemen bei der Vereinbarkeit von Kindern und Karriere oder vor der Unfähigkeit/Unmöglichkeit, eine befriedigende Beziehung aufzubauen thematisiert. "In Erwartung möglicher Schwierigkeiten erzeugen Frauen oft selbst eine Situation, in der sie nicht mehr gewinnen können“ konstatieren die Feministinnen Benard und Schlaffer.
sg: Braucht man als Frau nicht auch den richtigen Mann? Einer, der bereit ist, sich an der Erziehungsarbeit zu beteiligen und die Berufstätigkeit der Frau zu unterstützen? Gibt es genügend Männer, die Familienmodelle wie das Ihrige mittragen?
JL: Nein, mein Mann ist eine Ausnahme. Das sage ich ihm auch immer wieder. Es hat Zeiten gegeben, in denen mein Mann mehr für die Familienarbeit und die Kindererziehung getan hat, als ich. Ich denke, dass die Männer zwar sehr egalitär daherreden. Aber sobald aus einem Paar eine Familie wird, stellt sich sofort die alte Arbeitsverteilung ein. Geradezu ohne ein Wort darüber zu verlieren, nehmen die Frauen die Mutterpflichten als ihre alleinige Aufgabe an. Und die Männer sind damit einverstanden.
sg: Die Männer müssen also endlich begreifen bzw. den Jungen muss deutlich gemacht werden, welchen Gewinn es bringt, wenn sie sich bewusst an der Erziehung der Kinder beteiligen?
JL: Ja, das ist sehr wichtig. Es führt auch eher zur Ausgeglichenheit des Einzelnen und des Paares, wenn man versucht, beiden Sphären gerecht zu werden. Dass man auch als Mann sieht: Wie werden die Kinder größer? Wie lernen sie etwas, wie kann man ihnen helfen, mit dem einen oder anderen Problem fertig zu werden? Was treiben sie eigentlich in der Schule? Das ist alles sehr spannend. Sie sehen, dass die Väter, die mit ihren Kindern spielen, viel phantasievollere Köpfe sind, als diejenigen Väter, die nicht hinter ihrem Schreibtisch hervorzulocken sind.
sg: Gibt es für Sie einen idealen Zeitpunkt zur Familiengründung?
JL: Manche haben die Kindern gern in ihren Zwanzigern. Ich gehöre einer Familie an, in der die Mütter immer – unabhängig von der Berufstätigkeit - die Kinder erst später, in ihren Dreißigern, bekommen haben. Das muss irgendwie in der Familie liegen. Aber viele wählen auch das umgekehrte Konzept. Erst die Kinder und dann in die Berufstätigkeit hinein. Nur ist das schwieriger, da bin ich mir sicher. Der Weg, den wir gegangen sind, ist einfacher.
sg: Mir scheint es, dass Frauen, die Berufstätigkeit und Familie zu verbinden wussten, häufig mehrere Kinder haben, während Frauen, die zu Hause sind, nicht selten sagen: Mit einem bin ich völlig ausgelastet.
JL: Mein Vater hat bei seiner Brautvaterrede gesagt: Bitte nicht nur ein Einzelkind! Das ist das falscheste, was man tun kann. Wissen Sie, wenn Sie ein Einzelkind haben, sind Sie leicht versucht, es mal hierhin und mal dahin zu stecken, oder es sich selbst zu überlassen. Wer zwei oder drei Kinder hat, muss sich etwas einfallen lassen, damit sie gut betreut sind. Und dann der Zusammenhalt untereinander, in Kindergarten, in Schule! Dass man weiß, ich habe da den Bruder und die Schwester. Das ist unglaublich viel wert.
sg: Auch wenn die Rahmenbedingungen heute besser sind als noch zu Ihrer Zeit... glauben Sie denn, dass genug Frauen ihre Chancen nutzen?
JL: Benard und Schlaffer, meine Lieblingsfeministinnen, haben nachgewiesen, dass Frauen stets Zweifel am eigenen Erfolg haben. Sie werden dadurch zu Meistern der Selbstblockade. Sie stehen sich selbst im Weg. Als ich Berliner Justizsenatorin war, habe ich nach jungen Frauen gesucht, die beispielsweise hohe Positionen besetzen könnten. Mir ist dann häufig von berufstätigen, sehr tüchtigen Frauen gesagt worden: Also wissen Sie, wenn das letzte aus dem Kindergarten oder der zweiten Klasse heraus ist, dann können Sie auf mich zukommen.
sg: Da Sie vorhin Teilzeitarbeit angesprochen haben. Welche Teilzeitmodelle bevorzugen Sie? Sollte man das Kind mit ins Büro nehmen?
JL: Nein, davon halte ich gar nichts. Man muss immer der jeweiligen Sphäre die volle Aufmerksamkeit widmen. Ich habe nie meine Kinder mit ins Büro genommen, aber auch nie zu Hause gearbeitet. Man kann nicht beides gleichzeitig; dann vernachlässigt man immer eines von beiden. Wenn wir zu Hause waren, waren wir voll und ganz für die Kinder da.
sg: Eine ganz praktische Frage zum Schluss: Wie sollte man reagieren, wenn man im Bewerbungsgespräch auf die Familienplanung angesprochen wird?
JL: Da habe ich eine echte Diskriminierung erlebt und mich sehr darüber geärgert. Als ich mich das erste Mal um eine Professur bewarb, fragte man mich, wie ich die Pflichten der Professur mit meinen damals zwei Kindern zu vereinen gedenke! Da habe ich zurückgefragt: „Haben Sie eigentlich meinen männlichen Mitbewerbern diese Frage auch gestellt? Die haben doch auch Kinder!“
sg: Wagen Sie zum Abschluss dieses Gesprächs bitte noch ein Ausblick in die Zukunft?
JL: Es geht nicht darum, dass alle Frauen berufstätig sein sollen oder alle Väter die Elternzeit in Anspruch nehmen müssen. Ich hoffe vielmehr für die Zukunft, dass die Aufgabenteilung in Beruf und Familie nicht das Produkt sozialer und wirtschaftlicher Zwänge ist, sondern das Resultat einer freien Wahl.
Cheryl Benard und Edit Schlaffer - Wer sind die Lieblingsfeministen von Prof. Limbach?
Dr. Cheryl Benard, geboren 1953 in New Orleans, und Dr. Edit Schlaffer, geboren 1950 in Stegersbach (Burgenland), studierten Sozialwissenschaften und leiten gemeinsam die "Ludwig-Boltzmann-Forschungsstelle für Politik und zwischenmenschliche Beziehungen" in Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind z.Z. die Bildungs- und Schulreformen und soziale Kompetenz. In ihren Büchern beschäftigen sie sich mit Fragen des Rollenklischees, der gesellschaftlichen Konditionierung, des Verhältnisses Mann - Frau, mit Krisen des Zusammenlebens, mit der geschlechtsspezifischen Erziehung und der "vaterlosen Gesellschaft. Beide Frauen sind verheiratet und Mütter je zweier Kinder.
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